Die Tücken des Systems
Die Spielregeln sind einfach: Afrikanische Länder öffnen ihre Märkte um bis zu 83 Prozent mehr als zuvor für Importprodukte aus Europa und schaffen Zölle und Gebühren schrittweise ab. Dafür erhalten afrikanische Unternehmen zollfreien Zugang zum europäischen Markt.
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Das ist die Grundlage, auf der das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen der EU und afrikanischen Ländern sowie der Karibik und Ländern des Pazifiks (EPA) basiert. Was aber, wenn ein Land nicht mitspielen möchte? Am Beispiel von Kenia lassen sich die Tücken dieses Abkommens sehr einfach aufzeigen.
Gegen die eigenen Interessen
Kenia, einer der wichtigsten afrikanischen Exporteure für Tee, Kaffee, Kakao und Schnittblumen, hatte sich wie einige andere afrikanische Staaten geweigert, das Partnerschaftsabkommen mit der EU zu unterzeichnen. Der Grund: Das Land fürchtet, nicht mehr wettbewerbsfähig zu sein, wenn europäische Unternehmen mit ihren Produkten auf den afrikanischen Markt drängen.
Die EU setzte diesen Staaten vergangenes Jahr eine Frist: Wenn diese die von Europa vorgeschlagenen Abkommen nicht unterzeichneten, führe die EU ab 1. Oktober 2014 Einfuhrzölle für diese Länder ein. Und so geschah es dann auch: Kenianische Produkte konnten nicht mehr zollfrei in die EU exportiert werden.
Das Ergebnis waren Entlassungen in kenianischen Unternehmen und daraus folgende erhebliche wirtschaftliche Nachteile. Kenia knickte dann letztlich doch ein und unterzeichnete das Abkommen. Und das, „obwohl die eigenen Interessen betroffen sind“, sagte Robert Kappel, Senior Researcher am German Institute of Global and Area Studies (GIGA), im Gespräch mit ORF.at.
Europäischer Verdrängungswettbewerb
„Das ist ein ganz klarer Verstoß gegen den Geist der Kooperation zwischen Afrika und der EU“, so der Afrika-Experte und Wirtschaftswissenschaftler Kappel. „Diese Regelung erschwert einen industriellen Aufbruch weitgehend, da europäische Produkte von höherer Qualität sind und die geringe Wettbewerbsfähigkeit der meisten afrikanischen Unternehmen im Vergleich zu den EU-Unternehmen zu einem Verdrängungswettbewerb führen wird.“
EU sieht „Partnerschaft der Gleichberechtigten“
Die EU sieht in den Freihandelsabkommen hingegen eine Chance für afrikanische Länder bei der Integration in die Weltwirtschaft und einen Garanten für nachhaltiges Wachstum, wie es im EU-Bericht zur Handelspolitik heißt. EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström bezeichnete die Handelsbeziehungen mit Afrika in einer Rede im Mai als eine „Partnerschaft von Gleichberechtigten“, die Handelsbeziehungen seien einen bedeutenden Schritt weiter, seitdem vergangenes Jahr 27 afrikanische Staaten die Abkommen unterzeichnet haben.
Der ehemalige EU-Kommissar Karel De Gucht betonte in einer Pressemitteilung vergangenes Jahr die Vorteile dieser Abkommen: „Es gibt in Afrika viel Potenzial für effizientere Zollabfertigungen, Logistik und Verwaltung“, mit der Partnerschaft werde der Handel in Afrika angetrieben, so De Gucht.
Neben der EU versuchen auch die USA mit Exportsubventionen für US-amerikanische Firmen in Afrika Fuß zu fassen - so wie sich auch China als Handelspartner in Afrika etablieren möchte. Noch ist die EU aber stärkster Handelspartner.
Innerafrikanische Freihandelszonen in Startlöchern
So sehr internationale Staatengemeinschaften versuchen in den afrikanischen Markt einzudringen, gibt es auch innerafrikanisch die Bestrebung, untereinander wirtschaftliche Zonen zu schaffen und sich zu integrieren. Beispiele sind die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS), die Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC) und die Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft (SADC).
Beim Treffen der Afrikanischen Union (AU) 2012 hatten diese drei Wirtschaftsbündnisse beschlossen, bis 2017 eine Freihandelszone innerhalb ihrer Mitgliedsländer zu errichten. Insgesamt 26 Staaten wären dann Mitglieder einer einzigen Freihandelszone. Könnte das zu mehr Ordnung und Stärkung in der afrikanischen Handelspolitik führen? Laut David Hachfeld, Handelsexperte des Verbunds von verschiedenen Hilfs- und Entwicklungsorganisationen Oxfam, heißt die Antwort Ja.
„Von der EU überfahren“
„Die meisten Länder sind gerade dabei, untereinander wirtschaftliche Zonen zu schaffen und sich zu integrieren“, so Hachfeld im Gespräch mit ORF.at. „Dieser Prozess wird von der EU überfahren. Wenn sich Länder zuerst gegenüber der EU öffnen müssen, bevor sie untereinander eine funktionierende Handelspolitik errichten, dann kann sich keine gute Handelsstruktur entwickeln.“
Auch Kappel bestätigte diese These. Bereits ein Prozent Wachstum im innerafrikanischen Handel erzeuge ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von etwa 0,5 Prozent bei den beteiligten Ländern, so der Experte. Daher müsse vor allem dieser Handel und nicht der nach außen gerichtete Handel gestärkt werden.
Regionale Abkommen als Alternative
Statt mit einzelnen Ländern Abkommen zu schließen sollte man eher regional denken, so Hachfeld. Man nehme zum Beispiel Westafrika: Regional gesehen ist es eine der schwächsten Regionen der Welt. Die EU könnte dieser Region einseitig Marktzugang erlauben, ohne dort zugleich mit europäischen Produkten auf den Markt zu drängen. Unilaterale Zugeständnisse könnten durchaus von Vorteil für afrikanische Länder mit besonderen strukturellen und wirtschaftlichen Herausforderungen sein, so Hachfeld weiter.
Zu reformieren gäbe es, so Kappel, freilich deutlich mehr als nur die Handelsverträge. Vor allem sei es wichtig, dass Investitionen, die nach Afrika fließen von den dortigen Regierungen entsprechend eingesetzt werden. Die Ökonomie müsse modernisiert, die regionale Kooperation verstärkt und wettbewerbsfähige Unternehmen müssten geschaffen werden. Das sei „eine Jahrhundertaufgabe“, sagte Kappel.
Manuela Tomic, ORF.at
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