Mediales Schweigen seit über einem Monat
Wird Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un an den Feierlichkeiten zum 69. Jahrestag der Arbeiterpartei am Freitag teilnehmen oder nicht? An dieser Frage messen viele die aktuelle Lage in Nordkoreas innerstem Machtzirkel und die internationalen Beziehungen des Landes. Denn seit über einem Monat ist der nordkoreanische Diktator aus der Öffentlichkeit verschwunden.
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„Wenn er es nicht schafft, zu den Feierlichkeiten zu kommen, wird er Spekulationen befeuern, dass der junge nordkoreanische Führer in der einen oder anderen Form schwere Zeiten erlebt“, sagte Curtis Melvin, Nordkorea-Experte an der John Hopkins School in Washington. Je länger er wegbleibe, desto größer werde die Unsicherheit auch über die Stabilität des Landes. In den vergangenen beiden Jahren hatte Kim anlässlich der Parteigründungsfeiern das Mausoleum seines Großvaters Kim Il Sung und seines Vaters Kim Jong Il aufgesucht.
Zuletzt wurde ein Foto von Kim am 3. September bei einem Konzert gemeinsam mit seiner Frau publiziert. Nicht klar ist, von wann diese Aufnahme stammt. Seither mied Kim jeden öffentlichen Auftritt, nahm auch nicht an einer der seltenen Parlamentssitzungen teil. Bisher war er noch nie einem solchen Termin ferngeblieben. Die Gerüchte überschlagen sich, was die Ursachen sein könnten.
„Wegweiser trotz Unwohlseins“
Zunächst hatte es in den Staatsmedien, die sonst minuziös über Auftritte Kims berichten, noch geheißen, dass der 31- oder 32-Jährige an einem „gewissen Unbehagen“ leide. Details wurden nicht genannt. Im Fernsehen gezeigte Bilder, die vom Frühling oder Sommer stammen dürften, zeigten einen hinkenden Kim bei einem Fabrikbesuch.

Reuters/Kcna
Die Fotos eines Baustellenbesuchs von Kim wurden Mitte August veröffentlicht
Beobachter zogen aus dem Gang den Schluss, dass es sich um Gicht handeln könnte. Andere vermuteten Krankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck aufgrund seines Lebensstils. In der Sendung wurde Kim aber noch von einem Sprecher gepriesen, dass er „seinem Volk leidenschaftlich den Weg weist, obwohl er unter Unwohlsein leidet“.
Gerüchte über Beinverletzung
Einen Tag vor den Feierlichkeiten zum Jahrestag gab ein der nordkoreanischen Führung nahestehender Insider laut Reuters an, dass Kim seit Ende August an einer Verletzung am Knöchel und am Knie leide und rund 100 Tage brauchen werde, um sich zu erholen. Er bleibe aber ohne Zweifel weiterhin mit der Führung des Landes betraut: „Es gibt keinen Riss in der obersten Führungsebene.“ Der Informant wies auch jegliche Putschgerüchte zurück.
Gesundheitsprobleme dementiert
Vergangenes Wochenende hatte das Regime eine Erkrankung des Machthabers noch dementiert. Kim habe „keine Probleme mit der Gesundheit“, soll der Sekretär der Arbeiterpartei, Kim Yang Gon, gesagt haben. Weitere Gründe für Kims Fernbleiben nannte er nicht.
Das Regime hatte am Samstag drei führende Politiker des Landes, darunter die Nummer zwei Hwang Pyong, überraschend zu Gesprächen nach Südkorea geschickt. Sie reisten in der Präsidentenmaschine, die sonst für Kim reserviert ist. Hwang, Leiter des politischen Büros der Volksarmee, wurde bei der letzten Parlamentssitzung, der Kim fernblieb, zum Stellvertreter Kims in der Nationalen Verteidigungskommission bestellt. Kim selbst war nicht in Südkorea.
Am Donnerstag veröffentlichte das südkoreanische Verteidigungsministerium auf Basis von Geheimdienstinformationen eine neue Einschätzung der Lage: Kim kuriere „eine nicht öffentlich gemachte Krankheit“ in der Nähe der Hauptstadt Pjöngjang aus. Nordkorea bestätigte diesen Bericht nicht.
Neue Rolle für Schwester
Heftig spekuliert wird, wie sich der innere Machtzirkel des stalinistischen Regimes verändert haben könnte. Einige Beobachter gehen davon aus, dass Kims jüngere Schwester Kim Yo Jong tatsächlich oder auch nur vorübergehend die Führung des Landes übernommen haben könnte. Gemeinsam mit ihrem Bruder besuchte sie in den 90er Jahren ein Internat in der Schweiz. Danach erschien sie nicht mehr in der Öffentlichkeit.

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Kim Yo Jong (l.) begleitete ihren Bruder bei einem öffentlichen Termin
In den vergangenen Monaten soll sie aber in verantwortungsvollere Positionen gebracht worden sein. Anfang März tauchte sie erstmals im Staatsfernsehen auf, als sie bei der Parlamentswahl ihre Stimme abgab. „Sie ist eine der wenigen Leute, von denen wir wissen, dass sie unbeschränkten Zugang zu Kim Jong Un haben“, sagte Michael Madden vom North Korea Leadership Watch Blog gegenüber dem US-Sender NBC. Sie habe auch enge Kontakte zu Militär und Geheimdienst.
Kim unter Hausarrest?
Andere vermuten, dass das Militär die Zügel wieder fester in der Hand hält und die eigentliche Macht nun bei General Hwang liegt, während Kim an den Rand gedrängt wurde. Der Nordkorea-Experte von der niederländischen Universität Leiden, Remco Breuker, vermutete in einem ABC-Interview, dass Kim auch unter Hausarrest gestellt worden sein könnte. Kims Verschwinden könnte ein Signal für den Machtwechsel sein. „Wir können aber sicher sein, dass die nordkoreanische Propaganda im vergangenen Jahr versuchte, Kim in einem anderen Licht zu zeigen. Sie versuchten, ihn menschlicher darzustellen, weniger als den beinahe übermenschlichen obersten Führer“, so Breuker.
Spekuliert wird auch über den Einfluss Hwangs, dem neuen zweiten Mannes in Nordkoreas Führungsriege. Er schaffte innerhalb weniger Jahre einen beispiellosen Aufstieg. Für den nordkoreanischen Überläufer Jang Jin Sung, der früher für die Arbeiterpartei arbeitete, ist es aber unüblich, dass jemand wie Hwang mit geringer militärischer Erfahrung in so prominente Positionen aufsteigen könne: „Diese Menschen kommen in die erste Reihe, wenn es eine politische Säuberung oder eine Hinrichtung gibt“, sagte er gegenüber Reuters.
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