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„Es gibt so viele Beweise“

Bisher ist stets die Biene im Mittelpunkt gestanden, wenn es um die Gefahren von Pestiziden gegangen ist. So auch vor etwa einem Jahr in Österreich, als die Aufregung über Neonicotinoide die Politik in Zugzwang brachte. Eine neue Studie eines internationalen Forscherteams rund um die Weltnaturschutzunion (IUCN) zeigt nun den aktuellen Forschungsstand - und dieser ist erschreckend.

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Neonicotinoide bzw. der Wirkstoff Fipronil (in Österreich derzeit nicht zugelassen, Anm.) würden Erde, Luft und Wasser nachhaltig und tiefgreifend vergiften, heißt es grundsätzlich. Die Auswertung von mehr als 800 Studien über vier Jahre lege nahe, dass neben Bienen und anderen Bestäubern auch viele andere Tierarten vom Pestizideinsatz betroffen sind: Demnach bedrohen Pflanzenschutzmittel, wie Pestizide von der chemischen Industrie genannt werden, auch Regenwürmer, Fische und sogar Vögel. Die drohenden Auswirkungen auf das Ökosystem seien enorm, meinen die Studienautoren.

So sehen es die Experten als erwiesen an, dass die Giftstoffe langlebiger sind als gedacht. Böden seien dauerhaft kontaminiert, weil sich die Pestizide monate- und jahrelang im Boden festsetzen. Das wirke sich auch negativ auf Grund- und Oberflächenwasser aus, weswegen die Reichweite der Giftstoffe bis zu Fischen und anderen Lebewesen im Wasser reiche. Ein weiteres Details aus der Studie: Die Zerfallsprodukte der Wirkstoffe wirken auf einige Organismen noch giftiger als das Ausgangsprodukt.

Auswirkungen auf Ernährungssicherheit

Es gebe „so viele Beweise“ dafür, dass Pestizide nicht nur für Bienen eine Bedrohung seien, erklärte Dave Goulson, einer der Studienautoren, der BBC. Neonicotinoide würden sich nachhaltig im Boden und in Gewässern festsetzen, so sei es „unmöglich zu leugnen, dass das große Auswirkungen auf die Umwelt hat“, so der Forscher. Damit - so kommt die Studie zum Schluss - seien negative Auswirkungen auf die globale Ernährungssicherheit verbunden. Besonders die dramatische Schädigung von Bienen und anderen Insekten sei dabei ein wesentlicher Faktor.

„Wir erleben eine Bedrohung der Produktivität unserer natürlichen und landwirtschaftlichen Umwelt“, sagte der französische Forscher Jean-Marc Bonmatin, ein Mitverfasser der Studie. Er legte dar, dass bei etwa drei Vierteln der globalen Nahrungsproduktion Chemikalien zum Einsatz kämen - das stelle damit eine reale Gefahr für die Welternährung dar, so Bonmatin. Die beiden Typen von Pestiziden haben laut den Autoren einen globalen Marktanteil von 40 Prozent mit einem Umsatz von 1,9 Milliarden Euro im Jahr 2011.

Autoren empfehlen erhebliche Reduktion

Die Beweise gegen Insektizide mit den Wirkstoffen Fipronil und aus der Gruppe der Neonicotinoide seien ausreichend, um ein Eingreifen der Regulierungsbehörden zu rechtfertigen. Anstatt die Nahrungsmittelproduktion zu schützen und zu unterstützen, bedrohten die chemischen Wirkstoffe Tiere, die für die Bestäubung von Pflanzen und die natürliche Bekämpfung von Schädlingen notwendig seien und die damit „zentral für ein funktionierendes Ökosystem sind“, unterstrich Bonmatin.

Durch den breiten Einsatz der Insektengifte seien ihnen Organismen in „landwirtschaftlichen Böden, Frischwasserressourcen, Feuchtgebieten und Wassersystemen an Ufern und Küsten (...) wiederholt und chronisch“ ausgesetzt, darin liege das große Problem, betonten die Forscher. Die insgesamt 29 Autoren empfehlen den zuständigen Behörden, die Regelungen für die Verwendung von Neonicotinoide und Fipronil weiter zu verschärfen und „Pläne für die erhebliche Reduktion ihres globalen Einsatzes“ auszuarbeiten.

Befürwortung und Kritik

Nach der Veröffentlichung der Ergebnisse reagierten sowohl Gegner als auch Befürworter des Einsatzes von Pestiziden. „Es ist dringend notwendig, die konventionelle Landwirtschaft aus der Abhängigkeit der chemischen Industrie herauszuführen, um die Ernährung der Weltbevölkerung zu sichern und unsere Lebensräume zu schützen“, kommentierte Helmut Burtscher, Global-2000-Umweltchemiker die Studie.

Die Industriegruppe Pflanzenschutz bezeichnete die Studie hingegen als „eine Auslese mehrerer Worst-Case-Szenarios, die größtenteils unter Laborbedingungen zustande gekommen sind“, so deren Vorstand Christian Stockmar. Die Publikation könne daher „nicht als tragfähiges Argumentarium zur Sicherheit von Pflanzenschutzmitteln unter realistischen Bedingungen“ gelten.

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