Täter noch nicht identifiziert
Unmittelbar vor einer großangelegten Demonstration gegen die Regierung ist in Moskau der prominente russische Oppositionspolitiker Boris Nemzow erschossen worden. Die Tat ereignete sich in der Nacht zum Samstag nahe dem Kreml, wie die Polizei mitteilte. Ein Sprecher des Innenministeriums bestätigte die Angaben, ohne weitere Einzelheiten zu nennen.
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Der 55-Jährige sei von vier Schüssen in den Rücken getroffen worden, als er mit einer jungen Frau über eine Brücke nahe dem Kreml ging, sagte eine Sprecherin des Innenministeriums dem Sender Rossija 24. Bei der jungen Frau soll es sich um eine Bekannte Nemzows aus der Ukraine handeln.
Über mögliche Hintergründe der Tat wurden zunächst keine Angaben gemacht. Der Täter flüchtete ersten Ermittlungen zufolge in einem weißen Auto. Laut vorläufigen Informationen hat ein noch nicht identifizierter Täter aus einem Wagen heraus mindestens sieben bis acht Mal auf Nemzow geschossen, als dieser über die Große Steinerne Brücke lief", erklärte die Staatsanwaltschaft am Samstag in der Früh (Ortszeit). Es seien „erfahrene“ Ermittler auf das Verbrechen angesetzt worden.

APA/AP/Alexander Roslyakov
Ermittler am Moskauer Tatort
An der Stelle der Bluttat gibt es laut Medien zudem Videoüberwachung, die möglicherweise wichtige Hinweise auf geben könnte. Zudem sollen laut RIA Nowosti mehrere Zeugen die Tat beobachtet haben.
„Große Provokation“
Der Sprecher von Russlands Präsident Wladimir Putin, Dimitri Peskow, verurteilte die Tat laut russischen Nachrichtenagenturen. Die tödlichen Schüsse auf Nemzow „deuten auf einen Auftragsmord hin“, so Peskow weiter. Es habe sich um einen „brutalen Mord“ und eine „große Provokation“ gehandelt. Putin sei schnell informiert worden und habe die Sicherheitskräfte angewiesen, Untersuchungen einzuleiten. Auch die oberste russische Ermittlungsbehörde sprach am Freitagabend von einem möglichen Auftragsmord.
Putin habe Peskow zufolge die leitenden Mitarbeiter der obersten Ermittlungsbehörde, des Innenministeriums und des Inlandsgeheimdienstes FSB angewiesen, die Ermittlungen persönlich in die Hand zu nehmen.
Prominenter Putin-Kritiker
Nemzow startete seine politische Laufbahn als Gouverneur der zentralrussischen Region Nischni Nowgorod. 1997 und 1998 war er unter dem damaligen Präsidenten Boris Jelzin Vize-Ministerpräsident und galt als einer der Architekten der liberalen Wirtschaftsreformen. Bei der Präsidentschaftswahl 2008 schickte ihn die liberale Partei Union der rechten Kräfte ins Rennen, er legte die Kandidatur aber vor der Wahl nieder. Der 55-Jährige sollte sich schließlich zu einer der schillerndsten Persönlichkeiten der russischen Opposition und zu einem der schärfsten Putin-Kritikern wandeln.
Weil er gegen Haftstrafen für Putin-Gegner auf die Straße gegangen war, musste Nemzow vor einem Jahr selbst für mehrere Tage ins Gefängnis. Die Lage in Russland ist im Zuge der Ukraine-Krise angespannt. Nemzow hatte den Krieg in dem Nachbarland scharf kritisiert - als russische Aggression. In einem eindringlichen Appell bezeichnete er den Einsatz von russischen Soldaten in der Ostukraine als „illegal“ und beschimpfte Putin als „Lügner“. Nemzow galt auch als einer der Teilnehmer der nächsten großen Antiregierungsdemo, die zuletzt von zahlreichen Kreml-Kritikern für den 1. März angekündigt wurde.
„Kann es nicht glauben“
„Ich kann es nicht glauben. Was ist aus Russland geworden? Die Aggression wächst“, sagte der frühere Regierungschef Michail Kasjanow im kremlkritischen Radiosender Echo Moskwy. Kasjanow sprach von einer „Tragödie“. Viele Wegbegleiter von Nemzow sprachen mit zitternder Stimme von einem großen Verlust für liberal denkende Menschen im größten Land der Erde.
Der Oppositionspolitiker Wladimir Ryschkow warnte vor einem „wachsenden Hass auf Andersdenkende“ in der Gesellschaft. „Ich bin schockiert“, sagte er. Kein Oppositioneller könne sich heute sicher fühlen in dem Land, betont er. Auch Journalisten seien in Gefahr. In Russland kommt es immer wieder zu Anschlägen auf Kritiker der Kreml-Politik.
Die große Mehrheit der Russen unterstützt nach Umfragen den Kurs von Präsident Putin. Nemzow hingegen kritisierte die Politik als zerstörerisch für das Land. Der Politiker war ein prominenter Befürworter der prowestlichen Proteste in der Ukraine im vergangenen Jahr auf dem Maidan, dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew. Er hatte die Hoffnung geäußert, dass der Funke der Revolution überspringt auf Russland. Als Gegengewicht hatten Putin-Anhänger zuletzt die Bewegung „Anti-Maidan“ gegründet.
USA fordern „unvoreingenommene“ Aufklärung
Auch US-Präsident Barack Obama verurteilte die „brutale Ermordung“ des russischen Oppositionspolitikers scharf. In einer am Freitagabend (Ortszeit) in Washington vom Weißen Haus verbreiteten Erklärung wird die russische Führung zudem zu einer „schnellen, unvoreingenommenen und transparenten“ Aufklärung des Verbrechens aufgefordert.
Obama würdigte Nemzows „tapferen Einsatz“ gegen die Korruption in Russland. Er sprach der Familie Nemzows sein Beileid aus, ebenso wie dem russischen Volk, das „einen der engagiertesten und eloquentesten Verteidiger seiner Rechte“ verloren habe.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko äußerte sich schockiert über den Mord an Nemzow. „Sie haben Boris umgebracht. Es ist kaum zu glauben. Ich habe keine Zweifel, dass die Täter bestraft werden. Früher oder später“, schrieb der prowestliche Staatschef in der Nacht zum Samstag auf Twitter.
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