Dem Patschenkino entwachsen
Neben über 400 Filmen werden heuer auf der Berlinale auch - erstmals in größerem Rahmen - acht Fernsehserien gezeigt. Das lang erwartete „Breaking Bad“-Spin-off „Better Call Saul“ ist ebenso darunter wie die neueste Produktion der „Borgen“-Produzenten aus Dänemark. Festivalchef Dieter Kosslick reagiert damit auf den grundlegenden Wandel der Branche.
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Das „historisch schizophrene Verhältnis zwischen Kino und Fernsehen“ sei für ihn eine „alte Diskussion“, sagte Kosslick - es sei an der Zeit, Strukturen aufzubrechen. Als Signal dafür hat er mit Matthew Weiner einen prominenten Serienmacher in die Jury des Festivals geholt, die bisher nur Größen aus dem Kinogeschäft vorbehalten war.
Der US-Amerikaner gilt als „König der Serie“: „Mad Men“ über eine Werbeagentur in den 1960er Jahren und „The Sopranos“ über Vorstadtmafiosi fanden weltweit Fans. Der Regisseur, Produzent und Autor gewann bereits neun Emmys, zwei Baftas und drei Golden Globes.

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Matthew Weiner wurde mit „Mad Men“ zum „König der Serie“
Mehr Platz für gute Geschichten
Geschichten, die früher im Film ihr Zuhause gehabt hätten, würden nun im Fernsehen erzählt, erklärte Weiner im Interview mit der „Stuttgarter Zeitung“ und nennt primär wirtschaftliche Gründe für die Fokusverschiebung. Das gesprochene Wort verliere vor allem im Kinogeschäft zunehmend an Bedeutung, je internationaler das Geschäft mit den Blockbustern werde. „Es geht nur noch um visuelles Spektakel – und um den kleinsten gemeinsamen Nenner, der im Mittleren Westen genauso verständlich und identifizierbar ist wie in China.“ Für Risiko und Experimente bleibe da nicht viel Raum.
Anders ist die Situation bei Fernsehproduktionen, wo man mit verhältnismäßig geringem Risiko Formate mit Pilotfolgen testen und bei positiver Resonanz schnell reagieren kann. Auf geänderte Sehgewohnheiten hat sich die Fernsehbranche dabei teils schon umgestellt, teils ist der Wandel gerade in vollem Gange.
Internetriesen treiben Wandel voran
Dank Internetstreaming braucht es nicht mehr zwingend wöchentliche Serienabende, Vorabveröffentlichungen auf DVD und im Netz werden vom früheren No-Go langsam zum Standard. Treibend hinter dieser Entwicklung stehen auch die Internetriesen Amazon und Netflix, die mit ihren eigenen Serienformaten spätestens bei den diesjährigen Golden Globes bewiesen haben, dass sie auf das richtige Pferd gesetzt haben.
TV-Hinweise
- „Kultur.montag“ berichtet von der Berlinale am Montag um 22.30 Uhr in ORF2.
- ORF2 zeigt die Sondersendung „Die Bären sind los - Preisverleihung und Höhepunkte der 65. Berlinale“ am Sonntag, dem 15. Februar, um 23.05 Uhr - mehr dazu in tv.ORF.at
Der Imagewandel wird auch durch eine stärkere personelle Durchlässigkeit zwischen den Formaten deutlich. Der Sprung auf die Leinwand bedeutete früher für Schauspieler den meist schwierigen Durchbruch im Beruf - heute ist ein umgekehrter Karriereweg nicht selten und oft kaum weniger prestigeträchtig. Die Hierarchieebenen haben sich deutlich angenähert - was auch deutlich wird, wenn Regisseure wie Woody Allen - der unlängst ankündigte, eine Serie für Amazon zu entwickeln - in die TV-Produktion wechseln.
Für Darren Aronofsky, US-Filmregisseur und Jurypräsident in Berlin, hat der Umbruch aber bei weitem nicht nur formale und wirtschaftliche Gründe. „Dramatische Inhalte scheinen im Fernsehen ein besseres Zuhause gefunden zu haben. Ich glaube, das liegt daran, dass man dort komplexe Figuren kreieren kann, die sich über einen längeren Zeitraum hinweg entwickeln.“
Gute Nachrichten für „Breaking Bad“-Fans
Bei der Berlinale werden - neben einem Rahmenprogramm aus Diskussionen und Vorträgen zum Thema - acht internationale Serien vorgestellt. Gezeigt werden jeweils die erste oder die ersten beiden Episoden. Die US-Produktion „Better Call Saul“ feiert zwei Tage nach der Erstausstrahlung im US-TV bei der Berlinale seine internationale Premiere. Die Serie ist das Spin-off der Erfolgsserie „Breaking Bad“ mit Bob Odenkirk als schmierigem Anwalt Saul Goodman - „the man who puts ‚criminal‘ in ‚criminal lawyer‘“.

AP/AMC/Ursula Coyote
Bob Odenkirk gibt in „Better Call Saul“ den schmierigen Anwalt
Einige Serien feiern auf der Berlinale überhaupt ihre Weltpremiere, darunter das amerikanische Familiendrama „Bloodline“ mit Sissy Spacek und Sam Shephard, in dem - wie es in der Vorankündigung heißt - „die Geheimnisse und Sünden von vier erwachsenen Geschwistern ans Tageslicht kommen, als das schwarze Schaf der Familie nach Hause zurückkehrt“.
Wirtschaftskriminalität statt Politisches aus Dänemark
Dass spannend aufbereitete „gefährliche Seilschaften“ ein breiteres internationales Publikum interessieren können, hat der dänische Rundfunk mit der Serie „Borgen“ bewiesen. Für „Follow the Money“ (Originaltitel „Bedraget“, dt.: „Betrogen“) wurden dieselben Produzenten engagiert, um sich nun von der Politik ab- und der Wirtschaftskriminalität zuzuwenden.

DRPresse/Christian Geisnæs
„Follow the Money“ erzählt von Geld, Macht und Korruption
„Was passiert mit Menschen, wenn sie durch Gier und Ehrgeiz korrumpiert werden? Es ist eine Geschichte von Spekulanten, Betrügern, Unternehmensbossen - und von den Verbrechen, die sie im Streben nach Reichtum begehen,“ heißt es in der offiziellen Ankündigung der Serie, die erst im Jänner 2016 ins dänische Fernsehen kommen soll.
Deutsche Serien mit Starbesetzung
Aus Deutschland ist Matthias Glasner mit der Serie „Blochin“ (ZDF) mit Jürgen Vogel in der Hauptrolle dabei. Der Schauspieler ist darin als Polizist zu sehen, der von seiner kriminellen Energie eingeholt wird. In „Deutschland 83“ (RTL) geht es hingegen um einen jungen DDR-Spion mit brisanter Mission in Westdeutschland. Zu den Darstellern gehören Jonas Nay, Maria Schrader, Ulrich Noethen und Sylvester Groth.

ZDF/Stephan Rabold
Jürgen Vogel als Protagonist der ZDF-Serie „Blochin“
Berlinale-Chef Kosslick ist sich jedenfalls sicher, dass Film und Fernsehen weiter zusammenwachsen werden, was auch bedeute, dass sich die Branche in vielen Belangen neu aufstellen und orientieren muss. „Ich glaube, dass sich manche Kinobesitzer darauf vorbereiten, genau das zu tun, was jetzt die Berlinale macht - nämlich vorab Serienteaser im Kino zeigen.“ Die Frage sei nun, ob es der „audiovisuellen Industrie“ gelinge, „eine friedliche Koexistenz von Kino mit großer Leinwand und großem Saal und Download oder Streaming bis auf die Armbanduhr herzustellen“.
Sophia Felbermair, ORF.at
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