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Neidische Blicke zu Juventus

Die letzte große Fußballveranstaltung in Italien liegt 25 Jahre zurück. Nach der Weltmeisterschaft 1990 hat sich in Sachen Stadienneubauten bis auf eine Ausnahme nichts getan. Während in Deutschland beinahe jeder Topclub über einen modernen Unterhaltungstempel verfügt, sind in Italien 16 der 20 Stadien in der Serie A, der höchsten Liga im Land, im Durchschnitt älter als 70 Jahre.

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Sogar im deutlich kleineren Fußballland Österreich ist die Situation besser. Das neue Allianz Stadion von Rapid Wien wird im Sommer 2016 fertig, dazu verfügt man in Innsbruck, Salzburg und Klagenfurt über moderne Arenen nach internationalem Standard.

„Von Luxusrestaurants zu Pizzerien“

Marco Matterazzi, Weltmeister mit Italien 2006, drückte die Situation in seinem Heimatland unlängst auf dem italienischen Sportportal Mondopallone so aus: „Unsere Stadien waren in den 70er und 80er Jahren für damalige Verhältnisse Luxusrestaurants, jetzt sind sie heruntergekommene Pizzerien.“ Sergio Campana, Chef der Spielergewerkschaft, gab Ähnliches von sich: „Seit der WM 1990 wurden mit Ausnahme des neuen Turiner Stadions (Juventus Stadium, Anm.) keine neuen Arenen mehr gebaut. Das ist indiskutabel und nicht mehr zeitgemäß.“

Außenansicht des Stadio Giuseppe Meazza

GEPA/Richiardi

Das Stadion Giuseppe Meazza in Mailand: Die einstige „Scala des Fußballs“ fristet ein karges Dasein

Schandflecke in Mailand und Rom

Als eines von vielen Beispielen nannte Campana das Mailänder Stadion Giuseppe Meazza (besser bekannt unter dem Namen San Siro aufgrund des Stadtviertels, in dem es steht), das 1927 errichtet wurde und dank seiner Berühmtheit auch „Scala des Fußballs“ genannt wird. Die Tribünen können, dank einem dritten Ring, bis zu 85.000 Besucher aufnehmen. Aus architektonischer Sicht galt der Bau deshalb jahrzehntelang als einer der imposantesten in der Fußballwelt.

Doch seit Jahren fristet das Stadion ein karges Dasein. „Früher war es ein Tempel, jetzt ist es ein Schandfleck. Baufällig, dreckig und für Besucher extrem unsicher“, sagte Campana. Um einer drohende Schließung zu entgehen, einigten sich die beheimateten Clubs Inter und Milan darauf, es heuer noch zu renovieren und die Kapazität auf 56.000 Plätze zu reduzieren.

Billigstes Baumaterial bei den letzten Sanierungen

Nicht viel besser ist die Situation in Roms Olympiastadion, im Inneren des Foro Italico, in dem die Spiele der Mannschaften AS Roma und Lazio ausgetragen werden. Das Stadion (Fassungsvermögen 82.307 Plätze) wurde 1937 erbaut und 1990 das letzte Mal generalsaniert. „Allerdings sehr schlecht, man verwendete damals das billigste Baumaterial. Viel Geld floss in die Taschen von Funktionären anstatt in die Baustellen“, so Campana. Die Spuren des Verfalls werden von Jahr zu Jahr sichtbarer. „Das Einzige, was an diesem Stadion noch beeindruckend ist, sind die antiken Figuren vor dem Haupteingang“, sagte Campana.

Tribünen in Neapel mussten gesperrt werden

Auch das San Paolo von Neapel, das drittgrößte Stadion Italiens mit 63.250 Plätzen, das 1959 eingeweiht wurde, verfällt zusehends. „Die Baufälligkeit der alten Waschbetonschüssel ist unübersehbar. Die Sitzschalen sind ausgebleicht, die Oberränge teilweise gesperrt. Wenn man in Neapel etwas sperrt, dann muss das schon sehr, sehr gefährlich sein“, sagte Campana.

Innenansicht des Stadio San Paolo in Neapel

AP/Salvatore Laporta

Das 1959 eingeweihte Stadion San Paolo von Neapel wird als „alte Waschbetonschüssel“ bezeichnet

Auf der Liste der baufälligen Stadien ganz oben steht aber das Stadio Luigi Ferraris in Genua, das älteste Stadion Italiens, auch bekannt als „Marassi“ für den Namen des Viertels, in dem es sich befindet. Der Eingang und die Tribünen stammen noch vom Originalbau aus dem Eröffnungsjahr 1911. „Seither wurden nur kleinere Adaptierungsmaßnahmen vorgenommen. Viele Fans müssen auf Betonsockeln sitzen oder stehen. Ein moderner Unterhaltungstempel sieht anders aus“, so Campana.

Nur vier Stadien entsprechen internationalen Normen

Giovanni Scaramuzzi, Fußballjournalist beim italienischen Radiosender Rai, hielt in einem Interview mit der Tageszeitung „La Repubblica“ fest, dass gerade einmal vier Stadien den internationalen Normen entsprechen: Mailand, Rom, Turin und Bari. „Das ist sehr wenig für ein Land, wo Fußball nicht nur klar die Sportart Nummer eins ist, sondern auch einen wichtigen Platz in der Kultur des Landes einnimmt. Die Zustände sind katastrophal und einer Fußballnation wie Italien unwürdig.“

Der schlechte Zustand sorgt auch für einen erheblichen Zuschauerrückgang. „Im Schnitt sind die Stadien der 20 Erstligisten nur zu 61 Prozent ausgelastet“, sagte Scaramuzzi. Das extremste Beispiel sei der AC Milan. Vor sechs Jahren verkaufte der Club noch 40.000 Abos, jetzt sind es nur noch halb so viele. „Den Leuten wird zu wenig geboten, sie fühlen sich nicht mehr wohl. Dazu kommt, dass die Gewaltbereitschaft einiger Fangruppen steigt und die Maßnahmen der Clubs dagegen nicht greifen“, sagte Scaramuzzi.

Hoffen auf Investoren und Zuschlag für Großereignis

Den Clubs fehlt das Geld, um die Stadien attraktiver zu machen. Die meisten Teams müssen aufgrund ihrer wirtschaftlich schlechten Lage ihr Budget kürzen. „Italien braucht dringend ein Großereignis, denn dann würde es öffentliches Geld für Stadionrenovierungen geben“, sagte Scaramuzzi. Bei der Vergabe der Europameisterschaften 2012 und 2016 kam man nicht zum Zug, Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi setzt nun voll auf eine mögliche Olympiabewerbung Roms für 2024.

Für den deutschen Ex-Fußballer Rudi Völler, der selbst jahrelang in Italien spielte, hat der wirtschaftliche Niedergang der Clubs einen Hauptgrund. „Die einst so wohlhabenden Präsidenten wie Silvio Berlusconi (AC Milan, Anm.) oder Massimo Moratti (Inter Mailand, Anm.) haben sich zurückgezogen und mit ihnen auch das Geld und der Einfluss.“

Außenansicht des Stadio Artemio Franchi

Sailko unter cc by 3.0

Das Stadion Artemio Franchi in Florenz müsste ebenfalls dringend saniert werden

Stadien gehören den Städten

Den Clubs ist die unbefriedigende Situation sehr wohl bekannt. In Mailand, Rom und Florenz etwa will man nach dem Vorbild Juventus neue Stadien bauen, derzeit wird jenes in Udine saniert. Den meisten Clubs fehlen aber potenzielle Investoren, um ihre Vorhaben tatsächlich realisieren zu können. „Projekte, Ideen und Modelle sind schön, aber derzeit bestehen sie nur auf dem Papier. Bis jetzt haben wir noch nichts Konkretes gesehen“, sagte Scaramuzzi. Das habe auch damit zu tun, dass die Stadien nicht den Vereinen, sondern den Städten gehören. „Eine Baubewilligung zu bekommen kann oft Jahre dauern. Bis dahin sind mögliche Investoren schon wieder abgesprungen“, so Scaramuzzi.

Die italienische Regierung hat vor eineinhalb Jahren dem Parlament einen Gesetzesentwurf vorgelegt, um die Situation grundlegend zu ändern. Künftig sollen die Gemeinden die Verwaltung der Stadien an die Clubs abgeben können, die die Arenen dann modernisieren sollen. In diesem Zusammenhang sollen auch bürokratische Hindernisse für die Vereine aus dem Weg geräumt werden. Ferner sollen den Clubs günstige Kredite in Aussicht gestellt werden. Doch der Entwurf wurde bisher noch nicht zur Abstimmung gebracht. Und so bröckeln die Stadien und der Fußball in Italien also vorläufig weiter.

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