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Aufgebrachte Menge auf Maidan

Ein Jahr nach Beginn der prowestlichen Maidan-Proteste in Kiew hat der ukrainische Präsident Petro Poroschenko der mehr als 100 Toten gedacht. Bei strahlendem Sonnenschein legte er am Freitag an einem Mahnmal unweit des Unabhängigkeitsplatzes (Maidan) einen Kranz nieder. Wütende Angehörige getöteter Demonstranten forderten lautstark Aufklärung der Gewalt bei den Kundgebungen vor allem im Frühjahr.

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„Nieder mit Poroschenko!“, „Poroschenko, wo sind die Mörder unserer Kinder?“ stand auf Plakaten. „Dank dem Blut unserer Kinder sind Sie ins Amt gekommen“, rief ein Demonstrant dem Präsidenten entgegen. Sie warfen dem Präsidenten zudem vor, sein Versprechen nicht eingelöst zu haben, die Opfer postum zu „Volkshelden“ zu erklären.

Ukraines Präsident Petro Poroschenko mit einer Grabkerze

Reuters/Anastasia Sirotkina

Der ukrainische Präsident Poroschenko gedenkt der Opfer der Maidan-Proteste

Biden blieb im Auto

Poroschenko hatte Mühe, sich Gehör zu verschaffen, als er sich an die Menge wandte. Es war das erste Mal, dass der im Mai gewählte Poroschenko bei einem Auftritt in der Öffentlichkeit derart mit dem Unmut der Bevölkerung konfrontiert wurde. Poroschenko kündigte später an, alle bei den Maidan-Protesten getöteten Menschen als „Helden der Ukraine“ zu ehren. Ein solcher Schritt ist mit finanziellen Leistungen für die Familien verbunden.

US-Vizepräsident Joe Biden, der ihn eigentlich bei der Kranzniederlegung begleiten sollte, blieb in seinem Auto sitzen. Ministerpräsident Arseni Jazenjuk wohnte der Veranstaltung ebenfalls bei. Biden sagte bei einem Gespräch mit Jazenjuk Agenturen zufolge, das ukrainische Volk habe mit den Maidan-Protesten „unglaublichen Mut“ bewiesen. Er versprach Unterstützung Washingtons für Kiew.

Janukowitsch floh überraschend

Am 21. November vergangenen Jahres hatte die ukrainische Regierung unter dem damaligen prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch ein über Jahre ausgehandeltes Assoziierungsabkommen mit der EU auf Eis gelegt und sich stattdessen Moskau zugewandt. Der Schwenk löste wochenlange proeuropäische Proteste in Kiew aus. Im Februar waren Sicherheitskräfte gewaltsam gegen die Demonstranten vorgegangen, rund 90 Menschen wurden bei Straßenkämpfen getötet. Janukowitsch floh überraschend nach Russland und wurde abgesetzt. Der prowestliche Politiker Poroschenko wurde im Mai zum neuen Präsidenten gewählt.

Russland lehnt den Umsturz nach wie vor ab und hatte lange von einer Kiewer „Junta“ gesprochen, erkennt die jetzige Führung aber an. Infolge der Maidan-Ereignisse annektierte Russland trotz internationaler Kritik und Protests Kiews die Halbinsel Krim. In der Ostukraine begann ein heftiger Bürgerkrieg zwischen Regierungstruppen und prorussischen Separatisten mit bisher mehr als 4.000 Toten. Auch am Freitag berichteten beide Seiten von neuen Kämpfen.

Biden droht Russland mit „Isolation“

Biden drohte Russland bei einem Treffen mit Poroschenko mit „Isolation“, sollte Moskau nicht stärker zur Lösung der Ukraine-Krise beitragen. Russland halte Vereinbarungen für eine Beilegung des Konflikts nicht ein und provoziere mit seiner Unterstützung der prorussischen Separatisten, kritisierte Biden bei dem Treffen Agenturen zufolge. „Russland wird einen hohen Preis dafür zahlen“, so Biden weiter. Die USA und die EU haben harte Sanktionen gegen Russland verhängt.

Biden und Poroschenko sprachen sich für eine Fortsetzung des Minsker Gesprächsformats aus. An den Verhandlungen in der weißrussischen Hauptstadt sind neben der Ukraine, Russland und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) auch die Aufständischen beteiligt. Der wirtschaftlich angeschlagenen Ukraine sicherte Biden finanzielle Unterstützung der USA zu.

Koalitionsvertrag zu Jahrestag verkündet

Die proeuropäischen Sieger der Parlamentswahl von Ende Oktober einigten sich pünktlich zum Jahrestag auf einen Koalitionsvertrag. Das Dokument solle nächste Woche bei der ersten Sitzung der Obersten Rada unterschrieben werden, teilte Poroschenkos Partei mit. Fünf prowestliche Kräfte hätten dem Text zugestimmt.

Darunter befinden sich die neu gegründete Volksfront von Jazenjuk und die Vaterlandspartei von Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko. Ebenfalls zur Koalition gehören die Radikale Partei des Populisten Oleg Ljaschko und die neu gegründete Partei Samopomoschtsch (Selbsthilfe). Die neue Mehrheit werde 300 der 450 Abgeordneten stellen, sagte Jazenjuk am Freitag. Damit gibt es erstmals eine ausreichende Mehrheit, um Verfassungsänderungen beschließen zu können.

Drittel der Goldreserven im Oktober verkauft

Wirtschaftlich zieht die Krise die Ukraine immer tiefer in den Abgrund. In ihrem Entwurf für den Staatshaushalt 2015 geht die Regierung von einem Rückgang der Wirtschaftskraft um 4,5 Prozent und einer Inflation von 13,4 Prozent aus. Nach Daten des Internationalen Währungsfonds verkaufte das Land alleine im Oktober mehr als ein Drittel seiner Goldreserven. Diese seien binnen eines Monats um 14 Tonnen auf 26 Tonnen geschrumpft.

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