Individualität vs. Funktionalität
Die Souvenirs von der letzten Reise, die Fotos von der Familie, dekorative Nippes: Viele würden damit gerne ihre Schreibtische schmücken. Doch nur wenige davon bekommen einen Platz auf dem Schreibtisch. Denn viele Chefs sind Verfechter einer spartanischen Büro-Philosophie. Ganz falsch, zeigen neueste Studien. Denn die richtige Dekoration beflügelt die Mitarbeiter.
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Wie der ideale Arbeitsplatz auszusehen hat, ist seit über 100 Jahren Gegenstand unzähliger Forschungen und Studien. Dennoch hält sich seit Ende des 19. Jahrhunderts ein Idealbild hartnäckig: das einer funktionalen, minimalistischen und unpersönlichen Arbeitskoje, die so wenig Ablenkung wie möglich bietet.
„Lean Office“ für mehr Leistung
Diese Philosophie ist Fredrick Winslow Taylor zu verdanken. Der Ingenieur und Begründer der Arbeitswissenschaft untersuchte auf dem Höhepunkt der industriellen Revolution, welches Arbeitsumfeld die Produktivität von Fabrikarbeitern steigert, und kam zu dem Schluss: je einfacher die Tätigkeit und je funktionaler der Arbeitsplatz, desto höher der Output. Als Mittel, um die Arbeitsmotivation zu steigern, empfahl Taylor einen leistungsbezogenen Lohn.
Und obwohl sich die Arbeitswelten seither deutlich gewandelt haben, hält sich Taylors Ansatz hartnäckig. Die überwiegende Mehrheit der Angestellten arbeitet heute in Großraumbüros, in denen unter dem Schlagwort „Lean Office“ die Prozesse optimiert ablaufen und die wenig Platz für Individualität lassen. So wurde in einer 2002 veröffentlichten Industriestudie der Zustand amerikanischer Arbeitsplätze noch immer wie folgt beschrieben: „Beim Arbeitsplatzmanagement geht es um Kontrolle, Autokratie und Zwang.“
Die goldlackierte Wundermaschine
Doch parallel dazu gab es immer auch eine zweite These, wie das US-Magazin „The New Yorker“ schreibt. Schon 1891 sorgte ein bemerkenswerter Versuch in einer New Yorker Mühle für Schlagzeilen. Der Besitzer ließ die Maschinen aufwendig lackieren und mit goldenen Blättern verzieren. Dadurch hatten die Ingenieure das Gefühl, ganz besondere Geräte zu bedienen, und holten noch mehr Leistung aus ihnen heraus. Doch das frühe Aufkeimen von mehr Individualität am Arbeitsplatz erlebte kurz darauf einen herben Rückschlag.
Wenn der Chef die Wandfarben ändert
In den 1920er Jahren zeigte der Unternehmer Elton Mayo anhand eines Versuchs im Chicagoer Hawthorne-Elektrizitätswerk, dass Veränderungen am Arbeitsplatz zwar kurzfristig die Produktivität erhöhten, jedoch nicht, weil eine andere Beleuchtung oder neue Wandfarben den Wohlfühlfaktor erhöhten, sondern weil sich die Arbeiter vom Management beobachtet fühlten.
Das Experiment fand als Hawthorne-Effekt Eingang in die Psychologielehrbücher und wurde lange als Totschlagargument gegen Verfechter von mehr Individualität und Selbstbestimmung am Arbeitsplatz verwendet. Heute wird der Effekt von vielen Psychologen in das Reich der Legenden verwiesen - auch weil die Auswertung der Originaldaten 2011 zeigte, dass äußere Umstände wie etwa der Wochentag mehr Auswirkung auf die Produktivität hatten als etwa die Annahme, vom Chef überwacht zu werden.
Grün ist die Farbe der Produktivität
Doch wo wird heute tatsächlich mehr Leistung erbracht? Im minimalistischen, aber funktionalen Großraumbüro oder am personalisierten Arbeitsplatz mit Familienfotos und Zimmerpflanze? Neueste Untersuchungen zeigen deutlich, dass der lang verbreitete Trend zu „weniger ist mehr“ mittlerweile überholt ist. „Manchmal ist weniger einfach nur weniger“, bringt es Alex Haslam, Psychologe an der Universität von Queensland und Koautor einer Studie über den Effekt von Pflanzen im Büro auf den Punkt.
In der Studie zeigte sich ganz klar, dass mehr Grün im Büro den Arbeitseinsatz förderte, weil sich die Angestellten physisch, kognitiv und emotional stärker mit ihrem Arbeitsplatz verbunden fühlten. „Wird ein zuvor spartanisches Büro nachträglich mit Pflanzen ausgestattet, steigert das die Produktivität um 15 Prozent“, erklärt Studienautor Marlon Nieuwenhuis von der Universität von Cardiff.
Es kommt darauf an, wer bestimmt
Doch es gibt eine Einschränkung. Das Dekor eines Büros zu verändern, steigere nicht automatisch die Arbeitszufriedenheit, fand Craig Knight, Psychologe an der Universität von Exeter, heraus. Vielmehr geht es darum, wer die Veränderungen vornimmt. In den meisten Büros wird das Design von der Konzernzentrale vorgegeben oder entspricht dem persönlichen Geschmack der Geschäftsführung.
Werden jedoch die Mitarbeiter bei der Gestaltung eingebunden, spiegelt sich das in einer größeren Zufriedenheit am Arbeitsplatz und mit weniger Krankenstandstagen wider. Die Mitarbeiter machen weniger Fehler, sind konzentrierter, die Produktivität steigt, und die Mitarbeiter fühlen sich wertgeschätzt. Veränderungen die „von oben“ in Auftrag gegeben werden, haben hingegen keinen Effekt. Wie die Veränderung aussehe, spiele keine Rolle, erklärt Knight gegenüber dem „New Yorker“. „Bilder oder Pflanzen machen keinen Unterschied.“
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