Engelshaar oder Spinnweben?
Was sich am 27. Oktober 1954 im Florentiner Stadio Artemio Franchi genau ereignet hat, ist bis heute rätselhaft. Vor den Augen Tausender Zeugen, die eigentlich ein Fußballspiel sehen wollten, spielte sich eine ungewöhnliche Himmelserscheinung ab. Das Lokalderby des AC Florenz gegen Unione Sportiva Pistoiese musste für einige Minuten unterbrochen werden.
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Kurz nach Anpfiff der zweiten Halbzeit schien sich plötzlich niemand mehr fürs Spiel zu interessieren. Alle starrten in den Himmel - bald auch die Spieler auf dem Feld, berichteten Zeugen laut einem Onlineartikel der BBC. „Ich erinnere mich noch an alles von A bis Z“, wird die italienische Fußballlegende Ardico Magnini zitiert. „Da war etwas, das aussah wie ein Ei, und es bewegte sich sehr, sehr langsam. Jeder blickte nach oben, und zugleich fiel eine Art silbriger Glitter vom Himmel." Und weiter: Wir waren verblüfft, wir hatten so etwas noch nie zuvor gesehen. Wir waren total schockiert.“
Keine Aufzeichnungen des Spiels
Von dem Fußballspiel im Florentiner Stadio Artemio Franchi am 27. Oktober 1954 existieren keine Aufzeichnungen. Auf einschlägigen Seiten wie Ufoonline.it und anderen wird der Vorfall immer wieder zitiert und meist mit historischen Aufnahmen des Stadions illustriert - manchmal mit nachträglich eingezeichneten UFOs.
„Wie kubanische Zigarren“
Diverse Zeugenaussagen weichen nur leicht voneinander ab. Der spätere Fanbetreuer des AC Florenz, Gigi Boni, schilderte seine Eindrücke von damals ebenfalls gegenüber BBC: „Sie (die gesichteten Objekte, Anm.) bewegten sich sehr schnell und hielten dann plötzlich inne. Das Ganze dauerte einige Minuten.“ Ihr Aussehen verglich Boni mit „kubanischen Zigarren“.
Es müssen Außerirdische gewesen sein, zeigt sich Boni überzeugt. „Für mich gibt es keine andere Erklärung.“ „Damals waren Aliens in aller Munde, jeder sprach von UFOs, und wir machten diese Erfahrung, wir sahen sie wirklich“, wird ein weiterer anwesender Spieler, Romolo Tuci, zitiert.
Watte aus dem Weltall?
Um reine ansteckende Massenhysterie im Stadion dürfte es sich bei dem Vorfall nicht gehandelt haben. An diesem und den folgenden Tagen kam es in mehreren toskanischen Orten zu ähnlichen Sichtungen - begleitet von einer mysteriösen, watte- oder spinnwebenartigen, klebrigen Substanz, die laut Zeugenaussagen wie Regen vom Himmel nieselte und sogar Dächer und Straßen ganzer Ortschaften bedeckte. Das beschriebene Phänomen wird als Engelshaar (Angel’s Hair) bezeichnet und wurde weltweit mehrfach beobachtet.
Nach ungefähr einer Stunde verdunstete die Substanz „wie Schnee“, berichtete der Präsident des italienischen Nationalen UFO-Zentrums (CUN, Centro ufologico nazionale), Roberto Pinotti, gegenüber BBC. Er selbst sei damals in Florenz Zeuge dieses Phänomens gewesen. Ein Redakteur der florentinischen Zeitung „La Nazione“, Giorgio Batini, sammelte einige dieser rätselhaften Flocken ein, bevor sie verdunsteten, und ließ sie an der Universität Florenz chemisch untersuchen.
Befund ohne Schlussfolgerungen
Die gute Nachricht aus dem Labor: Es handelte sich nicht um radioaktiv verseuchtes Material. Vielmehr bestand die „Watte“ aus Bor, Silizium, Kalzium und Magnesium. Es handle sich um eine „Substanz mit faseriger Struktur mit beachtlicher mechanischer Zug- und Torsionsfestigkeit“, die sich bei Erhitzung verhärte und einen schmelzbaren und transparenten Rückstand hinterlasse, heißt es in dem Bescheid von Giovanni Canneri unter anderem.
Rückschlüsse aus dem Befund waren schwierig, zumal das Testmaterial während der Untersuchungen zerstört wurde. 60 Jahre später sind die Chancen für Aufklärung schlecht. „Ich würde keinen Zeugenberichten eines alten, merkwürdigen Ereignisses trauen, ohne in Daten Einsicht genommen zu haben“, so der Wissenschaftsautor Philip Ball.
Naturschauspiel aus dem Spinnenreich
Einer der gängigsten herkömmlichen Erklärungsversuche - dass es sich um ein durchaus magisch anmutendes Naturschauspiel aus dem Spinnenreich handle - ist indes bis heute umstritten. Demnach handelte es sich bei der untersuchten Substanz um das Gespinst bestimmter Spinnenarten, die ihre Fäden zu langen Seile verknüpfen. Die Tiere nutzen die entstandenen Seilnetze zu großen Ortswechseln in oft schwindligen Höhen - und zwar vorwiegend im September und Oktober.
Für den ehemaligen US-Air-Force-Piloten und Astronomen James McGaha eine klare Sache: „Wenn Teile von dem Zeug zerreißen und auf den Boden fallen, erscheint das natürlich durchaus magisch.“ Doch genau das sei am 27. Oktober 1954 in der Toskana geschehen, so McGaha gegenüber BBC. In der Tat ist es gut vorstellbar, dass durch den Wind getragene wandernde Spinnen in ihren weitläufigen Netzen bei entsprechendem Lichteinfall rätselhafte visuelle Effekte erzeugten. Doch die Sache hat einen Haken, weshalb sowohl der Ufologe Pinotti als auch der Autor Ball der Spinnentheorie wenig abgewinnen: Die chemische Zusammensetzung von Spinnfäden deckt sich nicht mit der des untersuchten Materials. Das Rätsel aus Florenz bleibt demnach bestehen.
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