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Feiern und Gedenken an Opfer

Vor 25 Jahren, am 9. November 1989, ist die Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland geöffnet worden, die Berliner Mauer ist nach 28 Jahren gefallen. Ganz Berlin feierte am Sonntag diesen historischen Moment. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel erinnerte bei der zentralen Gedenkveranstaltung in der Mauer-Gedenkstätte an der Bernauer Straße an die Opfer der deutschen Teilung.

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„Der Tag der Freiheit ist immer auch ein Tag des Gedenkens an die Opfer“, sagte Merkel am Sonntag in Berlin. Das schließe auch das Gedenken an die Verfolgten der Staatssicherheit ein. Die DDR sei ein „Unrechtsstaat gewesen“, sagte sie, "ein „ideologiebesessenes Regime“. Die Kanzlerin nahm an der zentralen Veranstaltung in der Mauer-Gedenkstätte an der Bernauer Straße teil.

Angela Merkel

APA/EPA/Wolfgang Kumm

Merkel vor einem übriggebliebenen Mauerteil in der Mauer-Gedenkstätte an der Bernauer Straße

Feiern in symbolträchtiger Straße

Die zentrale Veranstaltung von Bund und Land Berlin begann Sonntagfrüh in der Mauer-Gedenkstätte an der Bernauer Straße. Die Straße galt als Symbol der Teilung. Nach dem Mauerbau 1961 gehörten die Häuser auf einer Straßenseite zum Osten, der Gehsteig davor zum Westen. Damals spielten sich dort dramatische Szenen ab: Auch Tage nach dem Mauerbau versuchten die Menschen dort noch, aus den Fenstern ihrer Häuser in den Westen zu springen.

Zum Auftakt steckten Merkel, Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit und andere Politiker Rosen zwischen die Steine der einstigen Sperranlage. Merkel eröffnete anschließend in der Gedenkstätte an der Bernauer Straße eine neue Dauerausstellung zur Geschichte der Mauer.

„Nichts muss so bleiben,wie es ist“

Merkel sieht den Mauerfall auch als Signal der Hoffnung für die Krisen- und Konfliktherde der Welt. „Wir können die Dinge zum Guten wenden - das ist die Botschaft des Mauerfalls“, sagte Merkel am Sonntag auf der Gedenkfeier. „Sie richtet sich besonders an die Menschen in der Ukraine, in Syrien und im Irak und in vielen anderen Regionen unserer Welt, in denen Freiheits- und Menschenrechte bedroht oder gar mit Füßen getreten werden.“ Weitere Mauern könnten eingerissen werden, sagte Merkel - „Mauern der Diktatur, der Gewalt, der Ideologien, der Feindschaften“. Der Mauerfall habe gezeigt: „Träume können wahr werden. Nichts muss so bleiben, wie es ist.“

Die Kanzlerin erinnerte in ihrer Rede auch an andere Ereignisse der deutschen Geschichte wie den 9. November 1938, als die Nazi-Gewalt gegen jüdische Synagogen, Bürger und Geschäfte den millionenfachen Mord an den Juden einleitete. „Deshalb empfinde ich heute nicht nur Freude, sondern auch die Verantwortung, die uns die deutsche Geschichte insgesamt aufgegeben hat.“ Als „großes Glück und Geschenk“ würdigte Merkel die europäische Einigung.

Ballons

APA/EPA/Kay Nietfeld

Seit Freitag zeichneten 7.000 Ballons den Verlauf der Mauer nach und haben sich zu einem wahren Besuchermagneten entwickelt. Am Sonntag wurden die Ballons mit Helium befüllt - und am Abend stiegen sie in den Himmel

„Verneigen uns vor den Opfern der Mauer“

Auch Wowereit erinnerte an die Opfer des DDR-Regimes und der SED-Diktatur. „Wir verneigen uns vor den Opfern der Mauer und vor den vielen Menschen, die als Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft in der DDR und allen Ländern des Ostblocks unermessliches Leid erfahren mussten“, sagte Wowereit. Mindestens 136 Menschen seien an der Mauer getötet worden oder im unmittelbaren Zusammenhang mit dem DDR-Grenzregime ums Leben gekommen. Diese Opfer dürften nie vergessen werden.

Großes Bürgerfest am Brandenburger Tor

Nach Festakt und den Politikerreden begann am Nachmittag das Berliner Bürgerfest am Brandenburger Tor. Vor dem weltweit bekannten Wahrzeichen der Stadt und in der Straße des 17. Juni tummelten sich trotz des kalten Wetters bereits mehrere tausend Touristen und Berliner. Die Staatskapelle Berlin probte für den Auftritt am Abend.

Unter Leitung von Daniel Barenboim spielte sie dann den vierten Satz aus Beethovens neunter Symphonie „Ode an die Freude“, als symbolisch die „Lichtgrenze“ fiel und rund 7.000 weiße Ballons in den Abendhimmel aufstiegen. Die Ballons hatten seit Freitagabend auf 15 Kilometern Länge den ehemaligen Mauerverlauf nachgezeichnet und waren abends beleuchtet.

Gorbatschow kritisiert Westen

In die Feierstimmung mischten sich jedoch auch kritische Stimmen - unter anderem von einem der Architekten der deutschen Einheit. Der frühere sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow erhob schwere Vorwürfe gegen den Westen. „Die Welt ist an der Schwelle zu einem neuen Kalten Krieg. Manche sagen, er hat schon begonnen“, sagte er bei einer Diskussion mit Blick auf den Ukraine-Konflikt.

Der Friedensnobelpreisträger, der als einer der Väter der deutschen Einheit gilt, warf dem Westen und insbesondere den USA vor, ihre Versprechen nach der Wende 1989 nicht gehalten zu haben. Stattdessen habe man sich zum Sieger im Kalten Krieg erklärt und Vorteile aus Russlands Schwäche gezogen. Die Vertrauenskrise belaste auch die Beziehungen zu Deutschland. Er rief Europa und Russland zu einem konstruktiven Dialog auf.

Schulz warnt vor sozialen Spannungen

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz warnte in seiner Rede beim Festakt im Konzerthaus vor sozialen Spannungen und extremistischen Strömungen in Europa. Er kritisierte vor allem die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Eine ganze Generation von jungen Männern und Frauen sei teilweise ohne jede Hoffnung auf eine bessere Zukunft. „Hoffnungslosigkeit aber führt zu Verzweiflung und Verzweiflung zu Radikalisierung und Extremismus.“ Nur in einer gerechten und solidarischen Gesellschaft könne sich Freiheit entfalten, betonte Schulz.

Linke: Viele Hoffnungen enttäuscht

Nach Ansicht von Linke-Chefin Katja Kipping haben sich auch 25 Jahre nach dem Mauerfall viele Hoffnungen der Ostdeutschen noch nicht erfüllt. Viele Menschen seien damals auf die Straße gegangen, weil sie nicht mehr überwacht werden wollten. Darauf warteten sie noch heute, kritisierte Kipping am Sonntag auf einem Landesparteitag der Berliner Linken. „Es gibt noch viel zu tun im Sinne einer Verwirklichung von Demokratie, Freiheit und Sozialismus.“

Die Linke erneuerte in einer Erklärung eine Entschuldigung ihrer Vorgängerpartei PDS aus dem Jahr 1990. „Heute erneuern wir die Entschuldigung für begangenes Unrecht und das Bekenntnis, dass wir Demokratie und Rechtsstaat wie zwei Augäpfel zu hüten haben.“

Papst würdigte Rolle von Johannes Paul II.

Auch Papst Franziskus hat beim Angelusgebet am Sonntag des Falls der Berliner Mauer gedacht. Er würdigte dabei die Rolle, die sein Vorgänger Johannes Paul II. für das Ende des Kalten Krieges gespielt hat. Der Fall der Berliner Mauer erfolgte zwar sehr rasch, er sei jedoch dem Einsatz vieler Menschen zu verdanken, die dafür gebetet und gekämpft und dafür auch das Leben geopfert haben, so Franziskus. „Wo es eine Mauer gibt, gibt es geschlossene Herzen. Wir brauchen Brücken und keine Mauern“, betonte der Papst. Der Fall der Mauer hatte auch auf die Kirchen massive Auswirkungen - mehr dazu in religion.ORF.at.

Der neue EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker rief zum Jahrestag dazu auf, Europa wieder „eine Herzensangelegenheit“ werden zu lassen. Infolge der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise seit Ende des Zweiten Weltkriegs seien zuletzt Risse in den durch die deutsche Wiedervereinigung aufgebauten neuen Brücken entstanden, kommentierte der Luxemburger am Sonntag. Diese müssten wieder geschlossen werden.

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