Auf der dunklen Seite des Fortschritts
Der technologische Fortschritt, auf den die Gesellschaft nicht mehr verzichten will, fordert schwerwiegende Opfer. Das zeigt sich etwa in Teilen Chinas, wo der Raubbau an erforderlichen Rohstoffen ungezügelt betrieben wird. Eine Projektgruppe hat eine solche „verborgene“ Gegend bereist und liefert triste Bestandsaufnahmen.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Dabei geht es um die Autonome Region Innere Mongolei im Norden des Landes, im Speziellen um die 2,5-Millionen-Einwohner-Stadt Baotou. Die Gegend um Baotou ist bekannt für die weltweit größten Lagerstätten an Seltenerdmetallen. Entsprechend werden dort, etwa in der gigantischen Bayan-Obo-Mine, gemäß den Bedürfnissen des Weltmarkts Seltene Erden und andere Rohstoffe abgebaut. 70 Prozent der Weltreserven lagern allein auf dem Gelände der Mine.
Liam Young/Unknown Fields
Unkontrolliert wird das zähflüssige Abfallprodukt in die Landschaft geschüttet - entstanden ist dadurch ein riesiger See mit giftiger Schlacke
Gewonnen werden Elemente, die für die Produktion von technischen Geräten wie Smartphones und Flatscreens in den südchinesischen Produktionszentren benötigt werden. Traurige Ironie: Selbst Rohstoffe für die Branche von grünen Technologien, etwa für den Bau von Solarzellen, Windturbinen und Antrieben für Elektroautos, werden in diesem Gebiet unter dem Naturschutz zuwiderlaufenden Umständen abgebaut.
Riesiger See mit giftiger Schlacke
Mit Nachhaltigkeit betrieben wird der Abbau freilich nicht. Bilder von Teilnehmern des Projekts „Unknown Fields Division“, das entlegene Plätze der Erde besucht, zeigen die gigantische Anlage der dort operierenden staatlichen Baotou Iron and Steel Group, die den Abbau betreibt. Wüsste man es nicht besser, könnte man beim Anblick der riesigen Anlage meinen, es handle sich um eine Stadt.
Liam Young/Unknown Fields
Umgeben ist der Schlackesee von Fabrikanlagen, die aus der Distanz wie Städte wirken
„Hölle auf Erden“
BBC-Reporter Tim Maughan, der mit dem Team der „Unknown Fields Division“ mit dabei war, bezeichnete die Szenerie gar als „Hölle auf Erden“: Denn unweit der gigantischen Anlage befindet sich das Füllbecken dessen, was als Abfallprodukt über Pipelines aus der Anlage gepumpt wird - ein künstlicher See, der mit schwarzer, zähflüssiger Substanz befüllt wird. Weit in die Landschaft hinein, faktisch bis zur nächsten Anlage sammelt sich die giftige Schlacke.
APA; ORF.at
Wie zu Zeiten der industriellen Revolution
Die Szenerie in der Stadt Baotou selbst gibt nach Beobachtung der Anwesenden ein Gefühl davon, wie es in Europa zur Zeit der industriellen Revolution gewesen sein muss. Gezeichnet ist das Stadtbild von grauen, unsystematisch hineingeschachtelten Fabrikgebäuden aus denen scheinbar unzählige Schlote emporragen. Zudem trägt die Luft einen latenten Schwefelgeruch - der Schlackesee ist von der Stadt Baotou in lediglich 20 Minuten zu erreichen.
BBC-Journalist Maughan berichtet von einem „verstörenden“ und „fürchterlichen“ Anblick. Dutzende Pipelines enden im Schlackesee, auf den Karten des Onlinedienstes Google Maps sind diese zu erkennen. Auch die Dimension des Füllbeckens erschließt sich damit ein wenig - und eine Dimension der Umweltzerstörung, die auch immer mehr Bewohner Chinas zu einem Aufschrei zwingt.
Liam Young/Unknown Fields
Über unzählige Pipelines rinnt die Schlacke in den künstlichen See
Protest gegen Umweltverschmutzung
Tausende Menschen demonstrierten in den vergangenen Wochen in der Inneren Mongolei gegen die Umweltverschmutzung durch Chemiefabriken - offenbar mit Erfolg. Die Behörden versprachen die vorübergehende Schließung mehrerer Chemiefabriken. Die Bilanz der jüngsten Zusammenstöße zeigt die Tragweite der Empörung: Laut Berichten kam infolge von Zusammenstößen mit der Polizei mindestens eine Person ums Leben, zudem gab es 100 Verletzte und Dutzende Verhaftungen.
Links: