„Pedantische Nervensäge“ im Ministerium
Der US-Biermarkt ist umgerechnet rund 75 Mrd. Euro pro Jahr schwer, und er hat einen „König“ oder - je nach Sichtweise - „Tyrannen“: Kent Martin. Der Regierungsbeamte aus dem Finanzministerium in Washington entscheidet laut einem US-Magazinbericht so gut wie alleine darüber, ob eine Flasche oder ein Etikett auf den Biermarkt darf - und tut das mit ausgesprochener Akribie.
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Für einen „König“ ist Martin allerdings sehr öffentlichkeitsscheu. Außer für die wenigen, die anders als auf dem Postweg mit ihm zu tun hatten, ist er quasi ein Phantom: Es gibt kein öffentliches Foto, nicht einmal kleinste Details aus seiner Biografie. Dafür gibt es umso mehr Anekdoten über ihn, aus denen das US-Onlinemagazin The Daily Beast zuletzt ein fragmentarisches Porträt zu zeichnen versuchte: Titel: „Treffen Sie den Bierflaschendiktator“.
Den Ruf als „Diktator“ hat sich Martin laut dem Artikel nicht nur selbst hart erarbeitet, er hat auch mit seiner Position zu tun. Glaubt man dem Magazin, trifft er seine Entscheidungen praktisch im Alleingang. Der Beamte aus Washington müsse jedes einzelne Flaschenetikett in den Vereinigten Staaten absegnen, was ihm „eine überwältigende Macht in einem riesigen Industriezweig“ verleihe. Bisher habe Martin über mehr als 29.500 Zulassungen entschieden.
„Er ist der König des Biers, er ist das Gesetz“
„Er ist der König des Biers, er ist das Gesetz“, zitiert das US-Onlinemagazin einen namentlich nicht genannten Rechtsanwalt, der regelmäßig mit Martin zu tun hat. Der Jurist habe anonym bleiben wollen, um es sich nicht mit ihm zu verscherzen. „Es sitzt ein Kerl in der Regierung, der die Macht über eine Multimilliardenindustrie erhält - und das fast ohne jede Kontrolle.“ Martins Aufgabe, laut den spärlichen US-Medienberichten über ihn, ist es konkret, die Flaschen und deren Etiketten samt Grafiken und Beschriftungen im Namen des Tax and Trade Bureau (TTB) im US-Finanzministerium abzusegnen, bevor eine Biersorte in den Handel gebracht werden darf.
Die Regeln dafür, was erlaubt ist und was nicht, seien allerdings intransparent und vage. Martin jedenfalls sei damit für die Brauer zum Symbol für „die sinnlosen Gesetze der TTB“ geworden, er lege diese aber zudem absolut „pingelig“ aus. Die Erklärung eines Brauers gegenüber Daily Beast dazu: Wenn man bereits über knapp 30.000 formale Zulassungen entschieden hat, „fühlt man sich vielleicht, als ob man das Gesetz sei“.
Spitzname „Battle“: Legende und Despot
Unter den Brauern gelte Martin als „Legende“ gleichermaßen wie als Despot - wohl abhängig davon, welche Erfahrungen die mit ihm gemacht haben. In der Öffentlichkeit sprechen nur wenige Bierproduzenten laut über Martin, hinter vorgehaltener Hand werden die Kommentare deutlicher: Sein Spitzname ist „Battle“ („Schlacht“ bzw. „Kampf“), er gelte als „pedantische Nervensäge“ („pedantic pain in the ass“), „exzentrischer Bürokrat“, als schroff, verbissen und gleichzeitig als ein Arbeitstier.
Martin wirke von seiner Erscheinung her etwas tollpatschig, aber stets perfekt gekleidet und trage eine Brille, mehr förderten auch die Recherchen von Daily Beast nicht zu seiner Person zutage. „Das TTB würde nicht einmal biografische Basisfakten über den berühmten Regulierer“ herauslassen, ganz zu schweigen davon, dass dieser für Interviews zur Verfügung stehen würde.
Ebenso legendär wie Martins Akribie sei seine Arbeitswut, heißt es. Auf einer Konferenz habe er einmal gleichzeitig auf mehreren Laptops gearbeitet. „Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so hart arbeitet wie er“, sagte Scott Newman-Bale von der Brauerei Short’s aus dem US-Bundesstaat Michigan. Andere Brauer erzählten, dass sie Bescheide aus seinem Büro auch schon um ein oder fünf Uhr Früh erhalten hätten. „Wir machen uns darüber lustig, aber wenn es einen Luftangriff auf Washington geben sollte, dann ist es er, der seine Sachen nimmt und in einen Bunker geht, um seine Produktion aufrechtzuerhalten“, zitierte das US-Magazin eine namentlich nicht genannte Person aus Martins Arbeitsumfeld.
Schielender Weihnachtsmann, Herzkönig und Kobolde
Viele haben die eine oder andere Geschichte über „Battle“ in ihrem Repertoire. Einmal etwa habe Martin ein Etikett mit einem Motiv der Spielkarte Herzkönig abgelehnt, da das Herz seiner Meinung nach dem Kunden suggerieren würde, das Bier in der Flasche habe irgendeine gesundheitsfördernde Wirkung. Ein weiteres Bier, das mit dem Attribut „herzerwärmend“ werben wollte, durfte so aus demselben Grund nicht auf den Markt.
Vor etwa zwei Jahren reklamierte Martin bei einem „Nobama Brew“ - ein Wortspiel für Nein zu (US-Präsident Barack) Obama - den Zusatz, dass das Bier nur im Herkunftsbundesstaat verkauft werden dürfe, auf das Etikett. Die Aufregung unter Obama-Gegnern war groß. Den Namen „Böser Kobold“ für ein Bier habe der Regierungsbeamte als nicht erlaubten, weil verwirrenden Warnhinweis ausgelegt, heißt es im Daily-Beast-Artikel. Auf einem Etikett, das Santa Claus zeigte, seien ihm die Augen zu „verdreht“ erschienen. Nach einer „Augenkorrektur“ habe es dann doch das Placet aus Washington gegeben.
Länger dauerte ein Streit in Kalifornien. Dort lag der Brauer Vaune Dillman mit Martin und der Regierung im Clinch, weil er sein Bier unter dem Namen „Weed“ vermarkten wollte. Das Problem: „Weed“ ist eine umgangssprachliche Bezeichnung für „Gras“, also Marihuana. Auf dem Etikett hätte stehen sollen: „Try LEGAL Weed“ („Probieren Sie legales Weed“). In den Streit seien zuletzt sogar kalifornische Senatoren involviert gewesen. Am Ende sei die Flasche nur erlaubt worden, weil Aber Weed, ein Regierungsbeamter aus der Zeit des US-Bürgerkriegs, Namensgeber der kalifornischen Kleinstadt ist.
„König“ in einem großen Reich
Ein Hamburger auf einem Etikett habe dagegen keine Chance gehabt. Begründung: Der hätte suggeriert, dass Fleischzusätze in dem Bier enthalten seien. Ein „India Dark Ale“ sei nicht erlaubt worden, da es Martin zu „indisch“ gewesen sei. Dabei ist „India Pale Ale“ der Name eines in den USA beliebten Bierstils - und auf der Flasche prangte ohnehin die Beschriftung „Hergestellt in Dänemark“.
Ob Martin nun „Tyrann“ oder „König“ ist, sein Reich ist groß. Laut aktuellen Daten des Branchenverbandes Brewers Association setzten die 2.822 registrierten US-Brauer im Vorjahr rund 100 Mrd. Dollar (rund 75 Mrd. Euro) um. Besonders gut ging das Geschäft für regionale Produzenten, Klein- und Mikrobrauereien. Beide konnten ihren Umsatz jeweils um über 20 Prozent steigern. Allein die kleinen „Craft“-Brauereien (Produktion unter 17.600 Hektoliter pro Jahr) setzten laut dem Verband fast 40 Mrd. Dollar (etwa 30 Mrd. Euro) um, an dem Segment hängen bereits rund 360.000 Jobs.
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