Kreml-Chef schweigt
An Kapitulation denken die prorussischen Separatisten auch nach den massiven Kampferfolgen ukrainischer Regierungstruppen nicht. Welchen nächsten Zug in dem Machtkampf plant wohl Kreml-Chef Wladimir Putin?
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Wohl auch angesichts drohender Sanktionen des Westens hält sich Kreml-Chef Putin im Ukraine-Konflikt auffallend zurück. Seit Tagen ist keine Rede mehr davon, die Interessen der ethnischen Russen in den umkämpften Gebieten Donezk und Lugansk schützen zu wollen. Aus seinem Umfeld ist zu hören, dass angeblich alles getan werde, um die Lage weiter zu entspannen.
Neue wirtschaftliche Strafmaßnahmen des Westens wären demnach für das in eine Rezession abgleitende Russland besonders schmerzhaft. Doch dass Putin sich nach dem großen Propagandakrieg um die Ukraine nun geschlagen gibt, daran mag in Moskau niemand so recht glauben.
„Geopolitische Niederlage“ droht
„Die Separatisten sind Selbstmörder, wir unterstützen sie nicht, stempeln sie aber auch nicht als Verbrecher ab“, meint ein ranghoher Kreml-Mitarbeiter. Dass sich die prorussischen Kräfte angesichts mangelnder Unterstützung aus Moskau nun aus den Hochburgen Slawjansk und Kramatorsk und anderen Orten zurückgezogen haben, passt zwar in das Bild, es passt aber nicht zur russischen Propagandalinie, wie Experten in Moskau betonen.
Ein Aufgeben der Russen im Kampf um Einfluss in der Ostukraine wäre, so die Meinung in Moskau, auch eine „geopolitische Niederlage“ für den Kreml. Moskau hat die von der EU und den USA unterstützte Regierung in Kiew seit Monaten als faschistisch verunglimpft.
Hardliner schäumen
Es sei doch „unmöglich“ für jemanden wie Putin, die prorussischen Kräfte ans Messer zu liefern und einfach abzuziehen, meint der prominente Kommentator Alexej Wenediktow, Chefredakteur des Kreml-kritischen Radiosenders Echo Moskwy. Der Kreml-Chef sei unter „Zugzwang“, betont er. „Natürlich ist Putin Putin geblieben. Für ihn ist schon der Gedanke an öffentliche Zugeständnisse unmöglich.“
Im Kreml ist zu hören, dass der Druck auf Putin, die selbst ernannten „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk anzuerkennen und Streitkräfte zu Hilfe zu schicken, enorm ist. Russland werde aber in der Ukraine nicht einmarschieren, hatte Putins Sprecher Dimitri Peskow zuletzt immer wieder beteuert. Allerdings meinen Politologen in Moskau, dass zwischen den Liberalen und den Falken im Kreml um diese Frage längst ein erbitterter Machtkampf tobt.
Angst vor NATO vor der Haustür
Ziel der Russen bleibt es, durch das Konfliktgebiet Ostukraine zu verhindern, dass das Nachbarland zu einer Militärbasis für die NATO werde oder sogar zum Ort für die von den USA geplante Raketenabwehr. Wohl auch deshalb verlangt Moskau fast täglich weiter Verhandlungen zur Zukunft der Ostukraine.
Die von Russen geführten Separatisten verschanzen sich nun zu Tausenden in der Millionenstadt Donezk und in der Großstadt Lugansk. Durch die teilweise von ihnen kontrollierten Grenzpunkte können weiter Waffen und Kämpfer in die Ostukraine gelangen. Dass sie die ohnehin ausgebluteten Hochburgen Slawjansk und Kramatorsk aufgegeben haben, gilt aus ihrer Sicht kaum als großer Verlust.
Kiews „Kampf um die Herzen“
Die Orte waren nach Problemen mit der Wasser- und Stromversorgung zuletzt kaum noch zu halten gewesen. Viele Bewohner sind geflüchtet. Um das zurückeroberte Terrain aber dauerhaft zu halten, muss die ukrainische Führung nicht nur viel Geld investieren für den Wiederaufbau der Infrastruktur. Sie muss auch Tausende Sicherheitskräfte einsetzen, damit die Separatisten nicht wieder Gebäude besetzen.
Auch angesichts der vielen Todesopfer unter der Zivilbevölkerung gerät Kiew zunehmend unter Rechtfertigungsdruck. Unklar ist auch, wie die Zentralregierung den „Kampf um die Herzen“ der Menschen im Osten gewinnen will.
Glücklose Verfassungsreform
Die vom ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko angestoßene Verfassungsreform für eine Verlagerung von Machtbefugnissen und Geld in die Regionen ist bereits im ersten Anlauf stecken geblieben. Sie wird in Parlamentsausschüssen diskutiert. Zum Ärger vor allem Moskaus betont der Staatschef auch immer wieder, dass die russische Sprache keinen offiziellen Status erhalte. Die mit den prorussischen Separatisten sympathisierenden Bürger in der Ostukraine sehen deshalb weiterhin keinen Anlass, den prowestlichen Kräften in Kiew zu vertrauen.
Ulf Mauder und Andreas Stein, dpa
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