Neue Ermittlungsergebnisse angekündigt
Mehr als acht Jahre nach dem mysteriösen Tod des früheren KGB-Spions Alexander Litwinenko wird der mutmaßliche Agentenmord in London öffentlich vor Gericht aufgerollt. Marina Litwinenko, die Witwe des mit der radioaktiven Substanz Poloniom 210 vergifteten Doppelagenten, hat die richterliche Untersuchung gegen den Willen der britischen Regierung durchgesetzt.
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Die Untersuchung findet vor einem Richter, aber ohne Angeklagte statt. Die Hauptverdächtigen, der russische Abgeordnete und Ex-Spion Andrei Lugowoi und sein damaliger Kollege Dimitri Kovtun, werden von Moskau nicht ausgeliefert. Richter Robert Owen kündigte jedoch bereits zu Verhandlungsbeginn an, dass er es Russland nicht leichtmachen will: Lugowoi und Kovtun sollen per Videoschaltung aussagen - das russische Argument, dass eine Kooperation wegen der rechtlich leider nicht möglichen Auslieferung unmöglich sei, wäre damit hinfällig.
Verhandlung für Richter „unausweichlich“
Alexander Litwinenko hatte sich nach jahrelanger Geheimdienstarbeit für Russland im Jahr 2000 mit dem Kreml überworfen, in Großbritannien Asyl gefunden und sich dort zu einem erbitterten Gegner des damaligen und heutigen russischen Präsidenten Wladimir Putin entwickelt. Später arbeitete Litwinenko auch mit dem britischen Geheimdienst MI6 zusammen. Am 23. November 2006 starb er in einem Londoner Krankenhaus. Die Bilder des Sterbenden, der noch vom Totenbett aus Putin des Auftragsmordes beschuldigte, gingen um die Welt.

APA/EPA/Facundo Arrizabalaga
Litwinenkos Witwe Marina auf dem Weg zum Gericht am Dienstag
Dass Litwinenko ermordet wurde, steht außer Zweifel. Die Ermittler konnten bald nach seinem Tod rekonstruieren, dass er offenbar am 1. November beim Teetrinken mit Lugowoi und Kovtun in einem Londoner Hotel mit der radioaktiven Substanz vergiftet wurde. Die Spur des Poloniums konnte bis zu einem British-Airways-Flug von Moskau nach London am 25. Oktober zurückverfolgt werden. Richter Owen sprach zum Verhandlungsauftakt Ende Jänner davon, dass die Ermittlungsergebnisse den nunmehrigen Indizienprozess gegen Moskau unausweichlich gemacht hätten.
Bereits zuvor zwei Mordversuche?
Allein der Nachweis von Polonium in London hätte laut dem Richter das Verfahren gerechtfertigt. Es hätte eine Vielzahl von Menschen töten können und darüber hinaus „Panik und Hysterie in der Öffentlichkeit verbreiten können“. Verfahrensjustitiar Robin Tam kündigte für die Verhandlungen der kommenden Wochen viele neue Indizienbeweise an - etwa jenen, dass gegen Litwinenko insgesamt drei Mordversuche unternommen worden seien, darunter ein „teilweise erfolgreicher“ Mitte Oktober 2006, ebenfalls mit Polonium.
Auch will Tam einen Zeugen benennen, der von Kovtun damals gefragt worden sein soll, ob er einen Koch in London kenne, der „sehr teures“ Gift in Essen mengen würde. Das Verfahren will aber auch auf Verdachtsmomente eingehen, wonach der britische Geheimdienst oder Putins Feinde Litwinenko ermordeten, um Moskau die Tat in die Schuhe zu schieben: „Wie wir während der kommenden Wochen hören werden, werden manche von diesen Theorien durch beachtliches Beweismaterial unterstützt, andere weniger, und wieder andere gar nicht“, so Tam.
Auch brisant für London
Wie viel die Öffentlichkeit aus den Verhandlungen erfahren wird, ist offen. Owen unterstrich, dass die kommenden Beweise in maßgeblichen Teilen höchst brisantes Geheimmaterial enthielten, weshalb schon jetzt klar sei, dass Teile der Verhandlung hinter verschlossenen Türen stattfinden würden. Am ersten Verhandlungstag wurde allerdings schon bekannt, dass Litwinenko noch unmittelbar vor seinem Tod Besuch von einem hochrangigen MI6-Mitarbeiter bekam. Was die beiden besprachen, ist nicht bekannt.
Owen erwartet einen Abschlussbericht über die mindestens zehn Wochen dauernde Untersuchung, von der Teile hinter verschlossenen Türen stattfinden werden, noch in diesem Jahr. Die einzige Reaktion aus Russland zur Eröffnung des Verfahrens kam von Lugowoi persönlich. Dieser meinte in einer schriftlichen Erklärung, es gehe „sowohl den Amerikanern als auch den Engländern - und allen Feinden Russlands“ darum, „einen Anlass zu finden, die Bürger unseres Landes zu beschuldigen und Russland in keinem guten Licht darzustellen“.
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