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Unkonventioneller Bautechniker

Unter den europäischen Institutionen, denen heuer ein Wechsel an der Spitze bevorsteht, ist auch die Europäische Raumfahrtagentur (ESA). Nach drei Amtszeiten zu je vier Jahren übergibt der Franzose Jean-Jacques Dordain Mitte 2015 an den Deutschen Johann-Dietrich Wörner. Das Besondere daran: Wörner ist eigentlich Professor für Hoch- und Tiefbaustatik.

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Dass der renommierte Bautechniker nun die europäische Raumfahrt koordinieren soll, scheint aber nur auf den ersten Blick eigenartig. Wörner hat sich in den vergangenen Jahren weit aus seinem Sachbereich herausgearbeitet. Seine Spezialisierung auf die statische Beschaffenheit von Stahl- und Glasteilen führte ihn schon vor längerer Zeit auch ins Raumfahrtmetier. Seit 2007 ist er Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).

Hansdampf in allen akademischen Gassen

Der in Kassel geborene studierte Bauingenieur promovierte 1985 an der Technischen Hochschule Darmstadt. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Ehrendoktorwürden, unter anderem von der State University New York, der Universität St. Petersburg für Wirtschaft und Finanzen und der Ecole Centrale de Lyon. Wörner ist Ritter der französischen Ehrenlegion und Träger des hessischen Verdienstordens. Vor seiner Zeit als DLR-Vorstandschef war er Präsident der Technischen Universität Darmstadt.

Chef der Europäischen Weltraumagentur ESA Johann-Dietrich Wörner

APA/dpa/Arne Dedert

Johann-Dietrich Wörner

Mit der Wahl Wörners beweist die ESA Mut zu einer unkonventionellen Personalentscheidung, auch abseits des ursprünglich fachfremden akademischen Hintergrunds. Der 60-jährige Wörner gilt als Querdenker, der mit allen gut kann. Nicht umsonst ist er, nachdem er erfolgreich bei dem heiklen Frankfurter Flughafenbau zwischen Bürgergruppen und Bauherr vermittelt hatte, auch als Krisenkoordinator beim umstrittenen Bauprojekt „Stuttgart 21“ eingesetzt worden.

Frankreich übergibt wieder an Deutschland

Wörner wird in der 40-jährigen ESA-Geschichte der zweite Deutsche an der Spitze der Organisation sein. Von 1984 bis 1990 hatte der deutsche Physiker Reimar Lüst die 1975 gegründete ESA geleitet. Wörner übernimmt das Amt des ESA-Generaldirektors am 1. Juli 2015 für vier Jahre, wie die Organisation Mitte Dezember mitteilte. Die Amtszeit des Franzosen Dordain, der die Führungsposition bei der ESA seit 2003 innehat, endet am 30. Juni.

Die Raumfahrtkoordinatorin der deutschen Bundesregierung, Brigitte Zypries (SPD), äußerte sich erfreut, dass mit Wörner „der Wunschkandidat der Bundesregierung so überzeugend gewählt wurde“. Er verfüge durch seine langjährige Tätigkeit als DLR-Vorstandsvorsitzender und als Vorsitzender des ESA-Rats auf Delegationsebene über eine „hervorragende themenübergreifende Expertise“. Wörner werde der ESA „das notwendige Gewicht verleihen“, erklärte Zypries.

ESA wächst weiter

Die ESA fördert und koordiniert die Entwicklung der europäischen Raumfahrt. Ihr Budget lag 2014 bei rund 4,1 Milliarden Euro. Die wissenschaftlichen Projekte der ESA reichen von der Erforschung der Erde, ihres unmittelbaren Umfelds, des Sonnensystems und des Universums über die Entwicklung satellitengestützter Technologien und Dienstleistungen bis hin zur Förderung verschiedener europäischer Hightech-Industrien.

Der ESA gehören 20 Mitgliedstaaten an: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, die Schweiz, Spanien und die Tschechische Republik. Neun weitere Staaten haben Kooperationsverträge mit der ESA getroffen: Estland, Kanada, Lettland, Litauen, Slowenien, die Slowakische Republik, Ungarn und Zypern. Bulgarien und Malta verhandeln derzeit über Kooperationsverträge.

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