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Fälschung oder gefälschte Fälschung?

Seit Tagen empört sich vor allem Deutschland über ein zwei Jahre altes Video, in dem der damalige Wirtschaftsprofessor Gianis Varoufakis „Deutschland den Finger zeigen“ will - und das mit der entsprechenden Geste untermauert. Fast noch mehr Empörung verursachte Varoufakis’ Aussage, das Video sei gefälscht. Dank dem deutschen Comedian Jan Böhmermann weiß nun aber niemand, wem man glauben soll.

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Böhmermann beanspruchte am Mittwochabend in seiner satirischen TV-Show für den Kanal ZDF neo die Urheberschaft des umstrittenen Varoufakis-Mittelfinger-Videos für sich. Die Hauptakteure der vorangegangenen medialen Erregung ansprechend, sagte Böhmermann: „Lieber Günther Jauch, liebe ARD, liebe ‚Bild‘-Redaktion, einmal bitte tief durchatmen, vielleicht nehmen Sie sich mal einen Stuhl und setzen sich hin. Sie müssen jetzt ganz, ganz stark sein“ - und zeigte, wie er das Varoufakis-Video auf alle möglichen Arten veränderte.

Verlässlich subversives Lehrstück

Laut Böhmermanns Behauptung manipulierte die Redaktion des satirischen Magazins „Neo Magazin Royale“ die umstrittene Varoufakis-Sequenz, weil Material für einen Spott-Song über den griechischen Finanzminister gefehlt habe. Nun rätselt ganz Deutschland: Hat er oder hat er nicht? Dem verlässlich subversiven Böhmermann wäre beides zuzutrauen - dass er seine Medienkollegen ohne Rücksicht auf Verluste hineinlegt ebenso wie ein satirisches Lehrstück darüber, dass man auch vermeintlichen Realitäten mit Skepsis begegnen muss.

 	Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis zeigt den Mittelfinger

Screenshot youtube.com

Man traut seinen Augen kaum - und das ist gut so

Tatsache ist, dass der Beitrag ein technisches Lehrstück ist: Einmal wird die Sequenz mit gestrecktem Mittelfinger gezeigt, dann wieder mit ausgestreckter Hand und schließlich sogar als i-Tüpfelchen mit ausgestrecktem Zeigefinger. Die versammelte Redaktionsmannschaft spielt dabei mit sichtlichem Genuss an Bildbearbeitungsprogrammen herum und lässt offen, ob sich der Genuss auf das Fälschen des Videos oder das Fälschen des Fälschens des Videos bezieht.

Heftige „#Varoufake“-Debatte im Netz

Der Sender veränderte nach eigener Darstellung die Szene in Zusammenarbeit mit Organisatoren der kroatischen Veranstaltung, an der die verfänglichen Aufnahmen Varoufakis’ im Mai 2013 entstanden. Feixend wird darauf hingewiesen, dass die damalige Veranstaltung den Titel „Subversive Festival“ trug. Noch am Mittwochabend begann in Sozialen Netzwerken eine hitzige Diskussion über die Echtheit der Fälschungsbehauptung Böhmermanns. Auf Twitter entstand unter dem Hashtag #Varoufake eine heftige Debatte darüber, welche Szene denn nun Fälschung und welche Original ist.

Auch Varoufakis selbst schaltete sich ein: Er ist sich offenbar sicher, den Mittelfinger nicht gezeigt zu haben. Bei Talkmaster Jauch erkundigte er sich, ob sich eine Entschuldigung anbahne. Am angeblich echten Video - also ohne Stinkefinger - gibt es aber auch Zweifel. Ein Spezialist schaute sich das Video Bild für Bild an und glaubt, Fehler entdeckt zu haben. Einzelne Frames tauchten zweimal auf. Auf der Website Massengeschmack.tv zeigte er sich überzeugt, dass die Version ohne Mittelfinger gefälscht ist.

Vergleich macht sicher - oder doch nicht?

Fakt ist: Auf den Aufnahmen von der Veranstaltung in Zagreb, die vor der Sendung auf YouTube hochgeladen wurden, finden sich nur solche, auf denen Varoufakis mit Mittelfinger zu sehen ist. Dazu gehört auch ein 57-minütiges Video, auf das Varoufakis selbst verlinkt hatte. Das würde dafür sprechen, dass auch er es - damals - für echt hielt. Auch der Kameramann gab vor einigen Tagen an, die Sequenz sei echt. Varoufakis hatte hingegen unmittelbar bei der Ausstrahlung des Videos darauf gepocht, dass es manipuliert worden sei.

Hochgeladen wurde das Zagreber Video am 12. Februar 2015 und somit erst mehr als zwei Jahre nach dem Auftritt. Über die Einspielung des Videos in der Show von Jauch am Sonntagabend war aber auch abseits der Fälschungsdebatte bereits zuvor eine Kontroverse entbrannt. Jauch wurde vorgeworfen, Varoufakis’ Aussagen aus dem Kontext gerissen zu haben. Varoufakis, damals Wirtschaftsprofessor, bezog sich in seinen Ausführungen nicht auf die heutige Situation, sondern auf das Frühjahr 2010 und seine Haltung, Griechenland hätte damals Staatsbankrott erklären sollen.

Böhmermann reagiert mit weiterem Video

Böhmermann selbst schaltete sich am Donnerstag mit einem weiteren Video in die Debatte über den ZDF-neo-Beitrag ein. Dabei witzelte er einmal mehr haarscharf an der Grenze zwischen Eingeständnis der Fälschungsfälschung und Behauptung der Echtheit seiner Fälschung entlang. Auf jeden Fall unterstrich er seine Medienkritik: „Niemals“ würde er die „ernsthaft geführte“ und „notwendige Debatte über einen zwei Jahre alten, aus dem Zusammenhang gerissenen Stinkefinger derart skrupellos der Lächerlichkeit preisgeben wollen.“

All jene, die immer noch verwirrt sind, sollten einen Blick auf Böhmermanns bisheriges Schaffen werfen: Da wären etwa vermeintliche Zitate des Fußballers Lukas Podolski („Fußball ist wie Schach, nur ohne Würfel“), die andere Medien ungeprüft übernahmen, Böhmermanns Auftritt als Schweingegrippekranker - ebenfalls von vielen Sendern als echt übernommen -, ein erfundener türkischer Karnevalsverein, der prompt Entsprechung im wirklichen Leben fand, und die Zeitungskolumne „Gott fragt - Böhmermann antwortet“. Eine Debatte, ob Gott in dem Fall echt war, gab es damals nicht.

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