„Schicksalsentscheidende“ Visite
Der russische Präsident Wladimir Putin hat vergangenen Dienstag der ungarischen Hauptstadt Budapest einen Besuch abgestattet. Sein Gastgeber, der rechtskonservative Ministerpräsident Viktor Orban, hatte ihn im Vorfeld einen „umstrittenen, aber auch anerkannten Akteur der europäischen Politik“ genannt. Außenminister Peter Szijjarto maß der Visite eine „schicksalsentscheidende Bedeutung für die Energiesicherheit“ des Landes bei.
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Vordergründig ging es bei Putins Besuch um Gaslieferungen. Ungarn bezieht rund 60 Prozent seines Gasbedarfs von der östlichen Großmacht. Doch zugleich hatte der Besuch eine fragwürdige Symbolwirkung. Seit der Annexion der Krim besuchte Putin erstmals ein NATO-Land, seit dem Abschuss des malaysischen Verkehrsflugzeugs über dem prorussischen Separatistengebiet in der Ostukraine im Juli zum ersten Mal ein EU-Land. Im Juni 2014 war Putin in Österreich empfangen worden.
Der Ukraine-Krise zum Trotz
„Es ist nur ein Glück, dass die jüngsten Verhandlungen in Minsk nicht gescheitert sind, dass die Spannungen nicht weiter gestiegen sind“, sagte der ungarische Russland-Experte Zoltan Sz. Biro im Radiosender Inforadio. Dennoch: Nach einem Krieg in der Ukraine mit 5.000 Toten, EU-Sanktionen gegen Russland und Spannungen zwischen der NATO und Moskau lasse der Besuch Putins zu diesem Zeitpunkt bei den westlichen Partnern „Zweifel, ernsthafte Fragen und Ungewissheit gegenüber der ungarischen Regierung“ aufkommen.
Doch Orban, einst ein glühender Antikommunist und Verfechter der Unabhängigkeit seines Landes, fährt seit seiner Wahl 2010 zum Ministerpräsidenten gegenüber Putin einen seltsamen Kuschelkurs. Trotz neuer Diversifizierungsmöglichkeiten bei den Gasimporten stellt Orban die Energieabhängigkeit von Russland als eine naturgegebene Größe dar.
Umstrittener AKW-Ausbau
Im Vorjahr einigte sich Orban mit Putin darauf, dass der russische Rosatom-Konzern zwei neue Reaktorblöcke im AKW Paks baut. Die Kosten sollen zum Großteil durch einen Staatskredit in Höhe von zehn Milliarden Euro gedeckt werden, den Russland bereitstellt. Experten ziehen die energiepolitische Sinnhaftigkeit des Projekts in Zweifel.
Orbans Motive sind nicht wirklich klar. Der 51-jährige Vollblutpolitiker regiert machtbewusst und mit populistischem Instinkt. Die engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Moskau enthebt ihn zumindest in Teilbereichen der strengen Vorgaben und Auflagen der EU, der sein Land angehört.
Bei der Erweiterung von Paks fallen enorme Aufträge für Zulieferer an. Die Verträge sind streng geheim. Kritiker gehen davon aus, dass diese Aufträge mit saftigen Gewinnspannen Klienten Orbans zugeschanzt werden. Die Gasimporte werden zunehmend von einer Firma mit Sitz im Schweizer Kanton Zug abgewickelt, hinter der Strohmänner Orbans vermutet werden.
„Gelenkte“ und „illiberale Demokratie“
Doch auch in ihrer Politikauffassung sind sich Orban und Putin nicht völlig unähnlich. Während der Russe die „gelenkte Demokratie“ propagiert, hat der Ungar die „illiberale Demokratie“ für sich entdeckt. Bei der Unterdrückung kritischer Medien und Zivilorganisationen gehen Ungarns Behörden gewiss schaumgebremster vor als die russischen. Doch auch in Budapest gab es schon Polizeirazzien und frivole Ermittlungsverfahren gegen NGOs, die nicht nach Orbans Pfeife tanzen wollten.
Image mit historischen Kratzern
Dabei hat Russland rein historisch kein gutes Image in Ungarn. Zaristische Truppen schlugen 1848/49 den Unabhängigkeitskampf gegen die Habsburger nieder, und die Sowjetarmee liquidierte 1956 die antistalinistische ungarische Revolution. Doch die Opposition in Ungarn ist schwach und unorganisiert. Auch ein Straßenprotest gegen Putins Besuch am Montag mit etwa 2.000 Menschen brachte Orban nicht aus der Ruhe. Im jüngsten Rundfunkinterview klang Orban zuversichtlich: „Es ist nicht leicht, mit Russland zu kooperieren, weil das die Gefühle vieler Ungarn berührt. Aber das müssen wir in den Griff bekommen.“
Gregor Mayer, dpa
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