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Hochrangige Mitarbeiter verhaftet

Der ukrainische Geheimdienst SBU kämpft seit dem militärischen Konflikt mit Russland offenbar vermehrt mit Verrat in den eigenen Reihen. SBU-Chef Valentin Naliwajtschenko behauptete in einem Interview mit dem „Wall Street Journal“, dass Überläufer den Geheimdienst ausspionierten und so militärische Aktionen behinderten. Beweise dafür gibt es allerdings nicht.

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Schon seit Beginn des Ukraine-Konflikts vor knapp über einem Jahr berichteten zahlreiche ukrainische Medien von hochrangigen Überläufern, die einen Seitenwechsel zu den prorussischen Separatisten vollzogen hätten. In der Folge sollen sie ukrainische Geheimdienstmitarbeiter ausspioniert und durch ihr Insiderwissen militärische Aktionen sabotiert haben. SBU-Chef Naliwajtschenko sprach in einem Bericht im „Wall Street Journal“ von einem konkreten Vorfall, der diese Behauptungen unterstreiche.

Als die prorussischen Rebellen im Mai des vergangenen Jahres den internationalen Flughafen von Donezk stürmten, schickte der SBU angeblich ein Spezialteam, um den Rebellenführer zu verhaften. Die Mission schlug fehl, drei SBU-Mitglieder gerieten laut Naliwajtschenko in die Fänge von Rebellen.

Ehemaliger Fallschirmjäger übergelaufen

In diesem Zusammenhang nannte er mit Alexander Chodakowski auch einen konkreten Namen, der seinen Angaben zufolge maßgeblich für das Scheitern der SBU-Mission verantwortlich war. Er war ein ehemaliger Fallschirmjäger, der viele Jahre die Anti-Terror-Einheit im SBU in Donezk geführt hatte. „Er verwendete beim Sturm auf den Flughafen sein Wissen, um den Rebellen zu helfen. Er ist ein Verräter“, sagte Naliwajtschenko. Der Überfall auf den Flughafen führte zu einem monatelangen Kampf, der viele Menschenleben forderte.

Chodakowski bestritt gegenüber russischen Medien die Vorwürfe und sagte, dass er den SBU niemals betrügen würde. Er gab jedoch zu, „aus Enttäuschung wegen der Proteste gegen Ex-Präsident Viktor Janukowitsch“ zu den Rebellen übergelaufen zu sein und nun dem Rat der „Volksrepublik von Donezk“ als Sekretär anzugehören.

Doch Chodakowski scheint nicht der einzige „Problemfall“ des ukrainischen Geheimdienstes zu sein. Naliwajtschenko ist überzeugt, dass viele weitere Militäraktionen oder Festnahmen von SBU-Mitgliedern auf Verrat durch ehemalige hochrangige SBU-Mitglieder zurückzuführen seien. „Die Ukraine hat zwei Feinde: die Russen und die Verräter aus den eigenen Reihen“, sagte er.

Alte SBU-Führung zum Großteil in Russland

Laut Naliwajtschenko ist fast die gesamte SBU-Führung nach der Maidan-Revolution vor etwas mehr als einem Jahr nach Russland geflüchtet. Diese Leute hätten sich dem russischen Geheimdienst FSB angeschlossen. „Wichtige Geheimakte über strategische Pläne wurden im Laufe des vergangenen Jahres von ehemaligen Mitarbeitern nach Russland gebracht“, sagte Naliwajtschenko, der nach der Maidan-Revolution zum zweiten Mal das Amt des SBU-Chefs innehat. Während Janukowitschs Amtszeit war er in der Opposition tätig.

Laut Naliwajtschenko waren die Überläufer gemeinsam mit russischen FSB-Mitarbeitern auch an der Planung der Todesschüsse auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew beteiligt. Der Kreml bestritt bisher jegliche Spionagebeteiligungen in der Ukraine. „Es gibt dort keine russischen Agenten“, sagte Außenminister Sergej Lawrow gegenüber russischen Medien.

Und obwohl bereits seit einem Jahr ermittelt wird, konnte Naliwajtschenko laut der Nachrichtenagentur Reuters bisher auch keinen einzigen Beleg für eine russische Beteiligung an den damaligen Todesschüssen vorlegen. „Alle Ermittlungsunterlagen liegen bei der Generalstaatsanwaltschaft“, sagte der SBU-Chef.

Früherer Spionageabwehrchef in Haft

Vor wenigen Wochen wurde in diesem Zusammenhang sogar der frühere Spionageabwehrchef Wladimir Bik verhaftet. Ihm wurde vorgeworfen, Kontakte zu FSB-Gruppen zu haben. Biks Anwalt bezeichnete die Anklagepunkte als eine „politische Verfolgung“ und „Tiraden von Verrückten“. Ein Urteil steht noch aus.

Wadim Zwigun, ein Vertreter des regionalen Arms des SBU, beklagte sich gegenüber ukrainischen Medien über angebliche Spionageaktionen ehemaliger SBU-Mitglieder. So habe ein „Maulwurf“ die prorussischen Rebellen mit Waffen versorgt. Als dieser von Spionageabwehrleuten verhaftet worden sei, habe sich laut Zwigun herausgestellt, dass er auch Verbindungen zu russischen Sicherheitsstellen habe. So soll bei ihm ein Laptop zum Entschlüsseln von Nachrichten gefunden worden sein, sagte Zwigun, der aber den Namen des SBU-Mitglieds nicht nannte.

Bisher 4.000 Verfahren gegen Staatsgefährdung

Am Mittwoch berichtete der SBU, dass seit Februar 2014 mehr als 4.000 Verfahren zu „staatsgefährdenden Delikten“ eingeleitet und deswegen mehr als 700 Personen verhaftet worden seien. In mehr als 80 Fällen lägen bereits Gerichtsurteile vor. Wie viele davon ehemalige SBU-Mitglieder betreffen, wurde nicht bekanntgegeben. Wasyl Wowk, Chef der SBU-Ermittlungsabteilung, sprach von einer „drastischen Bedrohungslage“ für den ukrainischen Staat.

Russische Medien sprechen von „reiner Propaganda“

Unabhängige Medien haben mögliche Spionagefälle und Sabotageaktionen von Ukrainern, die nun auf der Seite der prorussischen Rebellen sind, bis dato noch nicht bestätigt. Auch gab es bisher noch keine Bestätigungen, dass Festnahmen oder gescheiterte militärische Operationen in irgendeinem Zusammenhang mit Spionage stehen könnten. Russische Medien sehen in den Verhaftungen ehemaliger SBU-Mitarbeiter „reine Propaganda“ und werfen der Ukraine vor, dem politischen Gegner unlautere Mittel zu unterstellen.

Internationale Kritik an Verhaftungen

Manche Verhaftungen durch den SBU riefen zuletzt aber auch international Kritik hervor. So wurde Anfang Februar der ukrainische Journalist Ruslan Kozaba wegen Spionage und Hochverrats verurteilt. Er trat gegen die militärische Mobilisierung in der Ukraine auf und meinte, dass es dort gar keine regulären russischen Truppen gebe. Ihm drohen 15 Jahre Gefängnis. Naliwajtschenko warf ihm ein Naheverhältnis zum russischen Präsidenten Wladimir Putin vor, für das es bisher allerdings keine Hinweise gab.

„Ukraine braucht Hilfe der USA“

Um der chaotischen Zustände bei der inneren Sicherheit Herr zu werden, braucht die Ukraine laut einem britischen Geheimdienstmitarbeiter dringend die Hilfe des Westens, insbesondere der USA. „Die USA haben das beste Know-how in Sachen Geheimdienst. Sie müssen die Ukraine besser schulen und ausbilden, um dort die undichten Stellen im eigenen Land zu stopfen“, sagte der Geheimdienstmitarbeiter gegenüber „Foreign Affairs“. Andernfalls hätte Russland weiterhin leichtes Spiel, um in der Ukraine an geheime Informationen zu kommen.

Auch Russland klagt über Spion aus eigenen Reihen

Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass es nun erstmals Verdächtigungen seitens des FSB gebe, wonach russische Zivilisten im eigenen Land angeblich spionieren und Informationen an die Ukraine liefern. So berichtete die BBC Anfang Februar über die 36-jährige Swetlana Dawidowa aus der westrussischen Stadt Wjasma. Die siebenfache Mutter soll im April des vergangenen Jahres die ukrainische Botschaft über den Einmarsch russischer Militärsoldaten in der Ukraine informiert haben. Sie soll dazu angeblich ein Gespräch zwischen Soldaten in Wjasma belauscht haben. Der FSB nahm sie daraufhin in U-Haft, nach einer Petition von 40.000 Russen wurde sie vorübergehend aus der Haft entlassen. Die Anklage gegen sie wurde aber nicht fallengelassen, der Prozess steht noch aus. Ihr drohen bis zu 20 Jahre Haft.

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