Vorhang zu für Violetta
Reduktion statt Opulenz: Im Theater an der Wien ist seit Dienstag Peter Konwitschnys Grazer Inszenierung von Giuseppe Verdis „La Traviata“ in einer Neueinstudierung zu sehen. Der Beifall des Publikums am knapp zweistündigen Premierenabend war groß - sowohl für das Ensemble angeführt von der herausragenden Marlis Petersen als „Violetta“ als auch für die puristische Inszenierung, die mit Präzision zum Kern des Dramas vorstößt.
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„Libiamo ne’ lieti calici“ - das Trinklied auf Sorglosigkeit und Spaß lässt so scharf wie hier dargebracht von Anfang an darauf schließen, was gespielt wird: Aus boshafter Tollerei verkuppelt die Pariser Partymeute die todkranke Prostituierte Violetta mit dem Außenseiter Alfredo, um sich dann über das ungleiche Paar und das Scheitern der Beziehung lustig zu machen.
Violettas Interesse an dem verträumten Alfredo ist aber auch weniger naive Verliebtheit als der Versuch, in dieser Gesellschaft angenommen zu werden. Kurz ist sie ihr dann auch vergönnt, die Vision eines normalen Lebens, eines gemeinsamen Alltags in Cargohosen und Holzfällerhemd, aber die Seifenblase zerplatzt unweigerlich, und sie muss der bitteren Wahrheit ins Auge sehen - wenn der Tod kommt, sind alle anderen schon weg.
Trost und Hoffnung? Keine Spur
Wo die Spieß- und Spaßbürger bei Verdi noch Mitleid und Reue haben oder heucheln, bleibt Konwitschny gnadenlos: Trost oder Hoffnung kann Violetta nicht finden. Von all ihren historischen Dekorationen und zeitlichen Verortungen befreit, fokussiert er die Inszenierung voll auf die Titelrolle. Dafür dampft der Regisseur die Oper recht großzügig auf knappe 105 Minuten ein und verzichtet auf mehrere große Chorszenen wie Maskenball und Zigeunerchor. Heitere Vergnügungssucht lässt Konwitschny nicht zu - seine Partygemeinde ist das emotionale Prekariat in Reinform, unerbittlich, voyeuristisch und mitunter aggressiv.
![© Theater an der Wien/Werner Kmetitsch Marlis Petersen (Violetta Valéry), Arturo Chacón Cruz (Alfredo Germont)](../../../static/images/site/news/20140727/la_traviata_theater_an_der_wien_body_n.4565479.jpg)
Theater an der Wien/Werner Kmetitsch
Alfredo (Arturo Chacon-Cruz) und Violetta (Marlis Petersen) ist eine gemeinsame Zukunft nicht vergönnt
Verdichtung durch Libretto-Umdeutungen
Bei einem so speziellen Zugriff auf den Stoff bleibt es nicht aus, dass das auf der Bühne Gezeigte mitunter nicht mit dem Libretto übereinstimmt, doch die Änderungen wirken dennoch plausibel. Am meisten fällt das etwa mit dem Auftritt von Alfredos Vater Giorgio Germont auf, der die normalerweise nur besungene Schwester zum Erpressungsbesuch mitbringt - eine Regieentscheidung, mit der sowohl Violettas Opfer als auch die Haltung Germonts deutlich nachvollziehbarer vermittelt werden.
Schließlich liegt hier auch der Kern des Dramas. „Die vom Weg Abgekommene“ (so die deutsche Übersetzung des Titels) muss sich opfern, um die Zukunft des „engelsgleichen“ Mädchens und ihrer Familie in der guten Gesellschaft zu retten. Das Unglück Violettas, es ist mehr als nur der Verlust der Liebe, es ist das Ende jeder Hoffnung, nicht nur als Lustobjekt, sondern als Subjekt anerkannt zu werden.
Radiohinweis
Ö1 überträgt Peter Konwitschnys „La Traviata“ aus dem Theater an der Wien am 5. Juli um 19.30 Uhr - mehr dazu in oe1.ORF.at.
Um deutlich zu machen, was auf der Bühne mit Violetta und ihrem Umfeld passiert, braucht Konwitschny nicht viel an Ausstattung. Das Bühnenbild von Johannes Leiacker beschränkt sich auf einige Lagen teils semitransparenter Vorhänge, die im Laufe des Abends einen immer tieferen Blick auf die Bühne freigeben - bis schließlich der Raum leer bleibt.
Violetta spielt in ihrer eigenen Klasse
Petersen war in dieser Inszenierung 2011 erstmals als Violetta zu sehen, mittlerweile führt sie die Rolle fest in ihrem Repertoire - zum Glück, wie sich bei der Wiener Premiere wieder gezeigt hat. Ihr Auftritt ist von Beginn an ein Ereignis, ihre Stimme stark und ergreifend - egal ob intime Töne oder große Dramatik. Mit dieser Klasse darf sie es sich leisten, nicht auf Belcanto-Perfektion, sondern auf expressive Interpretation zu setzen und damit dennoch zu einer unvergesslichen Traviata zu werden.
Tenor Arturo Chacon-Cruz, der an Petersens Seite im Theater an der Wien schon in „Les Contes d’Hoffmann“ überzeugte und später neben Placido Domingo in „I due Foscari“ brillierte, hat als linkischer Alfredo kein leichtes Spiel: Er muss als tollpatschiger Bücherwurm schauspielerisch völlig gegen die Rolle agieren, die er singt. Dennoch: Mit seinem wunderbaren Tenor, der über Kraft, Höhe und Ausdruck verfügt, gelingt ihm der Spagat und damit der Anschluss an Petersen.
Hinweis
„La Traviata“ ist im Theater an der Wien noch am 3., 6., 9. und 11. Juli jeweils um 19.30 Uhr zu sehen.
Auch Roberto Frontali als Alfredos Vater fügt sich in gleicher Qualität dazu, sein ungewöhnlich forcierter Ausdruck mag anfangs irritieren, ist aber auch im Rahmen dessen, wie die Rolle angelegt ist, durchaus stimmig. Die Nebenrollen stehen dem in ihren kleinen Auftritten um nichts nach: Iwona Sakowicz als Flora und die ehemaligen Mitglieder des Jungen Ensembles in der Kammeroper, Gaia Petrone (berührend als Annina), Igor Bakan (Dottore Grenvil), Andrew Owens (Gastone) und Ben Connor (als Douphol).
Musikalisch spannungsvolle Interpretation
Obwohl mehrere Massenszenen dem Regiestrich zum Opfer gefallen sind: Bei der Besprechung des Arnold Schönberg Chors unter der Leitung von Erwin Ortner bleibt einem fast nichts anderes übrig, als einmal mehr zu wiederholen, welch Glücksfall der Chor für das Theater ist. Das ORF-Radio-Symphonieorchester unter der Leitung von Dirigentin Sian Edwards stellt sich in den Dienst der Inszenierung und konturiert Konwitschnys Zuspitzung auch musikalisch durch eine spannungsvolle und dramatisch-getragene Verdi-Interpretation.
Wo aber Verdi für seine „Traviata“ ein tragisches und doch versöhnliches Ende gefunden hat, bleibt in dieser Inszenierung am Ende alles finster und leer. Die monumentale Gefühlskraft dieser Oper, sie steht damit völlig freigelegt mitten im Raum, so dass man sich ihr nicht entziehen kann.
Sophia Felbermair, ORF.at
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