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Rätseln über „Beverley Hills“-Brief

Nach Jahrzehnten fruchtloser Polizeiarbeit hat das offenbar unabsichtliche TV-Bekenntnis des US-Millionärs Robert Durst, „sie alle getötet“ zu haben, Tempo in die Ermittlungen wegen mehrerer ungeklärter Mord- und Todesfälle gebracht. Am Dienstagabend führten die Behörden eine Hausdurchsuchung in einem von Dursts Luxusapartments durch und sammelten dabei offenbar neue Indizien ein.

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Die Polizei gibt sich in dem Fall äußerst schweigsam. Allein die Zusammenstellung der Polizeieinheit bei der Hausdurchsuchung in der texanischen Metropole Houston lässt aber darauf schließen, dass dem Fall höchste Priorität eingeräumt wird. Journalisten beobachteten Beamte sowohl der örtlichen Behörden als auch des FBI und mindestens eines aus Los Angeles hinzugezogenen Ermittlers.

In Los Angeles wurde am Montag gegen Durst Anklage wegen Mordes erhoben. Bei einem Schuldspruch würde dem 71-Jährigen die Todesstrafe drohen. Durst wurde in die psychiatrische Abteilung eines Gefängnisses nahe New Orleans verlegt, bestätigten die Behörden am Mittwoch. US-Medien hatten zuvor über eine Suizidgefahr bei Durst berichtet.

Stundenlange Suche in Apartment

Durst wird vorgeworfen, vor knapp 15 Jahren seine Freundin Susan Berman getötet zu haben. Darüber hinaus gibt es aber auch Verdachtsmomente hinsichtlich mindestens zweier weiterer Todesfälle, nachdem am vergangenen Sonntag die letzte Folge des TV-Sechsteilers „The Jinx“ (Der Unglücksbringer) mit dem dramatischen Satz geendet hatte: „Was zur Hölle habe ich getan? Sie alle umgebracht, natürlich.“ Durst hatte den Satz in einer Interviewpause zu sich selbst gemurmelt, offenbar nicht wissend, dass sein Mikrofon noch eingeschaltet war.

Haus in Houston, in dem Robert Durst gelebt hat

AP/Pat Sullivan

Dursts Wohnsitz in Houston

Nach seinem unfreiwilligen Geständnis wird in Medien darüber spekuliert, ob Durst noch mit weiteren ungeklärten Todesfällen in Verbindung stehen könnte. Von bis zu einem Dutzend möglichen Fällen ist die Rede. Allerdings ist mehr als zweifelhaft, ob die Äußerungen in der TV-Doku als gerichtsfestes Geständnis durchgehen. Umso mehr sucht die Polizei nun nach handfestem Beweismaterial - und könnte es nach der stundenlangen Polizeiaktion in Houston gefunden haben. Die Rede ist von Schriftbeweisen.

„Konnte nur der Mörder geschrieben haben“

Ein namentlich nicht genannt sein wollender Ermittler sagte gegenüber der US-Nachrichtenagentur AP, es gehe um ein Schriftstück, „das nur der Mörder geschrieben haben konnte“. Möglicherweise bezieht er sich damit auf den anonymen Brief, der die Polizei im Jahr 2000 zur Fundstelle von Bermans Leiche lotste. Darin fand sich in Handschrift die falsche Ortsbezeichnung „Beverley Hills“. In der Doku war zuletzt darauf hingewiesen worden, dass ein Brief von Durst mit demselben Fehler in einer sehr ähnlichen Handschrift existiert.

Briefe mit der vermeintlichen Handschrift von Robert Durst

CNN

Zweimal „Beverley Hills“ - dieselbe Handschrift?

Dursts Anwälte taten die Durchsuchung des Apartments in Houston, bei dem Polizisten das Haus schließlich um 20.30 Ortszeit mit zwei Kartons das Haus verließen, als „Marketinggag“ ab: Es werde „weiterhin“ keine Beweise für Dursts Schuld geben, die Behörden richteten sich in ihrer Arbeit nach „Zuseherquoten“. Die Behörden weisen indes zurück, dass ihnen erst die TV-Dokumentation Beine gemacht hat. Die Ermittlungen seien durch Dursts Anwälte „aufgehalten“ worden, insistiert die Polizei von Los Angeles.

Kritik an Behörden und TV-Team gleichermaßen

In den USA wird indes nun nicht nur über mögliche jahrzehntelange Schlamperei bei den Kriminalisten diskutiert, sondern auch über das Arbeitsethos von Dokuregisseur Andrew Jarecki und seinem Team: Er behauptet, dass er Dursts gemurmeltes Geständnis überhört und erst beim Endschnitt der letzten Dokufolge bemerkt habe - und gerade noch rechtzeitig zum Serienfinale einbauen konnte. Viele halten das für eine Schutzbehauptung, damit sich das TV-Team nicht wegen der Zurückbehaltung von Beweismitteln in einem Kriminalfall schuldig macht.

Fraglich ist außerdem, ob Jarecki nicht überhaupt die Gerechtigkeit der Quote geopfert hat: Dursts Anwälte würden in einem allfälligen Prozess sicher argumentieren, dass unvoreingenommene Geschworene nach der TV-Doku nicht mehr zu finden sein werden. Damit könnte Durst, wie bereits in der Vergangenheit, trotz erdrückender Indizien das Gericht einmal mehr als freier Mann verlassen. Für die Strafrechtsexpertin Rebecca Lonergan liegt die Wahrheit in der Mitte: Medien müssten Kritik an Behörden äußern dürfen, aber dabei nicht in Eitelkeit verfallen.

„Pflicht, transparent und ehrlich vorzugehen“

Die Polizei müsse sich an die Verfassung halten, erinnerte Lonergan gegenüber AP. Die Publizistikwissenschaftlerin Kelly McBride gibt ihr Recht: „Als Journalisten haben wir keine gesetzlichen Schranken dafür, wie wir Informationen sammeln. Wir haben Zivilstrafen, wenn wir unseren Job nicht gut machen, aber wir können so ziemlich alles machen, was wir wollen.“ Der Kriminalist Richard Gatto gibt außerdem zu bedenken: Zwölf Beamte in Orange County hätten 800 ungelöste Mordfälle bis ins Jahr 1961 zurück zu bearbeiten. Das HBO-Team habe sich hingegen über Jahre hinweg nur Durst widmen können.

Alle drei Seiten zeigten sich dabei einig, dass die Medienarbeit bei Kriminalfällen unverzichtbar sei - allein schon, weil Kriminelle laut Lonergan „oft Prahlhänse sind“ und „einen gewissen Nervenkitzel“ verspürten, sich in den Medien zu sehen. McBride betonte außerdem, es brauche auch jemanden abseits der Behörden, „der die Behörden zur Verantwortung zieht“. „Die meisten von uns“, so die Medientheoretikerin, „glauben, dass wir dabei in der Pflicht stehen, transparent und ehrlich vorzugehen“.

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