Flut an Löschanfragen erwartet
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Mitte Mai überraschend das „Recht auf Vergessen“ im Internet gestärkt. Laut dem aktuellen Urteil muss Google unter bestimmten Umständen Verweise auf Websites mit sensiblen persönlichen Daten aus der Ergebnisliste seiner Suchmaschine löschen. Das Urteil könnte weitreichende Folgen auch für andere Unternehmen haben.
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In seinem aktuellen Urteil weitete der EuGH die Pflichten von Suchmaschinenbetreibern deutlich aus. Demnach können Personen „unter bestimmten Voraussetzungen die Entfernung des Links aus der Ergebnisliste erwirken“. Die Verweise würden dann nicht mehr in der Liste der Google-Suchergebnisse auftauchen. Die Informationen wären damit nicht aus dem Netz verschwunden, aber sehr viel schwerer auffindbar.
Zur Begründung schreibt der EuGH, mit der Eingabe eines Namens bei einer Suchmaschine könne ein Nutzer „ein mehr oder weniger detailliertes Profil der gesuchten Personen erstellen“. Das sei ein Eingriff in die Rechte der Person. Die Suchergebnisse seien nichts anderes als eine Verarbeitung von personenbezogenen Daten. Das Recht auf Entfernung von Links mit privaten Daten leite sich aus der EU-Datenschutzrichtlinie ab.
Nutzer können sich an Google wenden
Nutzer, die veraltete Inhalte über sich nicht länger über Google auffindbar sehen wollen, können sich laut EuGH ab sofort direkt an Google wenden. Der US-Internetkonzern muss dann den Link aus seinen Suchergebnissen entfernen, wenn die dort nachzulesenden Informationen das Recht auf Privatsphäre und Datenschutz einer Person verletzen. Dabei geht es um Links zu Websites, die bei der Suche nach einem Namen gelistet werden, etwa Seiten, die von Dritten veröffentlicht wurden und sensible persönliche Daten zu einer Person enthalten.
Auf Antrag muss Google laut EuGH prüfen, ob der beanstandete Link die Persönlichkeitsrechte betroffener Personen verletzt. Dabei komme es auf den „gegenwärtigen Zeitpunkt“ an. Gründe für das Entfernen eines Links sind etwa, wenn seit der Veröffentlichung Jahre verstrichen sind oder die Informationen nicht mehr ihrem ursprünglichen Zweck entsprechen, zum Beispiel bei einer Zwangsversteigerung. Laut Gericht hat der Bürger einen einklagbaren Anspruch auf Löschung. Komme Google dem nicht nach, könne sich der Betroffene an die Datenschutzbehörden wenden.
Öffentliches Interesse vs. Schutz der Privatsphäre
Exakte Kriterien für das „Recht auf Vergessen“ nannte das Luxemburger Gericht in seiner Pressemitteilung nicht. Denn das hänge auch davon ob, inwiefern das Privatleben der betroffenen Person von öffentlichem Interesse sei. Ein Prominenter hat demnach weniger Recht auf Schutz personenbezogener Daten als eine der Öffentlichkeit unbekannte Privatperson. Nach Ansicht der Richter muss hier ein angemessener Ausgleich zwischen privaten Grundrechten und öffentlichem Interesse gefunden werden.
Das Recht auf Löschung sei unabhängig davon, ob „der betroffenen Person durch die Einbeziehung der betreffenden Information in die Ergebnisliste ein Schaden entsteht“. Das Argument des US-Konzerns, die Verarbeitung der Daten erfolge außerhalb der EU, ließen die Luxemburger Richter nicht gelten. Wo die Datenverarbeitung stattfindet - das ist bei großen Konzernen wie Google mit vielen international verteilten Rechenzentren oft nicht einfach festzustellen -, spielt laut EuGH keine Rolle. Da Google eine Niederlassung in Spanien betreibe, müsse sich der Konzern auch an die lokalen Datenschutzgesetze halten. Denn die Niederlassung verkaufe Werbeflächen und mache so die Suchmaschine überhaupt erst rentabel.
Spanier klagte wegen alter Berichte
Geklagt hatte ein Spanier, dessen Grundstück vor mehr als 15 Jahren zwangsversteigert wurde. Die amtliche Bekanntmachung über die Pfändung wurde 1998 in einer spanischen Zeitung und im Internet veröffentlicht. Der Betroffene wandte sich dagegen, dass Google bei der Eingabe seines Namens einen Link zu diesen Informationen heute noch anzeigt und forderte, den Link zu dem alten Artikel nicht länger zu listen. Die Pfändung sei erledigt und verdiene keine Erwähnung mehr.
Die Zeitung muss den Artikel über die Zwangsversteigerung jedoch nicht löschen. Er darf weiter im digitalen Archiv zur Verfügung stehen. Das Urteil betrifft nur die Suchmaschine, die bei aktuellen Suchanfragen derart veraltete Information nicht mehr ausgeben darf. Das aktuelle Urteil steht im Gegensatz zu einer Empfehlung des EuGH-Generalanwalts. Dieser hatte in einem Gutachten zum Fall im vergangenen Jahr noch erklärt, Google sei als reiner Suchmaschinenbetreiber nicht für den Inhalt von verlinkten Websites verantwortlich.
Neuer Datenschutz für Europa in Arbeit
Die EU-Kommission hat im Jänner 2012 eine Reform der EU-Datenschutzregeln vorgeschlagen, die derzeit noch verhandelt wird. Darin wird gefordert, für Verbraucher ein generelles „Recht auf Vergessen“ im Internet einzuführen - also die Möglichkeit, die Löschung persönlicher Daten im Netz auf Wunsch von Bürgern gegenüber Internetkonzernen durchzusetzen.
Der EuGH urteilte nun noch auf Grundlage der bisher noch geltenden, alten EU-Datenschutzregeln. Die geltenden Regeln stammen noch aus dem Jahr 1995 - und somit aus dem Vor-Internet-Zeitalter. Durch das neue Gesetz bekämen auch die Datenschutzbehörden endlich Biss, denn sie könnten Unternehmen dann bis zu fünf Prozent des Weltumsatzes als Strafe auferlegen. Das würde im Fall von Google rund eine Milliarde Euro bedeuten.
Während das Europaparlament seine Beratungen der EU-Datenschutzreform abgeschlossen hat, hängt die Novelle bei den Mitgliedsstaaten fest, die sich bisher nicht auf eine gemeinsame Position einigen konnten.
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