Themenüberblick

Orbans „Schaukelpolitik“ im Zwielicht

Mit großer Entourage ist Russlands Präsident Wladimir Putin vergangenen Dienstag in die ungarische Hauptstadt Budapest gekommen. Es war seine erste Auslandsreise nach Beginn der brüchigen Waffenruhe in der Ostukraine - und die führte ihn ausgerechnet in ein EU- und NATO-Mitgliedsland. Ungarns rechtsnationaler Ministerpräsident Viktor Orban versicherte, er persönlich habe Putin eingeladen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Begleitet wurde der russische Präsident unter anderen von Außenminister Sergej Lawrow, Energieminister Alexander Nowak, Gasprom-Chef Alexej Miller und Rosatom-Chef Sergej Kirijenko, wie die staatliche ungarische Nachrichtenagentur MTI berichtete. Die Sicherheitsvorkehrungen waren enorm. Die Polizei riegelte vier Donaubrücken, mehrere Autobahneinfahrten und praktisch die gesamte Innenstadt ab.

Energiefragen offiziell im Zentrum

Offiziell ging es um Energiefragen. Dem Vernehmen nach sollen bilaterale Verträge unterzeichnet werden. Außenminister Peter Szijjarto sprach der Visite Putins eine „schicksalsentscheidende Bedeutung für die Energiesicherheit“ des Landes zu.

Die ungarische Opposition kritisierte den Besuch hingegen scharf. Rund 2.000 Demonstranten gingen am Vorabend in Budapest auf die Straße. Unter dem Motto „Putin nein - Europa ja“ zogen sie durch das Stadtzentrum.

Beobachter sehen dahinter Orbans „Schaukelpolitik“ zwischen Brüssel und Moskau - ein Begriff, der sich in Ungarn für die Außenpolitik des Regierungschefs inzwischen etabliert hat: Einerseits wolle sich Orban mit dem Westen gut stellen, andererseits hofiere er aber Putin.

Vom Kritiker zum Gastgeber

2007 hatte Orban, als er selbst noch Oppositionsführer war, die EU vor Russlands „Expansion und Erstarken“ gewarnt und europäische Politiker, die zu wenig Kritik am russischen Präsidenten übten, „Putins Pinscher“ genannt. Seit Orban 2010 an die Macht kam, lehnt er sich nun enger an Moskau an. Zusammen mit China, der Türkei und Singapur bezeichnete Orban Russland als „Vorbild“.

Für Ungarns einziges AKW in Paks bestellte Orban zwei neue russische Reaktorblöcke. Zudem ist Russland traditionell Ungarns wichtigster Gaslieferant. „Putins Absicht ist es, die Regierung eines EU-Mitgliedslandes, die zwischen Brüssel und Moskau herumlaviert, noch enger an sich zu binden“, schrieb die Budapester Oppositionszeitung „Nepszabadag“ am Dienstag.

Der ungarische Regierungschef suche wegen der angespannten Beziehungen zur EU Rückendeckung in Russland, zitierte das deutsche Nachrichtenmagazin „Spiegel“ den Budapester Politologen Attila Tibor Nagy. Damit wolle er mehr politischen und wirtschaftlichen Spielraum gewinnen. Putins Besuch komme zwar zu einem politisch unglücklichen Zeitpunkt, sei jedoch für Ungarns Wirtschafts- und Geschäftsinteressen notwendig, sagte der Politologe Agoston Mraz.

Kuschelkurs trotz EU-Sanktionen

Der Krieg in der Ostukraine und die russische Annexion der Krim lassen diesen Kuschelkurs in den Augen der westlichen Bündnispartner fragwürdig erscheinen. Vor zwei Wochen besuchte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel Orban in Budapest, um ihn an gewisse Bündnisverpflichtungen zu erinnern. Dessen Regierungspartei FIDESZ gehört wie Merkels CDU der Europäischen Volkspartei (EVP) an.

Tatsächlich hatte Orban die EU-Sanktionen gegen Moskau als „Schuss ins eigene Knie“ bezeichnet, diese jedoch in den EU-Gremien bisher stets mitgetragen. Auch bei Merkels Besuch bekannte sich Orban klar zur Unterstützung der EU-Politik. Erst am vergangenen Freitag besuchte er dann den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko in Kiew. In Budapest hatte er zuvor den Außenminister der proukrainischen polnischen Regierung empfangen.

Kritik an Abhängigkeit von Moskau

„Wir brauchen billige Energie“, begründete Orban auf der anderen Seite die enge Zusammenarbeit mit Moskau. Tatsächlich senkte die Orban-Regierung seit 2010 die Gas-, Strom- und Fernwärmepreise für die Haushalte per Verordnung um rund 25 Prozent. Die Energiedienstleister mussten in dicken Lettern auf ihre Rechnungen schreiben, um wie viel sich die zu bezahlende Summe dank der Regierung reduzierte.

Die Opposition befürchtet eine noch stärkere energiepolitische Abhängigkeit Ungarns von Russland. Experten bezweifeln, dass Ungarn heute noch langfristige Gaslieferverträge mit Russland brauche. Andras Deak, Energieexperte am Institut für Weltwirtschaft der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, verwies darauf, dass die Energiepreise auf den Weltmärkten zuletzt stark gefallen sind. „Aber Orban verhandelt mit Putin, präsentiert neue Verträge und kann dann sagen: Seht her, das Gas wird billiger, und es ist mein Verdienst.“

Links: