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Schottland als zweites Norwegen?

Im September entscheiden die Schotten, ob sie noch zu Großbritannien gehören wollen. Schmiermittel im Kampf um Stimmen ist für die Nationalpartei das Nordsee-Öl. Aber könnte es ein unabhängiges Schottland wirklich finanzieren?

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Vor der langgezogenen Strandpromenade Aberdeens liegen in Sichtweite gut zwei Dutzend grellbunte, riesige Tanker in der Nordsee. Wenige hundert Meter weiter im Industriehafen stehen dicht an dicht turmhohe Tanks, Tag und Nacht rattern die Pumpen. Seit in den 60er und 70er Jahren das erste Öl vor der schottischen Küste entdeckt wurde, hat sich die Fischerstadt Aberdeen zu Europas Ölhauptstadt entwickelt. Sogar auf der Flughafentoilette werben Unternehmen für Jobs in der Branche.

„Viele Milliarden Barrel“

Der Schatz unter der Nordsee bringt nicht nur Wohlstand in die Stadt mit knapp 230.000 Einwohnern. Er ist auch ein wichtiges Argument der schottischen Regierung für die Abspaltung von Großbritannien. Schottland, so die These der Nationalpartei SNP, kann mit Hilfe der Öleinnahmen locker auf eigenen Füßen stehen. Sollten die Schotten am 18. September für die Abspaltung stimmen, dann gehörten die Reserven unter dem Meeresboden endlich wieder ihnen.

Parteichef Alex Salmond will dann nach norwegischem Modell einen Teil der Steuereinnahmen in einen Ölfonds stecken, der die Zukunft kommender Generationen finanzieren soll. Die Industrie werde „viele Milliarden Barrel über viele Jahrzehnte“ produzieren, beschwor er erst vor ein paar Tagen in der letzten Parlamentssitzung vor der Abstimmung. Doch das sehen nicht alle so, etwa der angesehene Branchenexperte Ian Wood, Gründer eines Dienstleistungskonzerns in der Öl- und Gasindustrie in Aberdeen.

Viel weniger Reserven als gedacht?

In der Nordsee schlummerten viel weniger Reserven, als die Regierung in Edinburgh annehme, warnte Wood. Statt 24 Milliarden Barrel seien es nur gut 15 Milliarden, in 35 Jahren sei Schluss mit der Förderung: „Unseren jungen Wählern muss klar sein, dass Schottland nur noch eine geringe Öl- und Gasproduktion vor der Küste haben wird, wenn sie ins mittlere Alter kommen, und das wird unsere Wirtschaft, unseren Arbeitsmarkt und den öffentlichen Dienst schwer treffen.“

Auch die Energieriesen BP und Shell haben sich öffentlich dafür ausgesprochen, dass Schottland bei London bleiben soll. Er schätze Kontinuität und Stabilität, sagte Shell-Chef Ben van Beurden im Frühjahr in London. Sein BP-Kollege Bob Dudley äußerte sich ähnlich. Im Falle einer Abspaltung wäre die Aufteilung der Ölsteuereinnahmen zwischen London und Edinburgh eine Königsfrage in den folgenden Verhandlungen. 91 Prozent könnten an Schottland gehen, hat das Londoner Institut für Wirtschafts- und Sozialforschung ermittelt.

Auch „erstklassige Nahrungsmittel“

Welche Summen dann in die Staatskasse fließen würden, ist kaum vorhersagbar. Es hängt vom Ölpreis und der Fördermenge ab: Im Rekordjahr 2008/9 strich Großbritannien 12,4 Milliarden Pfund (15,6 Mrd. Euro) aus der Öl- und Gasförderung ein, 2013/14 beinahe nur noch ein Drittel davon. So oder so könne nur ein Bruchteil der öffentlichen Ausgaben über Öl finanziert werden, warnte Großbritanniens Ex-Premier Gordon Brown letzte Woche. Der Schotte ist gegen die Abspaltung.

Wie mit Öl Politik gemacht wird, weiß die SNP genau. In den 70er Jahren beanspruchte sie den damals gerade entdeckten Schatz in der Nordsee für Schottland - mit dem Slogan „It’s Scotland’s Oil“ vervielfachte sie ihren Stimmenanteil. Allzu sehr will Regierungschef Alex Salmond diesmal nicht auf den Öl-Trumpf setzen in den letzten Wochen des Wahlkampfs. Schließlich habe das Land auch eine erstklassige Nahrungsmittelindustrie.

Teresa Dapp, dpa

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