Jeder dritte Gründer ist Migrant
Die Polin, die sich aus dem Arbeitsalltag als Reinigungskraft heraus als Gründerin einer Karrieremesse für junge Migranten selbstständig macht. Der Inder, der aus einem kleinen Kellerlokal einen Ethno-Lebensmittelmarkt mit Imbiss und Kosmetikgeschäft aufbaut. Die Bulgarin, die ein Tablet für Blinde entwickelt: Österreichs Gründerszene wird internationaler.
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Knapp jeder dritte Gründer in Österreich hat einen anderen kulturellen Background. 28 Prozent von über 344.000 Selbstständigen besitzen laut Wirtschaftskammer nicht die österreichische Staatsbürgerschaft oder wurden im Ausland geboren. Die Tendenz geht nach oben. In Wien ist der Anteil der Gründer mit Migrationshintergrund mit 37 Prozent sogar noch höher, wie eine Studie über „Ethnische Ökonomien in Wien“ zeigt. Mit den Einpersonenunternehmen wurden dadurch insgesamt 46.000 Arbeitsplätze geschaffen.
Hohes Ausbildungsniveau
Beliebte Branchen, in denen gegründet wird, sind Gewerbe, Handwerk und Transport. In Wien dominieren Gastronomie und Handel. „Selbstständig machen sich vor allem Menschen mit einer sehr guten und mit einer sehr schlechten Ausbildung“, erklärt Experte Peter Vandor im ORF.at-Interview. Vandor forscht an der Wirtschaftsuniversität Wien zum Thema Migranten als Gründer. „Die einen wollen sich verwirklichen und werden in einigen Fällen auch selbstständig, weil Abschlüsse aus einem anderen Land nicht anerkannt werden. Die anderen müssen gründen, um Arbeit zu haben.“

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Die Rumänin Andra Slaats will mit ihrem Unternehmen das Image von Migranten verbessern
„Aber innerhalb dieser Branchen gibt es eine große Veränderung“, beobachtet Tülay Tuncel, Leiterin der Migrantengründerberatung bei der Wirtschaftsagentur Wien (vorher: Mingo). „Die Qualität und die Personen dahinter ändern sich. Es gibt sehr innovative Ansätze, spannende Persönlichkeiten und grenzüberschreitendes Expansionsdenken“, sagt sie gegenüber ORF.at. Auch die Ausbildung der Gründer wird immer besser. Fast die Hälfte aller Unternehmer mit Migrationshintergrund verfügen zumindest über einen Maturaabschluss, wenn nicht sogar über einen Studienabschluss.
Schwierige Jobsuche
Die 33-jährige Rumänin Andra Slaats etwa lebt seit neun Jahren in Wien. In Rumänien schloss sie ein Dolmetschstudium ab. Sie hatte keine Deutschkenntnisse, als sie nach Österreich kam, mittlerweile spricht sie es fließend. Sechs Jahre arbeitete sie in Wien als Angestellte im internationalen Verkauf, ein Jahr absolvierte sie eine Ausbildung im Bereich Marketing & Sales, ein MBA-Studium folgte.
Trotz der zusätzlichen Ausbildungen sei es schwierig gewesen, wieder einen adäquaten Job zu finden. „Viele Migranten gründen, weil sie keine Arbeit finden“, ist Slaats überzeugt. „Jährlich kommen 25.000 Menschen nach Wien. Die Arbeitsplätze werden weniger. Ich habe bei der Suche gespürt, dass gezielt darauf geschaut wurde, Österreicher zuerst zu nehmen.“
Der Weg in die Selbstständigkeit lag daher nahe. Mit ihrem Unternehmen Younited Cultures möchte sie das Image von Migranten verbessern. In Kooperation mit Designern werden erfolgreiche Integrationsgeschichten von Migranten auf Schals gedruckt und sollen verkauft werden. Die erste „Schalgeschichte“ erzählt den Werdegang der polnischen Putzfrau zur erfolgreichen Gründerin.
Bessere Aufstiegschancen
„Die sozialen Aufstiegschancen der Gründer mit Migrationshintergrund sind in den letzten Jahren aufgrund der besseren und hochwertigeren Aktivitäten stark gestiegen“, ist Tuncel überzeugt. Das macht sich bei Medet Atas (29) bemerkbar. Auch wenn er als Vertreter der zweiten Generation und österreichischer Staatsbürger in der österreichischen Statistik eigentlich nicht als Migrantengründer gesehen wird, zählt er aufgrund seiner Herkunft für die Wissenschaft dennoch dazu.
Sein Vater, türkischer Gastarbeiter, besaß einen Stand auf dem Wiener Brunnenmarkt und baute ein Lebensmittelgeschäft auf. Als HTL-Absolvent wollte Atas mit dieser Branche nichts zu tun haben. An Jobs als Angestellter mangelte es ihm nicht: „Aber ich wollte unabhängig sein.“ Mittlerweile führt Atas zwei Unternehmen und beschäftigt insgesamt sieben Mitarbeiter. Mit 22 Jahren eröffnete er eine Shisha-Lounge, drei Jahre später startete er das Auto SPA, ein Autoreinigungsunternehmen in einem Wiener Einkaufszentrum - ein Konzept, das in der Türkei bereits gang und gäbe ist.
„Austausch von zwei Welten“
„Migranten als Gründer haben zwei Wissenssysteme, ein zweites kulturelles Referenzsystem“, erklärt Gründerexperte Vandor. „Was man aus einem anderen Land kennt, kann leichter zu einer Geschäftsidee führen. Einige nützen die eigene Community als Ressource.“ Auch die Problemlösung sei durch den „Austausch von zwei Welten“ oft flexibler und kreativer.

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Prosi-Gründer „Prince“ (Mi.) setzt auch auf die Unterstützung der Familie
Der gebürtige Inder Augustin „Prince“ Pallikunnel (49) und Kristina Tsvetanova (26) aus Bulgarien nützen dieses Pendeln zwischen den Kulturen auf unterschiedliche Weise. Pallikunnel, Gründer des Ethnosupermarkts Prosi, kam nach seinem Studium in Indien vor 24 Jahren nach Wien, „um Geld zu verdienen“. Zunächst verdiente er sein Einkommen als Versicherungsmakler, startete parallel dazu aber bereits Anfang der 90er Jahre mit einem Partner mit einem Geschäft mit „indischen Produkten“ und setzte dabei auch auf die eigene Community.
Auffangnetz Familie
1999 begann er an einem anderen Standort auf 120 Quadratmetern in einem kleinen Kellerlokal mit einem breiteren Lebensmittelangebot aus der ganzen Welt - zu dieser Zeit noch eine Neuigkeit. Mittlerweile wurde das Geschäft siebenmal erweitert auf weit über 700 Quadratmeter - mit integriertem Imbiss und Kosmetikangebot.
Auf 20 Mitarbeiter ist das Unternehmen angewachsen, fast die Hälfte stellt die eigene Familie, die Pallikunnel samt seiner Mutter in den letzten Jahren nach Wien geholt hat: „Die Familie ist ein großer Vorteil. Das Vertrauen ist größer.“ Soziale Auffangnetze, sollte das Unternehmen doch nicht funktionieren, seien bei Migranten häufig kulturbedingt stärker als bei Österreichern, ist Tuncel überzeugt.
Vorteile nützen
Die 26-jährige Bulgarin Tsvetanova nützt die Vorteile, aufgrund ihrer Herkunft einfacheren Zugang zu mehreren Märkten zu haben und „den Vergleich zwischen den Ländern machen zu können“. Sie arbeitet gemeinsam mit ihrem Freund Slavi Slavev und dessen Bruder Stanislav an einem Tablet für Blinde. Mit einem mit Auszeichnung abgeschlossenen Industrial-Engineering-Studium und fünf Jahren Vollzeit-Berufserfahrung in internationalen Konzernen in Bulgarien, hätte sie einen guten Startvorteil in ihrer Heimat gehabt.

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Kristina Tsvetanova wechselte von Bulgarien nach Wien, um sich selbstständig zu machen
Die Entscheidung, das eigene Unternehmen in Wien aufzubauen, ist aber bewusst gefallen: „Wir wollten von Anfang an international aufgestellt sein.“ Das sei in Bulgarien schwieriger. Dafür sollen die Softwareentwickler aus Bulgarien kommen, weil sie günstiger sind. Auch die Patentanmeldung für ihr Produkt kostete in Bulgarien im Vergleich zu Österreich nur ein Drittel. „Für Marketing und Vertrieb wollen wir aber auf österreichische Mitarbeiter setzen“, so die 26-Jährige.
Geld, Förderungen, Schwierigkeiten
Bis dahin wird es noch etwas dauern - auch bis die Idee Geld einbringen kann. Bis Anfang nächsten Jahres soll es einen Prototyp geben. „Dann ist es hoffentlich leichter, einen Investor ins Boot zu holen“, so Tsvetanova. Bisher fließt Eigenkapital und Preisgeld von Start-up-Wettbewerben in den Gründungsprozess. Auch bei Slaats geht es nicht ohne zusätzliche Teilzeitarbeit. Fördergelder und Interesse von Investoren scheiterten bisher am fehlenden IT-Bezug oder am fehlenden Kreativstudium.
Von Förderungen war bei den Anfängen von Pallikunnel als Unternehmer überhaupt keine Rede. Schritt für Schritt vergrößerte er seinen Betrieb: „Die ersten zwei bis drei Jahre waren sehr schwierig. Niemand hat mir einen Kredit gegeben - wegen der Sprache, der Hautfarbe. Englisch hat damals in Wien nicht viel geholfen.“
Hürden beim Einstieg
Sprachliche Barrieren, fehlende Anerkennung von Qualifikationen und eine schlechtere finanzielle Ausstattung können Migranten das Gründen erschweren. Unter Migranten komme es häufiger zu Fällen, bei denen mit zu wenig Eigenkapital die Gründung begonnen werde, so Tuncel. Ursache dafür sei auch, dass Leute mit Migrationshintergrund häufig in den am schlechtesten bezahlten Branchen tätig seien und dadurch weniger Eigenkapital im Vorfeld aufbauen könnten: „Das kann in den ersten Jahren nach der Gründung zu Problemen führen.“
Für Migranten ist es dennoch leichter geworden zu gründen als noch vor einigen Jahren, stimmen die Jungunternehmer überein. Für die Integration sei es zwar nach wie vor unumgänglich, Deutsch zu sprechen. Doch werde Englisch immer mehr akzeptiert.
Und auch das Beratungsangebot und die Möglichkeit, Netzwerke zu erweitern, wurden in den letzten Jahren ausgebaut. Bei der Wirtschaftsagentur Wien gibt es etwa spezielle Angebote für Migranten. Beim Start-up-Service wird in insgesamt 15 Sprachen beraten - inklusive der unterschiedlichen kulturellen Spielregeln.
„Renaissance“ für das Unternehmertum
Darüber hinaus etablieren sich immer mehr Gemeinschaftsbüroräume (Coworking-Spaces) wie der bereits 2010 gestartete ImpactHub. Das erleichtert den Zugang zu günstiger Büroinfrastruktur, inhaltlicher Beratung und Workshops - vor allem aber stellt es Kontakte und Netzwerke zu anderen innovativen Gleichgesinnten her.
Der Großteil der Unternehmer mit Migrationshintergrund in Österreich kommt aus osteuropäischen Staaten wie der Slowakei, Rumänien und Ungarn. ImpactHub-Gründer Matthias Reisinger führt die pragmatischen und kreativen Problemlösungsansätze beim unternehmerischen Denken vieler ausländischer Gründer auf die eigenen Lebenserfahrungen auch im Kommunismus und auf die Erfahrung der Familie zurück: „Sie sind besser darauf vorbereitet, was man macht, wenn alles weg ist.“ Dieses Denken gebe es unter Österreichern weniger. Doch auch hier ortet Reisinger eine „Renaissance für das Unternehmertum und wieder mehr Verantwortung zu übernehmen“.
Simone Leonhartsberger, ORF.at
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