Themenüberblick

Mit Medizinpreis ausgezeichnet

Als Rodrigo Guerrero 1992 Bürgermeister der kolumbianischen Stadt Cali geworden ist, hat er sich in erster Linie um die öffentliche Gesundheit kümmern wollen. Doch der ausgebildete Epidemiologe lernte schnell, dass die größte Seuche der Stadt sich nicht mit herkömmlichen Medikamenten bekämpfen ließ.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hatte Kolumbien die weltweit höchste Mordrate. 80 von 100.000 Menschen kamen damals in der Hauptstadt Bogota durch die Hand eines anderen ums Leben. In der Millionenstadt Cali im Westen des Landes waren es noch einmal um ein Viertel mehr.

Mord als Gesundheitsrisiko

Für den frisch gewählten Bürgermeister von Cali stand die Mordrate am Anfang seiner Amtszeit dennoch nicht ganz oben auf der Tagesordnung. „Ich habe mich nicht wirklich für Gewalt interessiert“, sagte Guerrero gegenüber der Website des National Public Radio (NPR). Der Arzt, der vergangene Woche für sein Engagement den Roux-Preis verliehen bekam, wollte seinen Fokus vor allem auf den Ausbau des örtlichen Gesundheitssystems legen.

Der Bürgermeister der kolumbianischen Stadt Cali, Rodrigo Guerrero

Rachel Fortunati

Guerrero stellte fest: Morde können auch ein Fall für die Gesundheitspolitik sein

Doch Guerrero musste schnell erkennen, wovon die größte Bedrohung für die Gesundheit seiner Bürger ausging. „Wir haben uns die Aufzeichnungen besorgt und miteinander verglichen. Da haben wir erkannt, dass Morde die häufigste Todesursache waren, weit vor chronischen oder ansteckenden Krankheiten“, so Guerrero.

Wissenschaftliche Analyse

Mediziner, Statistiker, die Polizeiführung, Staatsanwälte und Richter - sie alle brachte der Bürgermeister an einen Tisch, um ein genaueres Bild der tödlichen Gewalt zu zeichnen. Bis dahin suchten die Behörden die Schuld vor allem bei den Drogenkartellen. Die hatten in den Achtzigerjahren massiv an Einfluss gewonnen - genau zu jener Zeit, als auch die Gewalt in Kolumbien markant zunahm.

Medizinische Statistik

Der Roux-Preis wird seit heuer vom Institute for Health Metrics and Evaluation der Uni Washington vergeben.

Mit ihm sollen besondere Leistungen in der Bekämpfung von Krankheiten mit Hilfe statistischer Daten ausgezeichnet werden.

Rodrigo Guerrero ist der erste Träger, des mit 100.000 Dollar (79.000 Euro) dotierten Preises.

Aber die Zahlen und Statistiken, die Guerrero nun heranziehen ließ, wollten nicht so recht in dieses Bild passen. Der Bürgermeister und sein Team fanden heraus, dass sich die tödliche Gewalt vor allem auf das Wochenende, Feiertage und jene Freitage konzentrierte, an denen die Arbeiter ihren Lohn bekamen. Ein Vergleich der gerichtsmedizinischen Daten mit den Polizeiberichten zeigte: Mehr als die Hälfte aller Morde und Totschläge waren entweder mit Alkohol verbunden oder ereigneten sich in einer Bar.

Calis Bürgermeister entschied sich für eine klassische Ursachenbekämpfung. Restaurants, Bars und Diskotheken durften unter der Woche nach 1.00 Uhr, am Wochenende nach 2.00 Uhr in der Früh keinen Alkohol mehr ausschenken. Zugleich gelang es der Stadtverwaltung, die Waffengesetzgebung zu verschärfen. An Wochenenden und Feiertagen herrscht seither in ganz Cali Waffenverbot.

Gewalt mit WHO-Methoden bekämpfen

Guerrero ist nicht der einzige Mediziner, der Gewaltwellen mit Krankheitsausbrüchen vergleicht. Gary Slutkin arbeitete als Epidemiologe in einer Vielzahl afrikanischer Länder, bevor er 2000 das Cure-Violence-Projekt ins Leben rief. Er geht davon aus, dass sich öffentliche Gewalt nach einem ähnlichen Muster bekämpfen lässt wie eine ansteckende Krankheit. Für letztere sieht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein Dreipunkteprogramm vor: Zuerst soll die Übertragung unterbunden, dann ein zukünftiger Ausbruch verhindert und auf längere Sicht das Verhalten der gefährdeten Gruppe nachhaltig verändert werden.

Das klingt so banal wie logisch. Und Slutkin musste die WHO-Maßnahmen nicht einmal sonderlich stark modifizieren. Wie in Aufklärungskampagnen gegen ansteckende Krankheiten üblich, setzt der Mediziner auch in der Gewaltprävention auf Vermittler. „Gewaltunterbrecher“ (violence interrupters) heißen diese in seinem Programm. Es sind zumeist Menschen, die selbst bereits mit Gewalt in Berührung gekommen waren - wie etwa ehemalige Gangmitglieder. Durch ihre Vergangenheit sollen sie genug Glaubwürdigkeit besitzen, um bei Konflikten auf der Straße zu vermitteln und gewaltlose Alternativen anzubieten.

Nachweisbarer Erfolg

So simpel Slutkins Ansatz wirken mag, so sehr scheint sich das Programm bewährt zu haben. In jenen Gegenden von Chicago, wo Cure Violence zum Einsatz kam, ging nach einer 2008 präsentierten dreijährigen Studie die tödliche Gewalt zwischen 41 und 73 Prozent zurück.

Auch Guerreros konnte ähnliche Erfolge vorweisen. Aus der Initiative des Bürgermeisters heraus entstand das Development, Security and Peace Program (DESEPAZ). Auch Jahre nachdem Guerrero Amtszeit bereits geendet hatte, ging die Arbeit von DESEPAZ weiter. Das Programm wurde Ende der Neunzigerjahre sogar von Bogatas Bürgermeister übernommen.

Zurück im Amt

2011 wählten die Bürger Calis Guerrero erneut zum Bürgermeister. Die Mordrate war damals wieder fast so hoch wie 20 Jahre zuvor. Diesmal lag die Schuld tatsächlich bei den Drogenhändlern - Gangs lieferten sich in den Straßen von Cali tödliche Gefechte. In den vergangenen drei Jahren konnte Guerrero die Zahl der Getöteten immerhin auf 56 pro 100.000 Einwohnern drücken. Aber damit will sich der Arzt nicht zufriedengeben. „Die Verringerung der Mordrate ist für mich zu einer persönlichen Herausforderung geworden“, ließ Guerrero NPR wissen.

Links: