„Beratung wird immer unwichtiger“
Lange Zeit hatte das Internet für Luxusmarken den Hautgout des Gewöhnlichen und war verpönt. Doch diese ablehnende Haltung können sich die Topmarken immer weniger leisten, denn auch für sie wird das Internet zu einem zunehmend wichtigen Absatzkanal.
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Laut einer Studie der deutschen Unternehmensberatungsfirma McKinsey & Company gehen Branchenexperten davon aus, dass der Onlinehandel mit Luxusmodeartikeln bis 2018 jährlich um durchschnittlich 20 Prozent wachsen wird.
In Großbritannien soll das Wachstum 18, in Frankreich gar 21 Prozent betragen. In Deutschland und Österreich geht man von knapp zwölf Prozent aus. Das sind die Ergebnisse der kürzlich veröffentlichten Studie „The Opportunity in Online Luxury Fashion“. Dafür wurden Onlineshops für Luxusmode analysiert und mehr als 3.500 Luxusmodekäufer aus sieben Ländern - darunter auch Österreich und Deutschland - zu ihren Einkaufsgewohnheiten im Internet befragt.
Hälfte aller Luxuskäufe durch Internet beeinflusst
„Bereits die Hälfte aller Luxuskäufe weltweit wird durch das Internet beeinflusst. Und die Modebranche wächst dabei mit Abstand am schnellsten“, sagte Achim Berg, Experte für die Modebranche bei McKinsey. Noch seien freilich Bücher, Elektronikartikeln und Textilien die Topseller im Onlinehandel, aber das Geschäft mit Luxusmodeartikeln sei nach Jahren der Zurückhaltung seitens der Hersteller auf der Überholspur. Das bestätigte zuletzt auch Clemens Pflanz von der Vereinigung führender Luxusfirmen in Deutschland: „Die Gruppe der Kunden, die grundsätzlich nur stationär ihre Designermode kauft, wird immer kleiner“, so Pflanz in der „Wirtschaftswoche“.
80 Prozent der Luxusmodehersteller sind online
Laut der Studie lässt sich bereits jeder vierte Käufer von Luxusmode durch redaktionelle Artikel auf den Websites der Onlinehändler oder in Newslettern zum Kauf verführen. „Obwohl sich viele Luxushersteller lange gegen die Idee sträubten, ihre Kreationen online zum Verkauf anzubieten, scheinen sie nun die Bedeutung der digitalen Welt erkannt zu haben“, sagte Berg. Die großen Modehäuser wie Versace, Gucci, Prada und Dolce & Gabbana haben diesen Trend mittlerweile erkannt und in den vergangenen zwei Jahren eigene Onlineshops eröffnet. Mittlerweile verfügen rund 80 Prozent der Luxusmodehersteller über einen Onlineshop.

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Seit 2009 verfügt die Topmarke Dolce & Gabbana über einen Onlineshop
Vorteile durch ständige Informationsdienste
Die jüngste Fusionsmeldung zwischen dem italienischen Unternehmen Yoox und dem britischen Onlineportal Net-A-Porter, aus der „das größte Luxusmodegeschäft der Welt“ hervorgehen dürfte, bestätigt eine wachsende Bedeutung des Internets für die Modeindustrie. „Da Onlinehändler gleichzeitig auch als Informationsmedium fungieren, verfügen sie damit über ein starkes Differenzierungsmerkmal zum stationären Handel“, sagte Berg.
Gründe für den neuen Boom gibt es laut Thomas Schumacher, Digitalexperte bei McKinsey, mehrere. „Erstens gibt es nicht in jedem Ort Geschäfte für Designermode, online kann ich aber Gucci oder Prada auch in der Provinz kaufen. Zweitens hat eine Boutique nicht immer alle Modelle oder Größen vorrätig, online ist die Auswahl viel größer. Und drittens kann ich schneller Preise vergleichen.“
Die emotionalen Argumente seien aber genauso wichtig. „Erstaunlich viele Kunden haben eine Scheu vor der teils einschüchternden Atmosphäre einer Luxusboutique. Zweitens empfinden gerade jüngere Kunden die exklusive Betreuung in den Geschäften oft als lästig und zu zeitintensiv.“
Gratisrückgaberecht und -lieferungen
Bei der Wahl des Onlineshops seien dem Käufer vor allem bequeme und kostenlose Rückgabe sowie Gratislieferungen am wichtigsten. „Diese Kriterien bieten mittlerweile beinahe alle Onlinehändler an“, sagte Schumacher. Die Höhe der Ausgaben spiele nur eine geringe Rolle. „Dass ein Modekunde Waren um mehrere tausend Euro aus dem Internet bestellt, ist nicht ungewöhnlich“, sagte Schumacher.
Weniger wichtig seien den Kunden die Lieferung noch am Tag der Bestellung und ein persönlicher Berater. „Entscheidend ist für die Kunden die Möglichkeit, ein Kleidungsstück gleich in zwei Größen zu bestellen, damit sie das nicht passende zurückschicken können“, sagte Schumacher. Für die Hälfte der Befragten der Studie ist diese Option ausschlaggebend für die Wahl ihres Onlinehändlers.

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Vorteile von Onlineshops: schnellerer Preisvergleich und größere Auswahl
Die Umsätze der Onlinehändler für Luxusmode steigen jedenfalls rasant. Das britische Portal Net-A-Porter steigerte seinen Umsatz selbst in den Krisenjahren 2008 bis 2010 um mehr als das Dreifache auf geschätzte 300 Millionen Euro. Das amerikanische Portal Vente-privee.com setzte im vergangenen Jahr 1,3 Milliarden Euro um – doppelt so viel wie noch vor vier Jahren.
Größere Bestellmöglichkeiten
Auch der Münchner Onlineshop Mytheresa.com legte ordentlich zu. Vor sieben Jahren von dem Inhaberehepaar Susanne und Christoph Botschen des Münchner Modehauses Theresa gegründet, wuchs der Umsatz im vergangenen Jahr um 75 Prozent auf 44 Millionen Euro. Von einem Schuhmodell des französischen Designers Christian Louboutin wurden binnen weniger Monate über 400 Paar verkauft. „Solche Zahlen sind für ein Geschäft in der Stadt kaum zu schaffen, egal wie gut die Lage ist. Allein das Lager für diese Anzahl Schuhe würde die Kapazitäten sprengen“, sagte Geschäftsführer Thomas Müller kürzlich in der „Welt“. Müller weiter: „Das Anprobieren und die persönliche Beratung werden immer unwichtiger.“
Kritik: „Designermode braucht Beratung“
Doch es gibt auch Kritik am boomenden Onlinegeschäft mit Luxusmode. „Wahre Designermode braucht nach wie vor die individuelle Beratung und die Anprobe. Es kann aber sein, dass dies vielen Kunden nicht mehr wichtig ist, weil die Maßstäbe durch Entwöhnung verlorengegangen sind. Ein Großteil dessen, was wir Luxus nennen, ist industrialisierter Luxus", sagte Joachim Schirrmacher von der Stiftung der Deutschen Bekleidungsindustrie gegenüber der „Welt“.
Er befürchtet durch den zunehmenden Konsum über das Internet zudem einen Exklusivitätsverlust. „Die Kaufentscheidung wird nicht mehr nur anhand des besonderen Ambientes oder der einzigartigen Herstellungskunst, sondern auch anhand des Preises getroffen. Luxusmode könnte so auf eine Ebene mit Premium- oder Mittelklasseherstellern rutschen.“
Onlineauftritte sollen Boutiquen helfen
Für den McKinsey-Experten Berg heißt das boomende Onlinegeschäft mit Luxusmode nicht, dass stationäre Boutiquen über kurz oder lang von der Bildfläche verschwinden werden. „Der Onlinehandel soll ein Zusatzangebot für Modehersteller sein. Denn wir haben es zunehmend mit hybriden Kunden zu tun. Viele wollen sich das Produkt online ansehen und dann in der Boutique kaufen. Der Onlineauftritt hilft daher also der Boutique und umgekehrt."
Man könne den Trend zum Onlineshopping von Luxusmode stillos finden, umständlich oder provinziell, so Berg. „Aber vieles spricht dafür, dass das zur gängigen Praxis wird.“ Dennoch werde der Onlinehandel exklusive Boutiquen nie ersetzen können. „Anproben und persönliche Beratungen gehören zu einem Einkaufserlebnis in den großen Shoppingmeilen dazu. Und die Kunden, die darauf Wert legen, sind ja noch immer in der Überzahl. Aber viele wollen eben beides, die Boutique und das Onlineangebot. Daher ist eine Öffnung in diese Richtung für Hersteller und Händler unumgänglich.“
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