Kein „schöner ritterlicher Waffengang“
Weltweit rund 40 beteiligte Länder, 70 Millionen Menschen unter Waffen und geschätzte 17 Mio. Tote: So lautet die Bilanz jenes Krieges, der mit der österreichisch-ungarischen Kriegserklärung an Serbien am 28. Juli 1914 seinen Anfang nahm. Ob der Erste Weltkrieg noch zu verhindern gewesen wäre, ist bis heute Gegenstand heftiger Debatten.
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Die Ursachen dafür sind vielfältig - vollkommen unterschätzt worden sei aber der „umfassende Einsatz von Maschinen“, wie aus dem vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der deutschen Bundeswehr (ZMSBw) herausgegebenen Buch „Der Erste Weltkrieg, 1914 - 1918“ hervorgeht.

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Panzer waren ab September 1916 im Einsatz
Auf dem Schlachtfeld sorgten neue schlagkräftige Waffen für bis dahin beispiellos hohe Opferzahlen. Der ständig steigende Bedarf an Munition und Kriegsgerät führte gleichzeitig zu einer regelrechten Industrialisierung der Kriegsführung - es galt, „in nie gekanntem Umfang Gewalt und Vernichtung zu produzieren“. Einmal ausgelöst, erfasste der Erste Weltkrieg nach und nach alle gesellschaftlichen Bereiche und wurde damit auch „zum Prototyp des totalen Krieges“.
„Inbegriff des Scheiterns“
Von einer „industrialisierten Kriegsmaschinerie“, die Millionen von Toten forderte und ganze Landstriche in Schutt und Asche legte, sprach in diesem Zusammenhang auch der Historiker und Leiter der Wienbibliothek im Rathaus, Alfred Pfoser. Der Chef des Österreichischen Staatsarchivs, Wolfgang Maderthaner, brachte eine der wohl größten Fehleinschätzungen der Kriegsplaner auf den Punkt: „Sie zogen in einen klassischen vormodernen Krieg und wurden mit einer bisher beispiellosen Vernichtungstechnologie konfrontiert.“
Deutschland stand laut den Autoren von „Der Erste Weltkrieg, 1914 - 1918“ schon am Ende des ersten Kriegsjahres „vor den Trümmern seiner operativ-strategischen Kriegsplanung“. Als beispielhaft gilt hier die Schlacht an der Marne, die für das deutsche Heer zum „Inbegriff des Scheiterns“ wurde. Neben „massiven Fehleinschätzungen“ unter anderem in Bezug auf die militärische Infrastruktur und damit auch den Nachschub von Waffen und Munition gilt auch die „erhebliche Überschätzung“ des „menschlichen Leistungsvermögens“ als eine der zentralen Ursachen.

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Das Maschinengewehr wurde zu einer der tödlichsten Waffen
Aufreibende Materialschlachten
Die Kriegsstrategen mussten erkennen, „dass Angriffe dichter Infanterielinien gegen einen mit Maschinenwaffen ausgerüsteten Verteidiger unter hohen Verlusten zusammenbrachen. Die weit verbreitete Vorstellung, moderne Waffentechnik mit dem ungestümen Offensivgeist der Truppe zu übertrumpfen, zerbrach an den Realitäten des Schlachtfeldes.“
„Mit einem schönen ritterlichen Waffengang wie 1870/71 (Deutsch-Französischer Krieg, Anm.)“ sei der kombinierte Einsatz von Panzern, Flugzeugen und Artillerie nicht mehr vergleichbar gewesen, wie aus dem Tagebuch eines deutschen Divisionskommandeurs zitiert wurde: Durch den „Masseneinsatz maschineller Vernichtungswerkzeuge“ habe der Krieg vielmehr eine Form gewonnen, „der die menschlichen Nerven der Truppe einfach nicht mehr gewachsen sind“.
Dazu kommt, dass aus dem ursprünglich geplanten kurzen Waffengang ein langer Zweifrontenkrieg samt Seeblockade wurde, wofür „weder im Heer und der Marine noch in der Politik Planungen“ existierten. Geprägt wurde der weitere Kriegsverlauf schließlich von aufreibenden Materialschlachten.
„Inbegriff des Standardisierten“
Eine zentrale Rolle spielte hier der massive Einsatz von Artillerie. Mit schweren Mörsern, darunter die laut „Welt“ als „Deutschlands erste Wunderwaffe“ bezeichnete „Dicke Bertha“, wurden ganze Landstriche regelrecht umgepflügt. Allein auf dem Höhepunkt der Marne-Schlacht im September 1914 wurde laut „Spiegel“ mehr Munition als im ganzen Deutsch-Französischen Krieg verschossen, „und der dauerte immerhin über sechs Monate“.
Neben schwerer Artillerie wurde auch das bereits 1885 vom Amerikaner Hiram Maxim entwickelte Maschinengewehr „zur charakteristischen Waffe des Ersten Weltkrieges“. Anfangs mit einigen hunderten MGs ausgerüstet, waren es beim deutschen Heer zu Kriegsende weit über 100.000. Darunter findet sich auch das Modell 08/15, das nicht nur Pate für die bis heute gebräuchliche Redewendung stand, sondern von Peter Berz in „08/15: ein Standard des 20. Jahrhunderts“ als „Inbegriff des Standardisierten“ bezeichnet wird. Dazu kommen Flammenwerfer, Handgranaten und automatische Pistolen, die im Nahkampf zu „unverzichtbaren Waffen“ wurden.

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„Deutschlands erste Wunderwaffe“: Der Riesenmörser „Dicke Bertha“
„Die am meisten überschätzte Waffe“
Obwohl ein flagranter Verstoß gegen die Haager Landkriegsordnung von 1899, wurde ab April 1915 auch das Tabu eines Giftgaseinsatzes gebrochen. Doch weder Giftgas noch die seit September 1916 von den Briten erstmals eingesetzten Panzer konnten die starren Fronten durchbrechen und den Stellungskrieg beenden.
Die „tatsächliche Effektivität“ dieser Waffen ist bis heute umstritten und entzweit die Historiker. Deutlich wird das am Beispiel der hauptsächlich von den Alliierten eingesetzten Panzer, die je nach Sichtweise „entweder als die entscheidende oder die am meisten überschätzte Waffe des Weltkrieges“ betrachtet werden. Ähnlich lautet die Einschätzung mit Blick auf den Luftkrieg, der im Ersten Weltkrieg eine immer höhere Bedeutung erhielt.

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Eine weitere Waffengattung sorgte indes sehr wohl für eine, wenn nicht die entscheidende Wende im Ersten Weltkrieg - gilt das Festhalten am uneingeschränkten U-Boot-Krieg doch als Anlass für den Kriegseintritt der USA, womit sich das Kräfteverhältnis in Europa nachhaltig zugunsten der Entente veränderte und die Mittelmächte nach und nach einsehen mussten, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war.
Peter Prantner, ORF.at
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