Kritik an weinendem Propheten
Ein Gericht in der Türkei hat die Sperre von Internetseiten angeordnet, die das neue „Charlie Hebdo“-Titelbild mit einer Mohammed-Karikatur zeigen. Die Entscheidung sei auf Antrag eines Anwalts von einem Gericht in Diyarbakir im Südosten des mehrheitlich muslimischen Landes getroffen worden, meldete die Nachrichtenagentur Anadolu am Mittwoch.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Die Nachrichtenagentur DHA berichtete, der Anwalt habe damit das Erscheinen der Mohammed-Karikatur auf dem neuen „Charlie Hebdo“-Titelblatt in der Türkei verhindern wollen. Es ist die erste Ausgabe seit dem islamistischen Angriff auf das Satiremagazin vor einer Woche. Die Karikatur zeigt einen weinenden Propheten Mohammed, der unter der Überschrift „Alles ist vergeben“ („Tout est pardonne“) ein Schild mit der Aufschrift „Ich bin Charlie“ („Je suis Charlie“) hält.

ORF.at/Peter Falkner
Das Internetportal T24 sollte als eine von vier Websites gesperrt werden
In westlichen Medien wurde die Karikatur durchwegs positiv aufgenommen. Sogar von einer „Geste der Versöhnung“ war die Rede. Weltweit stieß das Titelblatt dagegen bei vielen Muslimen auf Kritik. Laut DHA bezog sich das Gericht bei seinem Beschluss auf vier Internetseiten, die das „Charlie“-Titelbild gezeigt hätten.
In der Nacht auf Donnerstag waren über das unabhängige Internetportal T24 jedoch weiterhin die kompletten 16 Seiten der neuen Ausgabe von „Charlie Hebdo“ in türkischer Übersetzung auch für Nutzer aus der Türkei zugänglich.
Polizei stoppte Lastwagen mit Zeitungen
In der mehrheitlich muslimischen Türkei veröffentlichte „Cumhuriyet“ („Republik“) als einzige Zeitung Auszüge aus der aktuellen Ausgabe des Satiremagazins. Das regierungskritische Blatt legte seiner Mittwoch-Ausgabe vier Seiten mit türkischer Übersetzung bei - und forderte damit einen Polizeieinsatz heraus.
Beamte hätten die Lastwagen mit den druckfrischen Exemplaren in der Nacht auf Mittwoch gestoppt, berichtete die Zeitung „Cumhuriyet“ auf ihrer Website. Nach einer Kontrolle habe die Polizei allerdings die Weiterfahrt erlaubt - obwohl sich auch ein Abdruck des aktuellen „Charlie“-Titelblatts in der Zeitung findet. Die Karikatur Mohammeds findet sich zwar nicht auf den vier Seiten der Beilage, dafür aber in einer Kommentarspalte anderswo im Blatt. Online veröffentlichte „Cumhuriyet“ die Karikatur jedoch nicht.
Sicherheitsvorkehrungen verschärft
Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu demonstrierten vor dem Redaktionsgebäude der Zeitung in Ankara proislamische Studenten. Der „Cumhuriyet“-Chefredakteur Utku Cakirözer berichtete der Nachrichtenagentur AFP am Mittwoch, telefonische Drohungen erhalten zu haben. Die Straße vor der Redaktion wurde für den Verkehr gesperrt, das Gebäude wurde von Spezialkräften der Polizei mit Wasserwerfern gesichert.
Der Abdruck des vierseitigen Auszugs aus der französischen Satirezeitung sei „ein Zeichen der Solidarität“, so Cakirözer. Er fügte hinzu, bei der Auswahl der Auszüge aus „Charlie Hebdo“ seien religiöse Empfindlichkeiten berücksichtigt worden. Die ultrakonservative Zeitung „Yeni Akit“ bezeichnete den Nachdruck dagegen als „große Provokation“. Alle anderen Medien in der Türkei verzichteten bisher auf Nachdrucke aus „Charlie Hebdo“ - mehrere Satireblätter bekundeten allerdings mit schwarzen Titelseiten und „Je suis Charlie“-Aufdruck ihre Solidarität mit den Opfern.
Link: