Zeitungen und Fernsehsender durchsucht
Die türkische Polizei ist am Sonntag mit einer landesweiten Razzia gegen Anhänger des regierungskritischen islamischen Predigers Fethullah Gülen vorgegangen. Insgesamt gab es laut der Nachrichtenagentur Anadolu Durchsuchungen in 13 Städten. 24 Menschen seien festgenommen worden, darunter der Chefredakteur der Zeitung „Zaman“, Ekrem Dumanli, und der ehemalige Leiter der Istanbuler Anti-Terror-Einheit.
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Vor der „Zaman“-Redaktion am Rande von Istanbul versammelte sich in der Früh eine Menschenmenge. „Die freie Presse kann nicht zum Schweigen gebracht werden“, riefen Demonstranten. Chefredakteur Dumanli wandte sich an die Unterstützer und forderte die Polizei heraus, ihn zu verhaften. Die Beamten zogen zunächst ab, kehrten am Nachmittag aber zurück und verhafteten Dumanli trotz der Protestkundgebung vor dem Gebäude.
Auch der Chef des Fernsehsenders Samanyolu, Hidayet Karaca, sowie mehrere Produzenten, Autoren und Polizeibeamte wurden festgenommen. Laut Anadolu wird ihnen unter anderem die Bildung einer umstürzlerischen Vereinigung vorgeworfen. Die Zeitung „Zaman“ und der Medienkonzern Samanyolu stehen Gülen nahe. Wie bei früheren Razzien war die Aktion zuvor durch einen mysteriösen Twitter-Nutzer namens Fuat Avni bekanntgemacht worden, der vor der Festnahme von 400 Menschen warnte, darunter rund 150 Journalisten.
Erdogan: Handlanger „böser Mächte“
Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte am Freitag angekündigt, er werde die Gülen-Anhänger „bis in ihre Schlupfwinkel“ verfolgen. Sie seien Handlanger „böser Mächte im In- und Ausland“. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu äußerte sich zunächst nicht zu den Razzien. Auf einer Veranstaltung der islamisch-konservativen Regierungspartei in der osttürkischen Provinz Elazig sprach er am Sonntag lediglich von einem „Tag der Prüfung“: „Jeder wird dafür zahlen, was er getan hat und für sein antidemokratisches Verhalten“, sagte der Erdogan-Vertraute.
Opposition spricht von „Putsch“
Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu warf der Regierung am Sonntag einen „Putsch“ vor und solidarisierte sich mit den von der Razzia Betroffenen. TV-Chef Karaca nannte die Razzien „beschämend“ für die Türkei. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) verurteilte die Festnahmen in einer Mitteilung als „hartes Durchgreifen gegen kritische Medien“.
Kurz: „Unfassbarer Angriff auf Meinungsfreiheit“
Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) kritisierte die Verhaftungswelle am Montag scharf: „Das ist meiner Meinung nach ein unfassbarer Angriff auf die Meinungs- und Medienfreiheit in der Türkei“, so Kurz: „Die Türkei stellt sich damit ganz klar außerhalb unserer europäischen Wertvorstellungen.“ Hier dürfe die EU nicht wegsehen. Es brauche stattdessen klare Worte und entsprechenden Druck in Richtung Türkei, damit sich das Land nicht noch weiter in eine Richtung entwickle, die letztlich die falsche sei.
Auch EU-Kommissar Johannes Hahn (ÖVP) äußerte sich besorgt angesichts der Geschehnisse als Rechtsverletzung: „Als Politiker kann man nicht immer damit übereinstimmen, was die Medien über dich schreiben - aber du musst es in einer Demokratie akzeptieren.“ In diesen Fragen sei Europa sehr wachsam. Aber: „Wir bleiben trotzdem im Gespräch.“ Die Türkei ist seit 1999 EU-Beitrittskandidat, wobei seit 2005 darüber verhandelt wird.
Zuvor hatte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini scharfe Kritik geübt. Das Vorgehen sei mit dem Recht auf Pressefreiheit nicht vereinbar und laufe den europäischen Werten zuwider. Auch die USA äußerten sich besorgt. Sie riefen die Türkei „als Freund und Verbündeten“ auf, nichts zu unternehmen, was gegen die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz verstoße, sagte Außenministeriumssprecherin Jen Psaki in Washington.
Ein Jahr nach Korruptionsskandal
Die Razzien erfolgten fast auf den Tag genau ein Jahr, nachdem die Staatsanwaltschaft umfassende Ermittlungen zu einem Korruptionsskandal im Umfeld des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Staatschefs Erdogan eingeleitet hatte. Im Zuge der Ermittlungen wurden zahlreiche Geschäftsleute und Politiker von Erdogans islamisch-konservativer AKP festgenommen.
Der Regierungschef warf daraufhin Gülens Hizmet-Bewegung vor, Polizei und Justiz unterwandert und die Ermittlungen initiiert zu haben, um seine Regierung zu stürzen. Als Reaktion ließ Erdogan Tausende Polizisten und Staatsanwälte versetzen oder entlassen. Die eingeleiteten Korruptionsverfahren wurden inzwischen allesamt folgenlos eingestellt. Erdogan verschärfte zudem die Kontrolle des Internets und stärkte die Befugnisse der Polizei.
Der seit 1997 in den USA lebende Gülen war lange ein Verbündeter und Weggefährte Erdogans gewesen, brach jedoch mit ihm, als die Regierung versuchte, das vom ihm betriebene Netzwerk von Schulen und Nachhilfeeinrichtungen unter ihre Kontrolle zu bringen. Erst am Samstag hatte Gülen das Vorgehen der Behörden gegen Andersdenkende als „Hexenjagd“ bezeichnet.
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