Begnadetes Künstlerpaar
Das größte Unglück wäre für ihn, sagte Christo einmal, seine Augen oder seine Frau zu verlieren. 2009 traf den Verpackungskünstler dieser Schicksalsschlag. Seine Frau Jeanne-Claude starb, nach fast einem halben Jahrhundert Ehe und mehr als einem halben Jahrhundert gemeinsamer Arbeit.
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Begonnen hatte die Ehe wie eine Mischung aus Boris Pasternak und Barbara Cartland: Er besticht mit 300 Dollar einen Grenzer und flüchtet in einem Güterwagen aus dem sozialistischen Bulgarien. Sie wird als Tochter einer adligen Mutter in Casablanca in die französische Elite hineingeboren. Als der bettelarme Flüchtling 1958 die Mutter porträtieren soll, trifft er auf deren rothaarige, freche und blitzgescheite Tochter - die schon mit einem anderen verlobt ist: Jeanne-Claude.
Als die ihren Verlobten schließlich heiratet, ist sie schon schwanger - von Christo. Der Ehemann findet nach nur zwei Wochen Ehe die Türschlösser ausgewechselt. Auf seine Frage, was denn los sei, antwortet Jeanne-Claude trocken: „Dein Schlüssel passt nicht mehr in mein Schloss.“
Erste Verpackungsexperimente im Kleinen
Das junge Künstlerpaar hat den Groll ihrer Eltern, ein Kind, Berge von Schulden - und viele Ideen. Die beiden ergänzen sich perfekt: Er ist der brillante Künstler voller Kreativität, sie die begnadete Organisatorin, die dafür sorgt, dass aus den gemeinsamen Ideen reale Werke werden. Schon vorher hatte Christo kleinere Objekte - als Erstes eine Dose - verpackt und bemalt. Doch beide wollen mehr. Wollen Innovativeres. Wollen Größeres. Ihr erstes Projekt haben sie im Kölner Hafen, als sie Fässerstapel verhüllen. Die Aktion trifft auf ein bisschen Interesse, mehr Skepsis und vor allem Unverständnis. Das soll Kunst sein?
Die Frage begleitet das Künstlerpaar so sehr wie, zumindest in den ersten Jahrzehnten, die Armut. Denn beide denken sich immer neue, immer größere, immer raffinierte Projekte aus, die dann auch noch perfektionistisch umgesetzt werden sollen. Das kostet Millionen, Steuergelder lehnen beide aber ebenso ab wie Sponsoren. Kunst müsse frei von Einfluss sein, sagt Christo. Also verkauft er Bilder und kleckert so die Millionen für seine Projekte zusammen. Entsprechend liegen Jahre dazwischen.
Kampf gegen die Bürokratie
Das hat auch mit der Bürokratie zu tun. Als das Paar 1969 eine Küste in Australien verhüllt, hatten sie einen monatelangen Kampf mit den Behörden hinter sich. Für den 400 Meter breiten und 111 Meter hohen Vorhang, mit dem sie 1970 ein Tal der Rocky Mountains teilen, sind es schon Jahre. Und für ihr vielleicht bekanntestes Projekt, die Verhüllung des Berliner Reichstages, hatten sie 1971 die ersten Schritte unternommen. Eingepackt in mehr als 100.000 Quadratmeter Spezialstoff war das Gebäude dann 1995.
Christo und Jeanne-Claude betonten immer wieder die Vergänglichkeit der Kunst. Als er gebeten wurde, den Reichstag ein paar Tage länger verpackt zu lassen, antwortet Christo: „Das wäre das Gleiche, als wenn man uns bitten würde, den Reichstagsstoff pink anzumalen.“ Jeanne-Claude bestand auf Einzigartigkeit: „Wir machen nie dieselben Dinge zweimal. Wir werden nie mehr einen Reichstag verhüllen oder Stofftore in den Central Park stellen.“ Gerade „The Gates“ in dem New Yorker Park hatten aber 2005 Millionen angelockt, so wie schon die verpackte Pont Neuf 1984 in Paris oder „The Umbrellas“, die Tausenden Sonnenschirme 1991 in Kalifornien und Japan.
Unverständnis, Ablehnung, Begeisterung
Früher waren Christo und Jeanne-Claude immer getrennt geflogen, damit bei einem Unglück der andere weitermachen könne. Aber bei Christos Projekten gibt es ein Muster: Erst Unverständnis, dann Ablehnung und letztlich doch Begeisterung. So war es auch beim Berliner Reichstag, wo die Gegnerschaft in der damals noch Bonner Politik anfangs sehr stark war. Nachdem fünf Millionen Besucher das Kunstwerk gesehen hatte, musste der WDR eine Diskussionsrunde zu dem Projekt absagen: Es konnte einfach niemand für den „Contra“-Teil gefunden werden.
Chris Melzer, dpa
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