„Ein neues Gesetz ist nicht genug“
Anfang März sind knapp 3.000 Abgeordnete zum Volkskongress in Peking zusammengekommen - eine politische Großveranstaltung, zu der mindestens so viel Inszenierung wie Inhalt gehört. Schon im Vorfeld waren die Chinesen auf die Themen eingeschworen worden. Als wichtig erachtet die Führung fortan die Umweltpolitik. Eine entsprechende Gesetzesverschärfung gibt es bereits.
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Und geht es nach dem Volkskongress, soll es dabei nicht bleiben. „Ein neues Gesetz ist nicht genug“, sagte die Sprecherin des chinesischen Parlaments, Fu Ying. Bereits vor dem offiziellen Beginn der jährlichen Sitzung kündigte sie neue Gesetze zum Schutz der Gewässer und des Bodens an. Eine Agenda, der das offizielle China noch vor einigen Jahren keine Priorität einräumte.
„Effektiv umsetzen“
Das änderte sich erst allmählich: In den 1990ern hatte man den Westen nach entsprechenden Forderungen noch beschuldigt, den chinesischen Aufschwung bremsen zu wollen. Nun ist alles anders: 2014 war - nach dreijähriger Beratung - erstmals seit 1989 das Umweltschutzgesetz verschärft worden. Statt einmaliger Strafen dürfen Behörden Unternehmen künftig für jeden Tag Zahlungen aufbrummen, wenn sie gegen die Umweltvorgaben verstoßen.
Das Gesetz ist seit Jänner in Kraft. „In den kommenden Tagen wird es auch darum gehen, wie wir das Gesetz effektiv umsetzen können“, hieß es. Das hat auch mit der Wirtschaft zu tun: So will die Volksrepublik langfristig weg von einem Wachstumsmodell, das primär auf Export und Investitionen setzt, und hin zu einer Wirtschaft, die stärker vom Binnenkonsum angetrieben wird und damit die Umwelt weniger stark belastet.
Öffentliche Debatte
Doch es gilt, die straffe Linie Pekings in Sachen Umweltschutz auch der Öffentlichkeit näherzubringen. Bekannt sind die Probleme mit Smog ja für viele Chinesen aus eigener leidvoller Erfahrung, nun geht es darum, den Menschen zu signalisieren, dass sich auch die Staatsführung des Problems angenommen hat. Die öffentliche Debatte dazu wurde zuletzt allerdings (noch) nicht von der Politik beherrscht, sondern von der 39-jährigen Journalistin Chai Jing, die mit einem Dokumentarfilm über die dramatische Luftverschmutzung in China großes öffentliches Aufsehen erregte.
Screenshot www.iqiyi.com
Die Doku zeigt die Filmemacherin Chai bei der Präsentation
Internationale Presse feiert Filmemacherin
In der 103 Minuten langen Doku „Unterm Firmament“ gibt es unter anderem Interviews mit Behördenvertretern aus London und Los Angeles zu sehen, die von ihrem Kampf gegen die Luftverschmutzung berichten. Doch es gibt auch Rührendes: Etwa als ein Kind gefragt wird, ob es schon einmal die Sterne am Himmel gesehen hätte - und das verneinte. Chai, eine ehemalige Mitarbeiterin des Staatssenders CCTV, habe den Film als Teil ihres „persönlichen Kampfs“ gegen die Luftverschmutzung produziert, weil ihre Tochter mit einem bösartigen Tumor auf die Welt gekommen sei.
Viele Chinesen hat sie mit ihrer Botschaft erreicht: Schon in den ersten beiden Tagen wurde das Video mehr als 120 Millionen Mal angeschaut. Die internationale Presse feierte die Journalistin danach für ihren Mut für ihre investigative Arbeit, zumal auch die chinesische Regierung in der Doku nicht besonders gut wegkommt. Als besonders herausragend wird der Umstand beschrieben, dass die Zensur auf die Doku in den ersten Tagen nicht reagiert hatte.
Alles akkordiert?
Doch mutet alles - zumindest nach außen hin - mehr oder minder akkordiert an: So bekam Chai in der Produktionsphase Unterstützung von CCTV-Ex-Kollegen, die Onlineausgabe der (staatlichen) Volkszeitung kooperierte bei der Veröffentlichung des Films. Außerdem ist Chai kein unbeschriebenes Blatt: Bereits zu Zeiten ihrer Tätigkeit für CCTV drehte sie Filme über heikle Themen. Am Dienstag schließlich schritt die Zensurbehörde ein und erließ Anweisungen an Webportale und Soziale Medien.
Um von den Themen des Volkskongresses nicht abzulenken, müsse die Verbreitung bzw. die Berichterstattung über die Doku und die Filmemacherin eingestellt werden. Auch müssten jene Inhalte, die der Regierung schaden können, gelöscht oder gesperrt werden, hieß es. Ob das offene Zensurfenster aufgrund anfänglicher Überforderung oder mit kalkulierter Absicht zustande kam: Am Ende stand ein politisch ohnehin forciertes Thema mehr denn je in der Auslage.
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