Themenüberblick

Weltkriegserinnerung trifft Weltpolitk

Vor 70 Jahren sind die Alliierten an der französischen Atlantikküste gelandet und haben die entscheidende Wende im Zweiten Weltkrieg eingeläutet. Am Freitag werden 19 Staats- und Regierungschefs in der Normandie des D-Days gedenken. Die Veranstaltung wird aber nicht nur von der Erinnerung geprägt sein. Das erste Mal seit Ausbruch der Ukraine-Krise werden Barack Obama und Wladimir Putin aufeinandertreffen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

An die 900 Veteranen werden am Freitag in Ouistreham in der Normandie erwartet. Sie sollen im Zentrum der Feiern anlässlich des 70. Jahrestags der Alliiertenlandung stehen. Wird es doch - rein altersbedingt - die letzte runde Feier sein, an der so viele Veteranen teilnehmen können.

So sehr das Gedenken damit im Zeichen der Soldaten von damals stehen soll, so wahrscheinlich wird es durch die aktuelle Politik geprägt werden. Seit Anfang des Jahres die Lage in der Ukraine eskaliert war, traf sich kein westlicher Politiker mehr persönlich mit Wladimir Putin.

Bei den Feierlichkeiten in Ouistreham wird der russische Präsident also das erste Mal seit Monaten seinen Kollegen aus den USA, Großbritannien oder Deutschland Auge in Auge gegenüberstehen. Und auch dem neu gewählten ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko wird Putin wohl die Hand schütteln. Frankreichs Präsident Francois Hollande lud seinen ukrainischen Amtskollegen kurz nach dessen Wahl zur Gedenkfeier in die Normandie ein.

Amerikanisch-russische Eiszeit

Ursprünglich sollte es neben der Gedenkveranstaltung zu keinen offiziellen Gesprächen kommen - bereits im Vorfeld wiesen die veranstaltenden Franzosen darauf hin, dass im Chateau de Benouville kaum Platz dafür sei. Doch am Dienstag bestätigten Regierungssprecher in Berlin und Moskau, dass sich Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsident Putin am Rande der Veranstaltung treffen wollten, um die Lage in der Ukraine zu besprechen. Bis zuletzt stand auch die Möglichkeit eines bilateralen Gesprächs zwischen Putin und Poroschenko im Raum.

Russlands Präsident Wladimir Putin und US-Präsident Barack Obama blicken nach unten

Reuters/Sergei Karpukhin

Nur kein Augenkontakt: Obama und Putin beim letztjährigen G-20-Gipfel

Mit großer Sicherheit ausgeschlossen werden kann ein solches Treffen freilich zwischen den beiden stärksten Kontrahenten in der Ukraine-Krise - Putin und Obama; auch wenn der russische Präsident in den letzten Tagen immer wieder Gesprächsbereitschaft signalisierte. Vielmehr steht die Frage im Raum, wie auffällig sich die Präsidenten dieses Mal aus dem Weg gehen werden.

Dass die beiden Staatschefs ihr zerrüttetes Verhältnis medienwirksam zelebrieren können, bewiesen Putin und Obama bereits vor einem knappen Jahr. Auf dem von Russland ausgerichteten Gipfel der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G-20) in Sankt Petersburg schafften es die beiden Präsidenten gekonnt, einander die kalte Schulter zu zeigen.

Noch Monate vor der Krise in der Ukraine hatten der Syrien-Krieg, die Frage der Homosexuellenrechte und nicht zuletzt die Aufdeckungen von NSA-Mitarbeiter Edward Snowden und sein Asyl in Russland die amerikanisch-russischen Beziehungen beschädigt. Dass die ersten Enthüllungen Snowdens am Donnerstag genau ein Jahr zurücklagen, mag dem Zusammentreffen der beiden Staatsoberhäupter am Tag darauf einen zusätzlichen Dämpfer verpassen.

Dichtes Programm für Obama

Wenn der US-Präsident am Freitag in der Normandie eintrifft, wird er bereits ein ansehnliches Programm hinter sich gebracht haben. Den Anfang machte am Dienstag der Besuch Warschaus. Dabei ließ Obama gleich mit einer markigen Ankündigung aufhorchen. Bis zu eine Milliarde Dollar wollen die USA in den Ausbau der militärischen Beziehungen nach Osteuropa investieren und zusätzliche US-Boden-, Luft- sowie Marinestreitkräfte für die „neuen Alliierten“ in Osteuropa finanzieren, sagte der US-Präsident auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem polnischen Amtskollegen Bronislaw Komorowski.

Am Mittwoch traf Obama ebenfalls in Warschau den neu gewählten ukrainischen Präsidenten Poroschenko und sicherte ihm für „die kommenden Jahre“ die Unterstützung der USA zu. Poroschenko war gemeinsam mit zahlreichen anderen ost- und mitteleuropäischen Politikern - darunter auch Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer - Gast bei den Feierlichkeiten anlässlich der ersten halbdemokratischen Wahlen in Polen vor 25 Jahren.

Obama war nicht nur Gast, sondern auch Festredner und nutzte seine Ansprache um Russland „dunkle Taktiken“ und eine „Aggression“ vorzuwerfen. „Wir werden die russische Okkupation der Krim und die Verletzung der ukrainische Souveränität niemals akzeptieren“, so der US-Präsident. Wie schon am Vortag versicherte Obama seinen Verbündeten in Osteuropa, dass die USA fest an ihrer Seite stehen. Er reagierte damit auch auf Vorwürfe, wie sie etwa Lech Walesa im Vorfeld vorgebracht hatte. Der ehemalige polnische Präsident hatte Obama in einem Interview mit dem polnischen TV-Sender TVN24 zögerliches Handeln in der Ukraine vorgehalten.

Treffen der Gruppe der sieben

Noch am selben Tag flog der US-Präsident weiter nach Brüssel, wo am Mittwoch und Donnerstag die sieben bedeutendsten Industrienationen der Welt (G-7) ihren Gipfel abhielten. Ursprünglich sollte das Treffen, der damals noch acht Nationen (G-8) in Sotschi stattfinden. Nach der Annexion der Krim-Halbinsel kündigten die restlichen Industrienationen Russland bis auf weiteres die Mitgliedschaft und verlegten den Gipfel nach Brüssel.

Dort galt es für Obama, etwas andere Töne anzuschlagen. Musste er sich vor den Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, Italiens, Japans und Kanadas doch weniger für ein zögerliches Eingreifen der USA in der Ukraine-Krise rechtfertigen, als die Staaten vielmehr von härteren Sanktionen gegenüber Russland überzeugen.

Gemeinsame Botschaft

Tatsächlich gelang es Obama, den restlichen G-7-Staaten ein kleines Zugeständnis abzuringen. „Wir sind bereit, die gezielten Sanktionen zu verstärken und zusätzliche bedeutsame restriktive Maßnahmen zu verhängen, um den Preis, den Russland zu zahlen hat, in die Höhe zu treiben, wenn die Ereignisse das erfordern“, heißt es nun in der G-7-Erklärung von Mittwochabend.

Die Regierungschef forderten Russland auf, mit dem neuen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko zu kooperieren, den „Zustrom von Waffen, von Separatisten“ in die Ukraine über die russische Grenze zu stoppen, den Gaskonflikt mit der ukrainischen Regierung beizulegen sowie die Truppen von der ukrainischen Grenze vollständig abzuziehen. Geschehe das nicht, könne Stufe drei der Sanktionen eingeleitet werden.

TV-Hinweis

„Die große Invasion“, der erste Teil des neuen BBC-Zweiteilers „Entscheidung in der Normandie“ von Timm Dunn, zeigt im Rahmen von „Universum History“ am Freitag um 22.45 Uhr in ORF2, wie der alliierte Sturmangriff die Geschichte entscheidend beeinflusste. Der zweite Teil steht am Freitag, 13. Juni, um 22.45 Uhr auf dem Programm von ORF2.

Hollande als Vermittler

Bis zum EU-Gipfel am 26. und 27. Juni soll Putin Zeit haben, die Forderungen umzusetzen. Vor allem Frankreich wird daran interessiert sein, dass es bis dahin zu einer Entspannung der Beziehungen zu Russland kommt. Einerseits wollen die Franzosen die Lieferung von zwei Hubschrauberträgern an Russland über die Bühne bringen - Sanktionen der Stufe drei würden das verhindern. Andererseits unternahm Frankreichs Präsident Hollande in den letzten Tagen wiederholt Anstalten, zum Vermittler zwischen Russland und dem Westen zu werden.

Am Donnerstagabend empfing der französische Präsident Obama zum Abendessen. Dabei gaben sich der US-amerikanische und der russische Präsident im Elysee-Palast fast die Klinke in die Hand. Denn Putin ist nur wenige Stunden vor Obama zu einem informellen Treffen mit Hollande eingeladen. Zumindest dem französischen und dem russischen Präsidenten könnte das Händeschütteln am Freitag damit etwas leichter fallen.

Links: