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Wie weit darf der Arbeitsplatz weg sein?

Die am Dienstag veröffentlichte EU-Herbstprognose zeigt ein ungewohntes Bild: Während die Arbeitslosigkeit in der Euro-Zone und der EU langsam zurückgeht, überrascht Österreich mit einer deutlichen Steigerung von 4,8 Prozent auf 5,3 Prozent. Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) sieht Handlungsbedarf und will vor allem die Arbeitsmarktpolitik unter die Lupe nehmen.

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In Anbetracht der jüngsten hohen Zahlen will Mitterlehner unter anderem auch die Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose prüfen. Das sagte er am Dienstag vor dem Ministerrat gegenüber Journalisten. Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) zeigte sich diesbezüglich allerdings skeptisch - eine Änderung bei diesen Bestimmungen allein löse nicht das Problem.

Arbeitsmarktpolitik durchforsten

Dass die wirtschaftliche Lage nicht so gut sei, sei eine gute Erklärung für die Arbeitsmarktdaten, dennoch müsse man aufmerksam werden, wenn andere europäische Länder die Trendwende schaffen, so Mitterlehner. Er werde Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) bitten, die Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu durchforsten. Konkret sprach Mitterlehner davon, dass die Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose geprüft werden sollten - etwa was Entfernungen bei Vermittlungen betrifft.

Derzeit sieht das Arbeitslosenversicherungsgesetz vor, dass der Arbeitsplatz „in angemessener Zeit“ erreichbar sein muss. Bei Vollzeitbeschäftigung ist darunter eine Wegzeit für die Hin- und Rückfahrt von zwei Stunden zu verstehen, bei Teilzeitbeschäftigungen sind Fahrzeiten von eineinhalb Stunden zumutbar. Wird die Anfahrt gratis - etwa durch Firmenbusse - bereitgestellt oder kommt der Jobsuchende aus einer Pendlerregion, müssen auch längere Fahrzeiten akzeptiert werden.

Viele Unzumutbarkeiten fallen später weg

Bei der Entlohnung gilt der jeweilige Kollektivvertrag als Maßstab. In den ersten 120 Tagen des Arbeitslosengeldbezuges gelten mindestens 80 Prozent der letzten Bemessungsgrundlage für das Arbeitslosengeld als angemessen und daher zumutbar, danach mindestens 75 Prozent. Innerhalb der ersten 100 Tage darf auch ein Job außerhalb des bisherigen Tätigkeitsfeldes als unzumutbar abgelehnt werden. Die angebotene Arbeit darf jedoch nie die „Gesundheit und Sittlichkeit“ des Arbeitsuchenden gefährden bzw. muss seinen gesundheitlichen Fähigkeiten entsprechen.

AMS-Leistungen „nachschärfen“

„Angesichts der Rekordarbeitslosigkeit und der Tatsache, dass die Arbeitslosenzahlen in 21 von 28 EU-Mitgliedsländern rückläufig sind, in Österreich aber steigen, müssen alle Instrumente eingesetzt werden“, forderte auch Rolf Gleißner, stellvertretender Leiter der Abteilung für Sozialpolitik in der Wirtschaftskammer Österreich. Dazu gehöre auch, „Leistungen und Instrumente der Arbeitsmarktpolitik zu evaluieren und gegebenenfalls zu verbessern und nachzuschärfen“.

Das AMS sei zwar im internationalen Vergleich bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sehr erfolgreich, jedoch belege eine WIFO-Studie, dass Österreich bei der Verhängung von Sanktionen für Jobverweigerung von Arbeitslosen weniger konsequent handle als andere Staaten, so Geißner in einer Aussendung. „Vorzeigeländer wie Deutschland, Dänemark, Schweden und die Niederlande setzen seit einigen Jahren verstärkt auf Aktivierung und effizientere Zumutbarkeitsbestimmungen und haben damit nachweislich die Arbeitslosigkeit gesenkt.“

AMS-Chef: „Wirkung nicht überbewerten“

Beim AMS selbst wird die Debatte entspannt gesehen. AMS-Vorstand Johannes Kopf warnt gegenüber dem „Standard“ vor einer Überbewertung der Wirkung. „Betriebe stellen nur Leute ein, die wirklich wollen.“ Man dürfe sich von strengeren Regeln daher keine massive Senkung der Arbeitslosigkeit erhoffen, so Kopf. Als „zumutbar“ bezeichnete er die Anhebung der Fahrzeit auf 2,5 Stunden, außerdem könnte bei Arbeitslosen mit Betreuungspflichten die Arbeitspflicht von 16 auf 20 Stunden pro Woche ausgedehnt werden.

Weiters plädiert der AMS-Chef für eine „radikale Vereinfachung“ der Zumutbarkeitsbestimmungen. Die Judikatur sei mittlerweile so komplex, dass der Vollzug für die Berater des Arbeitsmarktservice kaum mehr möglich sei. Im Vorjahr wurde 15.816 Arbeitssuchenden das Arbeitslosengeld gesperrt, nachdem sie Jobs ausgeschlagen oder die Teilnahme an Kursen verweigert hatten.

Weiter warten auf Bonus-Malus-System

Vor ein weiteres Problem stellen die zuletzt explodierten Arbeitslosenzahlen bei älteren Personen die Regierung. Angesprochen auf das lange angekündigte, aber immer noch ausständige Bonus-Malus-System für ältere Arbeitnehmer betonte Mitterlehner am Dienstag, die Regierung werde noch einmal mit den Sozialpartnern reden und versuchen, die Sache zu beschleunigen. In Wien übernimmt das AMS derzeit bei Einstellung von Arbeitslosen über 50 Jahre drei Monate lang die Lohn- und Lohnnebenkosten.

Heftiger Gegenwind weht Mitterlehner dabei von der Industriellenvereinigung (IV) entgegen. IV-Präsident Georg Kapsch bezeichnete das angedachte Bonus-Malus-System am Dienstag als „Blödsinn“. Es sei „Unsinn“, wenn ein Unternehmen Geld bekomme, wenn es einen „guten“ Älteren beschäftige. Genauso sei es „Unsinn“, eine Firma zu bestrafen, wenn sie einen Älteren, der seine Leistung nicht bringe, ersetze, so Kapsch. Die „Insuffizienz“ des Pensionssystems müsse durch andere Maßnahmen in den Griff bekommen werden.

Klare Absage von Faymann

In der SPÖ zeigte man sich gegenüber dem Vorstoß Mitterlehners skeptisch. Hundstorfer verwies gegenüber Journalisten darauf, dass die Bestimmungen bereits jetzt flexibel seien. Das allein würde auch das Gesamtproblem nicht lösen, meinte der Ressortchef. Ihm geht es viel eher um die Frage, wie mit der Wirtschaft Arbeitsplätze geschaffen werden können. Es gehe nicht um die Zumutbarkeit, wie weit jemand zu einem Arbeitsplatz fahren muss, sondern darum, dass es diesen Job überhaupt gibt, so Hundstorfer.

Auch Kanzler Werner Faymann (SPÖ) erteilte einer möglichen Verschärfung nach dem Ministerrat eine klare Absage. Der Anstieg bei den Arbeitslosenzahlen sei „bedauerlich“, erfolge jedoch von einem geringen Niveau aus. Jeder Arbeitslose sei „einer zu viel“. Der Kanzler pochte auf Investitionen und die Steuerreform, welche die Kaufkraft stärken soll. Auch das angekündigte Paket von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Umfang von 300 Mrd. Euro erwähnte Faymann hier lobend.

Arbeitslosigkeit steigt bis 2016

Für Österreich sagt die aktuelle EU-Herbstprognose einen weiteren Anstieg der Arbeitslosenrate bis 2015 auf 5,4 Prozent voraus, ehe 2016 ein Sinken auf 5,0 Prozent zu erwarten ist. Die Entwicklung führte zuletzt auch dazu, dass Österreich seinen Spitzenplatz mit der niedrigsten Arbeitslosenquote an Deutschland abgeben musste, das für 2014 nun mit 5,1 Prozent rechnen kann, was keine Veränderung gegenüber dem Frühjahrswert darstellt.

Die höchste Arbeitslosenrate im laufenden Jahr hat weiterhin Griechenland mit 26,8 Prozent, was ebenfalls etwas schlechter ist als der Frühjahrswert mit 26 Prozent. Dagegen konnte Spanien seine Position geringfügig verbessern - von ursprünglich 25,5 auf nunmehr 24,8 Prozent. Die dritthöchste Rate in der EU weist Kroatien mit 17,7 Prozent auf, leicht besser als die im Frühjahr prognostizierten 18 Prozent.

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