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Unklarheiten und keine Details

Die Ukraine kommt nicht zur Ruhe. Inmitten neuer Gewalt in der Ostukraine haben mehrere NATO-Staaten unter Führung der USA im Westen der krisengeschüttelten Ex-Sowjetrepublik ein Manöver gestartet. Weiter unklar ist unterdessen, wer - und ob offiziell überhaupt - die Ukraine tatsächlich mit Waffenlieferungen gegen die russlandtreuen Separatisten unterstützt.

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Der ukrainische Verteidigungsminister Waleri Geletej hatte am Sonntag gesagt, sein Land werde von NATO-Staaten „auch mit tödlichen Waffen“ beliefert. Die Waffen seien bereits auf dem Weg und würden dazu benötigt, „Putin zu stoppen“, erklärte Geletej am Sonntag.

Deutschland weiß offiziell nichts

Welche Länder die Lieferanten seien, dürfe er jedoch nicht verraten. Er habe diese Unterstützung in bilateralen Gesprächen auf dem NATO-Gipfel in Wales Anfang des Monats unter Ausschluss der Medien ausgehandelt. Andere Länder wissen davon offenbar nichts. Die deutsche Regierung ist nach eigenen Angaben nicht über solche Waffenlieferungen, wie von Geletej behauptet, informiert. „Wir haben keine Hinweise oder Erkenntnisse, ob NATO-Staaten die Ukraine mit Waffen unterstützen“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin.

Die NATO selbst wird nach eigener Darstellung keine „tödlichen Waffen“ an das Nichtmitglied Ukraine liefern. Das Verteidigungsbündnis schloss jedoch nicht aus, dass Mitgliedsstaaten das tun. Anfang des Monats hatte die Regierung in Kiew bereits erklärt, Waffenlieferungen mit verschiedenen NATO-Ländern vereinbart zu haben. Vier der fünf genannten Länder hatten das jedoch umgehend dementiert, darunter die USA.

Polen will Ausrüstung liefern

„Ausrüstung von strategischer Bedeutung“ will hingegen das polnische Innenministerium an die Ukraine liefern. Laut der Zeitung „Rzeczpospolita“ ermöglicht ein Vertrag, den das Ministerium im Entwurf vorbereitet hat, auch Waffenlieferungen. Die Ausrüstung soll kostenlos der ukrainischen Nationalgarde übergeben werden, die unter anderem für den Grenzschutz verantwortlich ist. Polen ist sogar bereit, die Transportkosten zu übernehmen.

Soldaten unterschiedlicher Nationen vor Beginn des Rapid-Trident-Manövers

APA/EPA/Ivan Boberskyy

Abgeordnete der an der Militärübung teilnehmenden Armeen

Marcin Swiecicki, Abgeordneter der regierenden Bürgerplattform (PO), erklärte gegenüber der Zeitung, dass Polen der Ukraine wahrscheinlich Helme, Schutzwesten und Nachtsichtgeräte zur Verfügung stellen wird. Die Ukrainer brauchten vor allem Letztere zur Überwachung ihrer Staatsgrenze. Einen ähnlichen Vertrag will das polnische Innenministerium mit Moldawien unterzeichnen. Das Land ist genauso wie die Ukraine eine frühere Sowjetrepublik und im Konflikt mit Russland. Seit den frühen 90er Jahren hat Russland in der östlichen, abgespaltenen Region Transnistrien Truppen stationiert.

Militärübung gegen „mächtigen Gegner“

Die Militärübung „Rapid Trident“ (Schneller Dreizack) ist unterdessen bis zum 26. September angesetzt. Die Übung werde jährlich organisiert, teilten die in Europa stationierten US-Streitkräfte mit. Zu den Teilnehmern gehören neben der Ukraine, den USA und Deutschland etwa auch Polen, Großbritannien, Norwegen und Aserbaidschan. Außerdem nehmen offizielle NATO-Vertreter an der Übung teil, wie das Kommando der US-Streitkräfte in Stuttgart mitteilte.

„Augenblicklich steht uns ein Gegner mit einer der mächtigsten Armeen der Welt und Atomwaffen gegenüber“, sagte der ukrainische Oberst Alexander Siwak am Montag zu Beginn der Übung in Jaworow nahe der Großstadt Lwiw (Lemberg) mit Blick auf Russland. Die Führung in Kiew sieht das Nachbarland als „Aggressor“.

Russland, das selbst eine Reihe von Manövern mit Tausenden von zusätzlichen Soldaten an der ukrainischen Grenze abhielt, kritisiert seinerseits die Präsenz der rund 1.200 Soldaten aus 15 Staaten als Provokation angesichts des Konflikts in der Ostukraine. Das Kampfgebiet liegt rund 1.200 Kilometer vom Übungsgelände entfernt.

Poroschenko erwägt Selbstverwaltung für Ostukraine

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko will Gebieten in der umkämpften Ostukraine auf drei Jahre befristete Selbstverwaltungsrechte zubilligen. Auf der Website des Staatschefs hieß es am Montag, Poroschenko werde sein Vorhaben am Dienstag dem Parlament in Kiew vorlegen.

Die Pläne sollen sich demnach an dem Abkommen zur Waffenruhe orientieren. Die Selbstverwaltung soll maximal drei Jahre erlaubt sein. In diesem Zeitraum sei es der Regierung möglich, eine grundlegende Dezentralisierung umzusetzen, die auch „verfassungsmäßige Änderungen“ beinhalte, hieß es auf der Website des Präsidenten. Poroschenko versicherte, seine Pläne garantierten die „Souveränität, territoriale Integrität und Unabhängigkeit“ des ukrainischen Staates.

Medienberichten zufolge ermächtigen Kiews Pläne die Menschen in den Rebellenhochburgen Lugansk und Donezk auch zum Gebrauch der russischen Sprache in staatlichen Institutionen sowie zur Abhaltung von Regionalwahlen Anfang November. Außerdem ist es den Regionen erlaubt, die „guten nachbarschaftlichen Beziehungen“ zu russischen Partnern zu vertiefen.

Donezk: Zivilisten sterben bei Granateneinschlag

Wegen der andauernden Spannungen in der Konfliktzone schloss Separatistenführer Alexander Sachartschenko hingegen ein baldiges erneutes Vermittlungstreffen mit der Ukraine-Kontaktgruppe aus. „Der Beschuss der Städte durch die Armee dauert an, Gespräche haben derzeit keinen Sinn“, sagte er. Sachartschenko kritisierte ebenfalls das Manöver.

Ungeachtet einer Waffenruhe in der Ostukraine kamen bei einem Granateneinschlag in der Separatistenhochburg Donezk mindestens sechs Zivilisten ums Leben. Zudem seien 15 Bewohner verletzt worden, teilte die Stadtverwaltung mit. Die prorussischen Aufständischen warfen der Armee einen Bruch der Feuerpause vor. Die Regierungseinheiten wiesen das zurück und beschuldigten ihrerseits die militanten Gruppen.

Beobachter zweimal angegriffen

Internationale Beobachter gerieten nach eigenen Angaben im Osten der Ukraine unter Granatenbeschuss. Die Gruppe von sechs Personen sei in der Nähe von Donezk zweimal angegriffen worden, teilte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) am Montag mit. Bei den Vorfällen am Sonntag seien die Fahrzeuge der Beobachter stark beschädigt worden, verletzt worden sei niemand. „Wir sehen das als sehr ernsten Zwischenfall an“, sagte OSZE-Sprecher Michael Bociurkiw. Wer für die Angriffe verantwortlich sei, könne er nicht sagen.

Am 5. September hatte die Regierung in Kiew mit den prorussischen Separatisten eine Waffenruhe ausgehandelt, basierend auf einem Friedensplan des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Seitdem hält die Waffenruhe weitgehend, wenngleich es wiederholt zu vereinzelten Gefechten gekommen ist.

Kurz bei Poroschenko

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) äußerte bei einem kurzen Arbeitsbesuch in Kiew Verständnis für die ukrainische Forderung nach einem Abzug der russischen Truppen im Land. „Die Ukraine ist ein souveränes Land, und russische Soldaten haben in der Ukraine nichts verloren“, so Kurz nach einem Gespräch mit Präsident Petro Poroschenko und Außenminister Pawlo Klimkin.

Gegenstand der Gespräche waren neben dem EU-Assoziierungsabkommen auch der Waffenstillstand sowie die humanitäre Lage im Osten der Ukraine. Ursprünglich hätte Kurz den Staatschef bereits am Freitag treffen sollen. Ein geplanter Zwischenstopp in Kiew - Kurz reiste an diesem Tag aus Aserbaidschan nach Berlin - war jedoch auf ukrainisches Ersuchen verschoben worden.

Verschiebung von Abkommen verteidigt

Ein zentrales Thema der Begegnung mit Poroschenko und Klimkin, hieß es von österreichischer Seite, sei das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine gewesen, das am Dienstag vom ukrainischen Parlament ratifiziert werden soll. Vergangene Woche war in Brüssel bekanntgeworden, dass die „provisorische Anwendung“ des Abkommens bis zum 31. Dezember 2015 verschoben wird.

Österreich habe sich mit anderen Staaten stets dafür eingesetzt, so Kurz gegenüber der APA, dass in Bezug auf dieses Abkommen auch mit Russland verhandelt werde. „Die Ukraine, Russland und die Europäische Union sind mit dem Ergebnis dieser Verhandlungen zufrieden“, sagte Kurz. Poroschenko habe ihm gegenüber noch einmal betont, dass die Verschiebung des Inkrafttretens auch für die Ukraine eine gute Lösung sei.

Hilfsangebot für OSZE-Mission

Bereits vor seinem Treffen mit ukrainischen Politikern war Kurz am Vormittag auch mit hochrangigen Vertretern von EU und OSZE in Kiew zusammengetroffen. Diese informierten Kurz über die aktuelle Lage im Osten der Ukraine. Vor allem der in Wien beheimateten OSZE kommt derzeit bei der Überwachung des Waffenstillstands eine besondere Rolle zu. „Die OSZE-Mission soll deshalb von 300 auf bis zu maximal 800 Mitarbeiter aufgestockt werden. Österreich steht bereit, weitere Personen dafür zu nominieren“, sagte Kurz.

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