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„Einigung auf Nichteinigung“

Es ist offiziell: Die zuletzt atmosphärisch schwer beschädigten Verhandlungen über ein neues Wiener Wahlrecht sind gescheitert. Das bestätigten SPÖ-Landesparteisekretär Georg Niedermühlbichler und der grüne Klubchef David Ellensohn Freitagmittag. Die Frage, ob nun das mehrheitsfördernde Wahlrecht in ein Verhältniswahlrecht geändert wird, wird im koalitionsfreien Raum entschieden.

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„Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir uns in diesem Punkt nicht geeinigt haben“, so Niedermühlbichler und Ellensohn bei einer Pressekonferenz unisono. Soll heißen: Auch nach mehr als vier Jahren Verhandlungszeit konnten sich die Koalitionspartner beim wichtigsten Streitpunkt, der Neuregelung der Mandatsverteilung, nicht zusammenraufen. Allerdings habe man sich darauf verständigt, diese Frage im koalitionsfreien Raum zu lösen. Egal, wie die Sache dann ausgeht, ein vorzeitiges Ende der Koalition stehe nicht im Raum, betonten beide Parteivertreter.

Gemeinsam gegen verfassungsrechtliche Lücken

Ungeachtet des Scheiterns in der Mandatsverteilungsfrage werden die beiden Wiener Regierungsparteien trotzdem gemeinsame Anträge zum Wahlrecht einbringen. Diese betreffen aber vorrangig verfassungsrechtlich notwendige Reparaturen, die eine erfolgreiche Anfechtung der Wahl verhindern.

Konkret geht es dabei einerseits um die Abschaffung der Nachfrist für Briefwähler. Andererseits muss aufgrund eines höchstgerichtlichen Urteils bestimmten Strafgefangenen das Wahlrecht eingeräumt werden. Man werde diese Reparaturen gemeinsam im Landtag einbringen, „um nicht ein Jahr später wieder vor die Urnen hupfen zu müssen“, wie Niedermühlbichler sagte.

Außerdem will man drei Resolutionsanträge beschließen, um das Wahlrecht auf EU-Bürger und Drittstaatsangehörige auszuweiten und den Proporz, also die nicht amtsführenden Stadträte, abzuschaffen. Allerdings: Hier hat der Bund das letzte Wort.

Grüne wollen ÖVP und FPÖ einbinden

Was den grünen Antrag für ein Verhältniswahlrecht anbelangt, will der kleine Koalitionspartner eine Regelung analog zu Nationalratswahlen erreichen und damit den für die SPÖ vorteilhaften Mehrheitsfaktor eliminieren. „Das wäre der Idealfall aus grüner Sicht“, man sei sogar froh, nun nicht mehr um einen Kompromiss ringen zu müssen, so der grüne Klubchef Ellensohn. Er hofft auf Zustimmung der Oppositionsparteien: „Jetzt werden wir schauen, wie ernst es ÖVP und FPÖ meinen.“

Die Sache hat nur einen Haken: Sollte der grüne Antrag tatsächlich eine Mehrheit erreichen - gemeinsam haben Grüne, ÖVP und FPÖ im Landtag 51 von 100 Stimmen -, garantiert das noch kein neues Wahlrecht. Denn nach der Abstimmung im Landtag hat der zuständige Ausschuss ein Vorberatungsrecht - sprich: Er muss sein Okay geben, bevor die endgültige legistische Umsetzung in einer nächsten Landtagssitzung beschlossen werden kann. Und in diesem Ausschuss hat die SPÖ acht von 15 Sitzen, also weiterhin die absolute Mehrheit.

Wirksam erst bei nächster Wahl?

Niedermühlbichler wollte am Freitag auf Nachfrage nicht ausschließen, dass die Roten ein neues Verhältniswahlrecht blockieren werden: „So weit sind wir noch nicht.“ Sollte das nicht passieren, ist trotzdem fraglich, ob die neue Regelung noch für den Urnengang 2015 wirksam wird. Denn dass ein Gesetzesvorschlag im Zeitraum zwischen zwei aufeinanderfolgenden Landtagssitzungen fertig beraten sei, sei die Ausnahme. Wird der Antrag also Ende März eingebracht, könnten Wochen oder Monate vergehen, bis er zur Beschlussfassung in den Landtag kommt. Damit wird es für einen eventuellen Wahltermin im Juni - und auch für einen Oktober-Termin - äußerst knapp.

Ellensohn wiederum meinte: „Technisch gehen tut es leicht, wenn man will.“ Man könne ja auch außertourliche Ausschüsse oder Stadtparlamentssitzungen einberufen. Der grüne Klubchef will jedenfalls nicht mehr extra mit den Oppositionsparteien über den Antrag reden: „Das ist nicht notwendig. Alle kennen die Positionen.“

„Werde mit David weiterhin auf ein Bier gehen“

Die SPÖ habe dem zuletzt kolportierten Lösungsvorschlag, den mehrheitsfördernden Faktor von eins auf 0,6 und ab 2020 auf 0,5 zu reduzieren, nicht zugestimmt, „weil es kein Kompromiss war. Wir haben 0,75 angeboten, und das war den Grünen zu wenig.“ Auch aus Sicht der Grünen sei zuletzt eine „rote Linie“ überschritten worden, so Ellensohn.

Trotz der medial ausgetragenen Gefechte der vergangenen Tage sahen beide Chefverhandler das Koalitionsklima nicht beschädigt. „Ich werde mit dem David weiterhin auf ein Bier gehen und mir das eine oder andere Fußballmatch anschauen“, so Niedermühlbichler. „Eine Partnerschaft muss es aushalten, wenn man sich hin und wieder nicht einig ist.“ Ellensohn sah ebenfalls keinen Grund, die Zusammenarbeit vorzeitig aufzukündigen. Denn immerhin habe man 99 Prozent des Koalitionspakts gemeinsam abgearbeitet: „Wenn es nach uns geht, gibt es Rot-Grün auch nach 2015.“

Verbale Gefechte im Vorfeld

Eine Einigung in der Mandatsverteilungsfrage war zuletzt immer unwahrscheinlicher geworden: Die Koalition, allen voran Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) und Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne), hatten einander in den vergangenen Tagen über die Medien schwere Verbalgefechte geliefert. Zuletzt hatte die grüne Frontfrau den Roten gar ein Ultimatum gestellt, noch im Laufe dieser Woche einer angeblich schon fix ausgehandelten Lösung zuzustimmen oder diese abzulehnen. Die SPÖ hatte sich - wie bereits am Donnerstag durchgesickert - schließlich für Letzteres entschieden.

FPÖ fordert Neuwahlen

Von einem „vorläufigen Finale einer phasenweise tatsächlich nicht unamüsanten Komödie rund um das Wahlrecht“ sprach die Wiener FPÖ in einer Aussendung. Landesparteiobmann Heinz-Christian Strache forderte rasch Neuwahlen: „Dass die Koalition trotzdem fortgeführt werden soll, das ist eine gefährliche Drohung.“

FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus zeigte sich über den angekündigten Antrag der Grünen enttäuscht. „Sechsmal haben wir, teils gemeinsam mit der ÖVP, Anträge für das versprochene faire Wahlrecht eingebracht. Sechsmal haben die Grünen gemeinsam mit den Sozialisten diese Anträge in Ostblock-Manier niedergestimmt. Dass sie nun plötzlich selbst in einem Landtag Ende März einen gleichlautenden Antrag einbringen wollen, ist nicht wirklich ernst zu nehmen.“ Dennoch werde man mitstimmen, wie eine FPÖ-Sprecherin bestätigte, allerdings nur, wenn der Antrag mit den Vorgaben des Notariatsaktes ident sei - mehr dazu in oesterreich.ORF.at.

Als „endgültig gescheitert“ sieht der Wiener ÖVP-Obmann Manfred Juraczka die rot-grüne Koalition. „SPÖ und Grüne haben sich geeinigt: Wir bleiben an den Futtertrögen der Macht, sonst ändert sich gar nichts“, hieß es in einer Aussendung. „Das rot-grüne Koalitionsmikado hat mit einem Unentschieden geendet, Verlierer sind eindeutig die Wählerinnen und Wähler“, so Juraczka. Die ÖVP will mit FPÖ und Grünen eine gemeinsame Lösung finden, um einen direkten Beschluss umsetzen zu können.

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