Gerettete klagen über Chaos
Unter den 427 von Bord der abgebrannten Fähre „Norman Atlantic“ Geretteten befinden sich auch alle fünf österreichischen Passagiere. Das bestätigte Montagabend der Sprecher des Außenministeriums, Martin Weiss.
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Der Salzburger Erwin Schrümpf sei in Sicherheit, so Weiss. Er sei laut Angaben der italienischen Küstenwache mittlerweile an Bord des italienischen Marineschiffs „San Giorgio“. Bis zuletzt hatte zu Schrümpf kein Kontakt bestanden. Davor hatte es am Nachmittag bereits geheißen, dass ein bis dahin vermisster Vorarlberger in Sicherheit sei. Die drei anderen Österreicher, darunter die Mutter des Vorarlbergers, waren zu dem Zeitpunkt bereits in Sicherheit.
Berichte über Chaos bei Evakuierung
Viele der Geretteten machten der offenbar völlig überforderten Crew schwere Vorwürfe. Sie erzählen von einem Chaos, nachdem am Sonntag ein Feuer an Bord der Fähre ausgebrochen war. „Man hat uns keine Anweisung gegeben. Es gab nur einen einzigen Notausgang auf Deck sechs in Richtung Bug. Es herrschte dort absolute Panik wegen des Gedränges. Es gab keinerlei Koordination, niemand hat die Leute beruhigt“, so eine Passagierin im griechischen Fernsehen.

APA/AP/Italian Navy
Mit dem Helikopter wurden die Passagiere von Bord gebracht
„Das größte Rettungsboot für 150 Menschen war mit nur 60 Leuten besetzt. Das Personal war praktisch nicht vorhanden,“ so die Frau weiter. Unter den Passagieren soll es zudem zu Schlägereien um Plätze in Rettungsbooten und im Hubschrauber gekommen sein.
Prügelei um Rettungsplätze
„Die Männer wurden im unteren Teil des Schiffes versammelt, denn man wollte Kindern, älteren Menschen und Frauen Vorrang bei der Rettung geben“, erzählte die griechische Sopranistin Dimitra Theodossiou gegenüber der Tageszeitung „La Repubblica“ (Onlineausgabe). „Die Männer wollten jedoch davon nichts wissen, sie schlugen uns und schoben uns weg, um sich als Erste in Sicherheit zu bringen. Es war schrecklich, ich werde es nie vergessen.“ „Ich habe an Bord aber auch viel Solidarität erlebt. Menschen nahmen sich an der Hand und machten sich gegenseitig Mut. Sie sagten: ‚Wir werden es schaffen‘“, so die Sängerin weiter.
Brandalarm nicht ausgelöst
Über Schlägereien an Bord berichtete auch ein griechischer Lkw-Fahrer. „Die Menschen traten sich gegenseitig, um in den Hubschrauber einzusteigen. Wir haben versucht, für Ordnung zu sorgen und Kindern und Frauen den Vorrang bei der Rettung zu geben. Einige Männer haben jedoch begonnen, uns zu schlagen, weil sie als Erste zum Helikopter gelangen wollten“, sagte der 32-Jährige. Ein türkischer Passagier berichtete, dass kein Brandalarm ertönt sei. „Die Passagiere haben sich gegenseitig geweckt. Wir haben eine Situation wie an Bord der Titanic erlebt. Zum Glück sind wir nicht zugrunde gegangen“, berichtete der Passagier.
Grieche starb neben Ehefrau im Wasser
Andere erzählen von Panik und Verzweiflung. "Mein Mann und ich sind mehr als vier Stunden im Wasser gewesen. Ich wollte ihn retten, habe es aber nicht geschafft. Er sagte „Wir sterben, wir sterben“, erzählte die Frau eines Todesopfers. „Wir sahen ein Schiff in der Ferne, doch es war zu weit weg. Mein Mann blutete aus der Nase, er hatte sich im Schiff verletzt. Nachdem uns ein Mitglied der Rettungskräfte in Sicherheit gebracht hat, ist mein Mann in seinen Armen gestorben“, berichtete die griechische Frau.

APA/EPA/Luca Turi
Gerettete Passagiere auf einem der umliegenden Frachtschiffe
Sie habe einen weiteren Toten gesehen. „Ein Mann hatte eine Schwimmweste an, man sah jedoch, dass er tot war“, so die Frau, die in einem Krankenhaus nahe der apulischen Stadt Lecce behandelt wird. „Das Schiff hätte bei diesem schlechtem Wetter nicht abfahren sollen. Ich wusste nicht, dass die Lage so schlimm war, sonst hätte ich niemals mein Leben riskiert“, so die Witwe.
„Feuer ist das Schlimmste“
Wegen des schlechten Wetters konnten Passagiere und Besatzungsmitglieder nicht von anderen Schiffen aufgenommen werden, sondern mussten einzeln mit Hubschraubern von Bord gehievt werden. Auf Videos vom Unglücksort war zu sehen, wie Menschen mit Schwimmwesten in Gruppen auf den obersten Decks standen und warteten, bis sie von den Hubschraubern abgeholt wurden. Aus dem Rumpf des Schiffes quollen dicke Rauchschwaden. Das Feuer selbst konnte nach Auskunft der Reederei Anek noch am Sonntagabend unter Kontrolle gebracht werden.

APA; ORF.at
Der griechische Schifffahrtsexperte Giorgos Margetis sagte im Fernsehen, bei dem Unfall seien mehrere unglückliche Umstände zusammengekommen. „Zunächst das Feuer, das sich ausgesprochen schnell ausgebreitet hat. Feuer ist das Schlimmste, was auf einem Schiff passieren kann. Dazu hatten wir extrem schlechtes Wetter, bis Windstärke zehn. Das passiert auf unseren Meeren vielleicht zwei-, dreimal im Jahr.“
Abstimmungsprobleme zwischen beteiligten Ländern
Für Hubschrauber ist das eine Riesenherausforderung. „Die Flammen zu überfliegen ist keine leichte Sache“, sagte der Ex-General der italienischen Luftwaffe, Vincenzo Camporini. „Zudem macht es die Sache noch komplizierter, wenn sich so viele Institutionen koordinieren müssen.“
Medien spekulierten bereits über Abstimmungsprobleme zwischen den Ländern. So soll Griechenland zum Beispiel favorisiert haben, dass die „Norman Atlantic“ ins nähere Albanien geschleppt werde. Doch das sollen die Italiener, die das Kommando bei der Operation haben, nicht unterstützt haben. Bei der Abschleppaktion riss dann zu allem Überfluss noch ein Tau und hielt die Retter weiter auf.
Unglücksursache unklar
Die „Norman Atlantic“ der griechischen Anek Lines war auf dem Weg von Patras in Griechenland nach Ancona in Italien, als Sonntagfrüh nordwestlich der Insel Korfu vermutlich auf dem Autodeck ein Feuer ausbrach. Das Schiff trieb anschließend manövrierunfähig zwischen der italienischen und der albanischen Küste. Über die Ursache des Brandes auf dem Schiff wurde weiter spekuliert. Lkw-Fahrer sagten in griechischen Medien, dass das Fahrzeugdeck überladen gewesen sei. Ein Funke könne da schnell einen Brand auslösen.
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