Kerry, Kairo und der Metalldetektor
Am Tag des Fastenbrechens zum Ende des Ramadans (Id al-Fitr), einem der höchsten muslimischen Feiertage, sind die blutigen Kämpfe im Gazastreifen deutlich abgeebbt. Israel verkündete eine einseitige, vorläufig unbefristete Waffenruhe. Die Hamas reduzierte ihren Raketenbeschuss auf Israel deutlich.
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Es ist ein nach derzeitigem Stand vorübergehendes Durchatmen, denn ein Ende dieser Runde der Gewalt im israelisch-palästinensischen Konflikt ist nicht in Sicht. Israel setzt auch die Zerstörung der Tunnel im Gazastreifen fort. Zudem kann die Armee auf Beschuss durch die Hamas reagieren. Zuletzt forderten US-Präsident Barack Obama und der UNO-Sicherheitsrat eine „sofortige, bedingungslose humanitäre Waffenruhe“. Auch wenn am Montag die Kämpfe deutlich abflauten, ist das weniger eine Folge der internationalen diplomatischen Vermittlungsbemühungen, sondern wohl vor allem dem muslimischen Feiertag geschuldet.

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Sisi (r.) - hier gemeinsam mit Kerry - ist auf die USA nicht gut zu sprechen
Im Gegenteil: Wie selten zuvor in dem Konflikt, der im mehrjährigen Jahresrhythmus immer wieder zu militärischen Konfrontationen führt, haben sich Vermittler bisher bei beiden Seiten eine Abfuhr geholt. Insbesondere die USA, jahrzehntelang der wichtigste Vermittler, werden teils für diplomatische Verhältnisse brutal vorgeführt und stehen den Entwicklungen so machtlos wie kaum jemals zuvor gegenüber.
Offene Rechnungen
US-Präsident Obama und seinem Außenminister John Kerry wird gleich von mehreren Seiten die Rechnung für die Nahost-Politik der letzten Jahre präsentiert. Der neue ägyptische Machthaber, Ex-Armeechef Abdel-Fatah al-Sisi, hat es Obama bis jetzt nicht verziehen, dass dieser den Sturz der demokratisch gewählten Muslimbrüder und seine anschließende Machtübernahme lange ablehnte und sogar mit einem Einfrieren der Militärhilfe drohte. Das bekam Kerry bei seiner Vermittlermission am Wochenende hautnah zu spüren: Der ranghöchste US-Diplomat wurde, so wie seine Begleiter, erst nach einem persönlichen Sicherheitscheck mit dem Metalldetektor zu Sisi vorgelassen.
Persönliche Animositäten
Das Verhältnis mit Israel wiederum ist seit Jahren belastet - und das nicht zuletzt wegen der, gelinde ausgedrückt, fehlenden Chemie zwischen Obama und Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu. Obama düpierte Netanjahu im Laufe der Jahre wiederholt mit undiplomatisch offener und öffentlicher Kritik am Siedlungsbau und angeblich mangelhafter Kompromissbereitschaft. Netanjahu revanchierte sich, indem er sich bei der letzten Präsidentschaftswahl ziemlich offen gegen Obama und für dessen republikanischen Herausforderer Mitt Romney starkmachte.
Doch zu persönlichen Animositäten zwischen den beiden kommen auch grundsätzliche Differenzen in den entscheidenden Fragen: Obama sieht die Grenzen von 1967 als Ziel einer Friedenslösung - in Israel kommt das wegen der teilweise bevölkerungsreichen Siedlungen nicht nur für Netanjahu nicht infrage. Aber auch im Atomstreit mit dem Iran, einem für Israel existenziellen Thema, gab und gibt es nicht nur graduelle Unterschiede in der Frage, wie am besten mit dem Regime in Teheran umzugehen ist.
Kein Draht zur Hamas
Dazu kommt als drittes Problem, dass die USA keine direkten Beziehungen zur Hamas unterhalten. Kerry holte daher die beiden wichtigsten Unterstützer der radikalislamischen Bewegung, die bis heute das Existenzrecht Israels nicht anerkennt - Katar und die Türkei - in eine Koalition der Vermittler. Aus US-Sicht ist das umso verständlicher, als beide Länder wichtige Partner im Syrien-Konflikt sind und Hamas-Chef Chalid Maschal mittlerweile in Katar Asyl gefunden hat.

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In der Öffentlichkeit lassen sich Netanjahu und Obama die Differenzen nicht anmerken
Doch zugleich stieß Kerry damit erneut Kairo vor den Kopf, das mit beiden Ländern mehr oder weniger offen im Streit liegt. Katar unterstützte den „ägyptischen Frühling“ und die Muslimbrüder. Der von Katar finanzierte TV-Sender al-Jazeera ist kritisch gegenüber Sisi. Die jüngste Verurteilung von Al-Jazeera-Reportern durch ein ägyptisches Gericht verschärfte die Spannungen weiter.
Auch der türkische Regierungschef Reccep Tayyip Erdogan hatte mit seiner offen ausgesprochenen Unterstützung für die Muslimbrüder und gegen Sisi Kairo verärgert. Sisi sei „kein Demokrat“ und „derzeit ein Gewaltherrscher“, sagte Erdogan am Freitag erneut. Ägypten wiederum sieht in der Hamas auch für das eigene Land eine strategische Gefahr. Kairo wirft der Bewegung vor, die islamischen Dschihadisten auf dem Sinai, die immer wieder Anschläge auf die ägyptische Armee verüben, zu unterstützen.
Waffenruhe als Mittel zum eigenen Zweck
Der frühere US-Außenministeriumsmitarbeiter Robert Danin erklärte gegenüber der „New York Times“ („NYT“), dass die Hürde für einen Erfolg Kerrys diesmal auch deshalb so hoch sei, weil „keine Seite verzweifelt einen Waffenstillstand will“. Keine Seite sei überzeugt, dass ein solcher den Konflikt beenden werde. „Beide sehen eine Waffenstillstandsvereinbarung nur als Weg, sich eine möglichst gute Position für die nächste Kampfrunde zu sichern“, so Danin.
Während die USA schon vor einer Woche zu dem Schluss kamen, dass die „Terrorinfrastruktur“ der Hamas „entscheidend“ geschwächt worden sei, ist Israels Armee bis heute nicht dieser Meinung. Diese unterschiedliche Einschätzung ist laut „Wall Street Journal“ („WSJ“) eines der zentralen Probleme. Während Israel möglichst ausschließen will, dass künftig eine militärische Gefährdung vom Gazastreifen ausgeht - mit anderen Worten eine Demilitarisierung -, warnen die USA vor einem Aufstand auch in der Westbank, wo bei Solidaritätsprotesten bereits mehrere Menschen getötet wurden.
„Leichtsinniger“ Kerry
Der US-Entwurf für eine Waffenstillstandsvereinbarung habe Israels Regierung Ende letzter Woche dann „schockiert“, schrieb die liberale israelische Tageszeitung „Haaretz“, da er „Israel und die Hamas auf eine Ebene gestellt“ habe. Israel reagierte, indem zahlreiche Details des Entwurfs an die Medien weitergespielt wurden und Kerry schließlich dazu gedrängt wurde, die Bedeutung des Papiers herunterzuspielen. Am Montag warf „Haaretz“ - ein Blatt, das für seine beißende Kritik an Netanjahu bekannt ist - Kerry in einem Kommentar vor, „leichtsinnig“ eine Eskalation zu riskieren. In dem Entwurf seien Israels Sicherheitsbedürfnisse praktisch nicht erwähnt worden. Kerry habe sich von den Hamas-Vertretern Katar und Türkei über den Tisch ziehen lassen.
Es ist außergewöhnlich, mit welcher Ungerührtheit die Hamas und Israel den diplomatischen Bemühungen den USA, die nun seit mehr als einer Woche intensivst um einen Waffenstillstand ringen, die Stirn bieten. Zur israelisch-amerikanischen Verstimmung hatte in der Vorwoche nicht zuletzt die US-Entscheidung, vorübergehend ein Landeverbot für US-Flugzeuge auf dem Ben-Gurion-Flughafen bei Tel Aviv auszusprechen, gesorgt.
USA verstimmt über israelische Kritik
So gereizt ist die Stimmung zwischen den USA und Israel, dass die Differenzen so öffentlich wie selten ausgetragen werden. Auf die seit dem Wochenende anhaltende Kritik hochrangiger israelischer Politik und Medien reagierte das US-Außenministerium am Dienstag verärgert - und ebenfalls öffentlich. Die Sprecherin des Außenministeriums, Jen Psaki, sagte zu Journalisten: „Aus unserer Sicht ist das einfach nicht die Art, wie Partner und Verbündete miteinander umgehen.“
US-Sicherheitsberaterin Susan Rice sagte, die USA seien über Schilderungen in der israelischen Presse bestürzt, die die Bemühungen Kerrys nach ihren Worten in ein falsches Licht rückten.
Die Folgen der außenpolitischen US-Wende
In Interviews mit Militärs und Experten im israelischen Radio war immer wieder die Forderung zu hören, die USA sollten Israel - durch öffentliche Statements und im UNO-Sicherheitsrat den Rücken freihalten, um die Militäraktion gegen die Hamas so lange fortsetzen zu können, bis die Hamas die weiße Fahne hissen muss. Aus israelischer Sicht ist das eine Notwendigkeit, um einen Zustand der Abschreckung wiederherzustellen, der die Hamas zumindest auf mehrere Jahre davor zurückschrecken lässt, Israel wieder anzugreifen. Für die Hamas ist eine Aufhebung - oder zumindest spürbare Lockerung - der Blockade des Gazastreifens wiederum eine Überlebensfrage. Ansonsten droht der Hamas-Herrschaft der Kollaps.
Aus israelischer Sicht durchbrechen Obama und Kerry mit ihrem Verhalten das mehr oder weniger ausgeprägte diplomatische Zusammenspiel der beiden Ländern in den letzten Konfliktrunden. Es ist nicht zuletzt Obamas grundsätzlichem außenpolitischen Credo geschuldet, dass die USA regionale Konflikte nicht alleine lösen können, sondern nur unter Einbindung aller Beteiligten.
Zu dieser Haltung gelangte Obama vor allem wegen der ebenso blutigen wie erfolglosen Doppelpräsidentschaft seines Vorgängers George W. Bush. Dazu kommt, dass Obama mit der Unterstützung der Aufstände in Libyen und Syrien zwar keine US-Soldaten in den Krieg schickte, aber Blutvergießen mit verantwortete. Die USA haben die Machtverschiebung im Nahen Osten entscheidend angestoßen. Ein Ende der politisch-tektonischen Verschiebungen ist noch nicht absehbar.
Guido Tiefenthaler, ORF.at
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