Suche nach Hintermännern läuft
Zwei Tage nach dem Attentat auf die Satirezeitung „Charlie Hebdo“ hat die französische Polizei ein Versteck der mutmaßlichen Attentäter nordöstlich von Paris gestürmt und die beiden Männer getötet. Anders als zuvor berichtet hatten die Brüder Cherif und Said Kouachi niemanden in ihrer Gewalt. Zeitgleich beendeten Spezialeinheiten die Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt im Osten von Paris. Der Täter wurde getötet, vier seiner insgesamt 21 Geiseln kamen ums Leben.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Der Anschlag in der „Charlie Hebdo“-Redaktion mit zwölf Toten am Mittwoch hatte weltweit für Entsetzen gesorgt. Einen Tag danach wurde in Montrouge südlich von Paris eine Polizistin erschossen - offenbar von dem späteren Geiselnehmer im Supermarkt, Amedy Coulibaly. Laut Staatsanwalt Francois Molins wurden auf einer am Tatort in Montrouge gefundenen Maske DNA-Spuren von Coulibaly gefunden, auch beschrieben Zeugen den Mann.
Nun suchen die Ermittler nach möglichen Hintermännern der drei getöteten Islamisten. Fünf Personen seien in Polizeigewahrsam, sagte Molins am späten Freitagabend in Paris. Die Freundin des Mannes, der Geiseln in einem jüdischen Supermarkt genommen hatte, sei noch nicht gefasst. Die Fahnder wollen nun herausfinden, woher die Waffen der Terroristen stammten und ob die Männer Anweisungen erhielten, „aus Frankreich, dem Ausland oder dem Jemen“, wie der Staatsanwalt sagte.
Mitarbeiter der Druckerei informierte Polizei
Wie am späten Freitagabend bekanntwurde, waren die Einsatzkräfte an beiden Tatorten gut über die Vorgänge im Inneren der Gebäude informiert. Beim Überfall der islamistischen Kouachi-Brüder auf eine Druckerei in Dammartin-en-Goele nordöstlich von Paris konnte sich ein Mann in einem Karton verstecken und per Telefon die Fahnder detailreich über die Örtlichkeit informieren. Die beiden Terroristen, die sich in einem anderen Teil des Industriegebäudes aufhielten, hätten den Mann nicht entdeckt. Sie nahmen zunächst den Geschäftsführer der Druckerei als Geisel, ließen ihn aber später gehen, wie Molins sagte. Ein Mitarbeiter des Unternehmens konnte sich vor den Islamisten verstecken und unentdeckt bleiben.

APA/AP/Michel Euler
17 Geiseln im Supermarkt konnten aus der Gewalt des Attentäters befreit werden
„Kurz vor 17.00 Uhr öffnet sich die Eingangstür im Erdgeschoß des Unternehmens für mehrere Minuten um 15 Zentimeter“, fuhr Molins in der Schilderung fort. „Dann kommen die beiden Brüder mit Sturmgewehren heraus und schießen in Richtung der Ordnungskräfte.“ Die Eliteeinheiten hätten zunächst versucht, die Islamisten mit nicht tödlichen Granaten außer Gefecht zu setzen. Da die „beiden Terroristen“ aber weiter gefeuert hätten, hätten sie die Polizisten „neutralisieren“ müssen und haben sie dann erschossen. Der 34-jährige Said Kouachi soll außerdem bereits am Freitagvormittag leicht am Hals verletzt worden sein, als es auf einer Nationalstraße einen Schusswechsel mit Polizisten gab.
Attentäter über schlecht aufgelegtes Telefon belauscht
In Paris konnten die Einsatzkräfte wegen eines vom Attentäter Coulibaly nicht richtig aufgelegten Telefons live mithören, was dort während der Geiselnahme im Supermarkt geschah. Die vier getöteten Geiseln starben laut Molins schon vor der Befreiungsaktion der Polizei. Sie seien „wahrscheinlich“ erschossen worden, als der islamistische Geiselnehmer zu Mittag in das Geschäft stürmte, so der Staatsanwalt. Die Polizei entschloss sich laut AFP kurz nach 17.00 Uhr zum Zugriff, als sich der Attentäter etwas entspannte. Der Sender BMFTV berichtete, der Angriff habe begonnen, als Coulibaly Gebete sprach. Bei dem nachfolgenden Einsatz wurden sieben Menschen verletzt, darunter drei Polizisten.
„Charlie“-Anschlag angeblich gemeinsam geplant
Unbestätigten Angaben zufolge sollen alle drei Täter derselben Dschihadistengruppe angehört haben. Coulibaly hatte den Sender BFMTV angerufen und erklärt, er wolle die Palästinenser verteidigen und auf Juden zielen. Er habe Verbindungen zur Extremistenmiliz Islamischer Staat (IS) und habe gemeinsam mit den Kouachi-Brüdern seine Tat und den Anschlag auf „Charlie Hebdo“ geplant, sagte Coulibaly. „Wir haben uns abgestimmt.“
Demselben Sender hatte Cherif Kouachi in einem Telefonat aus der Druckerei erklärt, er habe finanzielle Unterstützung vom Al-Kaida-Prediger Anwar al-Awlaki erhalten, der zahlreiche Extremisten angeworben hat. „Ich wurde von der Al-Kaida im Jemen entsandt, ich, Cherif Kouachi.“ Er sei vor dem Tod Awlakis im Jemen gewesen. Dieser war im September 2011 getötet worden.
Mitglieder des „Buttes-Chaumont-Netzwerks“
Den französischen Sicherheitsbehörden war das Brüderpaar mit algerischen Wurzeln bekannt. Cherif Kouachi wurde in Frankreich schon 2008 wegen seiner Zugehörigkeit zu einem Dschihadistennetzwerk zu drei Jahren Haft verurteilt, davon 1,5 Jahre auf Bewährung. Er trug den Spitznamen „Abou Issen“. 1982 in Paris als Sohn algerischer Eltern geboren, war Cherif Mitglied des nach einem Park im 19. Pariser Bezirk benannten „Buttes-Chaumont-Netzwerks“, das Dschihadisten zum Kampf gegen die US-Truppen in den Irak schickte. Er wurde 2005 festgenommen, kurz bevor er selbst über Syrien in den Irak reisen konnte.
Seine Radikalisierung hatte bereits früher begonnen: Anfang der 2000er Jahre besuchten Cherif und sein zwei Jahre älterer Bruder Said in Paris Korankurse bei dem selbst ernannten „Emir“ Farid Benjettou, der für den Dschihad im Irak warb und das „Buttes-Chaumont-Netzwerk“ anführte. Bei Vernehmungen sagte Benjettou, Cherif Kouachi sei „sehr impulsiv und sehr aggressiv“ gewesen und habe von Plänen gesprochen, vor einer Ausreise zum Dschihad einen Angriff auf Juden in Frankreich zu verüben. Laut Innenminister Bernard Cazeneuve beschrieben Komplizen Kouachi als „äußerst antisemitisch“.

APA/EPA/Französische Polizei
Die Brüder Cherif und Said Kouachi auf den offiziellen Fahndungsfotos
Im Gefängnis lernte Cherif Kouachi später den gewaltbereiten Islamisten Dschamel Beghal kennen, der wegen der Vorbereitung von Anschlägen eine zehnjährige Haftstrafe absaß. Seitdem soll er unter dessen Einfluss gestanden und einen „sehr strengen Islam“ praktiziert haben, heißt es aus informierten Kreisen. Er wurde offenbar schon in Frankreich in den Umgang mit Waffen eingewiesen. Experten vermuten zudem, dass er später doch noch in den Irak reiste. Eine Bestätigung dafür gibt es aber nicht.
„Charlie“-Anschlag im Auftrag von IS?
Verbindungen gibt es laut dem renommierten Islamexperten Jean-Pierre Filiu auch zum IS: Anfang der 2000er Jahre war neben Cherif Kouachi auch der Franko-Tunesier Boubaker al-Hakim Mitglied des „Buttes-Chaumont-Netzwerks“. Hakim hat sich zu der Ermordung zweier tunesischer Oppositioneller im Jahr 2013 bekannt und kämpft derzeit für den IS in Syrien. Es sei „unmöglich“, dass der Anschlag bei „Charlie Hebdo“ nicht vom IS in Auftrag gegeben worden ist, ist Filiu überzeugt.
Über Said Kouachi war zunächst weniger bekannt als über seinen jüngeren Bruder. Er wurde nie strafrechtlich belangt, die französischen Sicherheitsbehörden hatten sich vor allem bei Ermittlungen zu Cherif mit ihm beschäftigt. Die US-Zeitung „New York Times“ berichtete aber unter Berufung auf US-Vertreter, Said sei 2011 „mehrere Monate lang“ im Jemen gewesen und dort von Al-Kaida trainiert worden. Beide Brüder standen seit Jahren auf einer Terrorliste der USA, unter anderem war ihnen verboten, in die USA zu fliegen.
Links: