Krieg im Schokolademantel
Seit einigen Jahren findet im britischen Werbefernsehen vor Weihnachten das große Wettrüsten statt: Die Spots werden immer aufwendiger und kostspieliger, und eine Überdosis Sentimentalität ist Pflicht. Heuer glaubte die Handelskette Sainsbury’s, mit einem Minifilm über den Weihnachtsfrieden 1914 punkten zu können, und setzte sich damit gewaltig in die Nesseln.
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In drei Minuten und 40 Sekunden erzählt die Werbung, wie ein junger britischer Soldat am Morgen des Weihnachtstags 1914 allein und unbewaffnet aus dem Schützengraben steigt. Ein Deutscher als Gegenpart rettet ihn im letzten Moment vor Gewehrsalven. Wenig später liegen sich Deutsche und Briten kompanieweise zwischen den Fronten in den Armen, nur um bald darauf wieder in ihre Stellungen zu müssen. Der Deutsche entdeckt, dass ihm der Brite seine Weihnachtsration an Schokolade zugesteckt hat. Insert: „Zu Weihnachten geht es ums Teilen“. Firmenlogo. Ende. Empörung beim Publikum perfekt.
Hunderte Beschwerden
Sainsbury’s hatte gewusst, dass der Spot heikel ist. Die Handelskette hatte sich eigens den Segen der britischen Veteranenvereinigung (The Royal British Legion) geholt. Trotzdem waren beim britischen Werbebeirat (Advertising Standards Authoritiy) bereits unmittelbar nach dem Start der Kampagne rekordverdächtige 240 Beschwerden registriert. Es geht dabei wohl weniger um den Protest gegen das Kriegssujet als vielmehr den Zorn über das Spiel mit dem britischen Nationalstolz.

AP/Sainsbury's
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Der Erste Weltkrieg hat im kollektiven Bewusstsein der Briten einen besonderen Platz. Er war vereinfacht gesagt der Moment, in dem sich die Briten als eigene Nation begriffen und nicht bloß als Kopf eines großen kolonialistischen Commonwealth. Die Gedenkveranstaltungen zum 100. Jahrestag des Kriegsbeginns nehmen viel mehr Platz im öffentlichen Bewusstsein ein als selbst in Frankreich. Erinnert sei etwa an die Installation mit 888.246 Mohnblüten aus roter Keramik - eine für jeden getöteten Soldaten - im Graben des Londoner Tower, die bis November fünf Millionen Besucher großteils aus dem Inland anzog.
„Filmschokolade“ in Geschäften erhältlich
Zudem spielt eine Rolle, dass sich Großbritannien seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 im Nahen Osten an der Seite der USA militärisch engagiert, von Afghanistan über den Irak bis nun (begrenzt) in Syrien. Krieg ist für die Briten etwas Gegenwärtiges. Viele hat wohl erzürnt, dass der Werbespot ihre Sorge um Angehörige oder Freunde beim Militär in bare Münze umwandeln will - sogar mit einer nun angebotenen Schokolade im Retrodesign, wie sie im Film vorkommt, auch wenn der Erlös daraus der Royal British Legion zukommt.

AP/Sainsbury's
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Kritisiert wurde außerdem, dass die Werbung den Krieg als „keimfrei saubere“ Angelegenheit darstellt - ohne Ratten, Läuse, Verletzungen und Dreck. Der auf Werbepsychologie spezialisierte Uniprofessor Leslie Hallam findet den Spot von Sainsbury’s generell „ein wenig mutig“, wie er gegenüber der Nachrichtenagentur AP formulierte. Das sei nicht als Lob gedacht, gibt er zu verstehen. Das Weltkriegssujet sei wohl nur noch durch ein mit Firmenlogo versehenes nachgestelltes Prinzessin-Diana-Begräbnis zu schlagen.
Andere reagierten noch heftiger, etwa „Guardian“-Kolumnist Ally Fogg. Er fragte rhetorisch, was wohl als Nächstes käme: „Nächstes Jahr zu Weihnachten eine Werbung mit einer rührenden kleinen Szene, in der ein jüdisches Kind und ein behindertes Kind in Auschwitz auf dem Weg zu den Gaskammern Geschenke für Weihnachten und Chanukah austauschen?“ Moralisch sei da kein großer Unterschied mehr, so Fogg. Krieg sei Grauen, die Werbung blende das aber aus und zeige einen keimfreien aufgeräumten Krieg, um die Kauflust nicht zu bremsen.
Her mit den putzigen Pinguinen!
Sainsbury’s gab sich von der Kritik unbeeindruckt und verwies auf die Billigung durch die Royal British Legion sowie die Konsultation von Historikern zur authentischen Darstellung der Szenen. Und auch der Historiker Robert Foley räumte ein, Sainsbury’s habe „wirklich den Nerv der britischen Bevölkerung getroffen. Niemand redet noch über etwas anderes.“ Freilich: „Monty, der Pinguin“, die harmlos-putzige Konkurrenzwerbung der Kaufhauskette John Lewis, traf - wenn man das Echo im Internet verfolgt - den Nerv der Bevölkerung noch genauer.
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