Ausgang und Folgen völlig offen
Im Osten der Ukraine ist es vor dem Beginn der Volksabstimmung über eine Abspaltung der Regionen Donezk und Lugansk erneut zu Gefechten zwischen prorussischen Separatisten und ukrainischen Sicherheitskräften gekommen. Wie gespannt die Situation ist, zeigten Barrikaden vor den Wahllokalen. Nicht nur die Regierung in Kiew warnt vor den möglichen Folgen des Referendums.
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Die sind bisher de facto schwer abzuschätzen. Die Frage, ob sich die beiden „Republiken“ Donezk und Lugansk im Fall eines positiven Ausgangs wie die Schwarzmeerhalbinsel Krim der Russischen Föderation anschließen sollen, war nicht Gegenstand der Abstimmung.
Die Separatisten zeigten sich überzeugt, dass sich eine deutliche Mehrheit der insgesamt rund 7,3 Millionen Menschen in den beiden Regionen für die Unabhängigkeit von Kiew entscheiden würde. Umfragen zeigten dagegen, dass sich ein Großteil der Bevölkerung im Osten des Landes gegen eine Abtrennung und für den Erhalt der staatlichen Einheit der Ukraine ausspricht.
„Überwältigende Beteiligung“
Die Anführer der selbst ernannten „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk sprachen von einer „überwältigenden Beteiligung“ und gingen von hoher Zustimmung für eine Eigenständigkeit aus. In der „Volksrepublik Donezk“ betonte Wahlleiter Roman Ljagin: „Die Wahlbeteiligung ist nicht nur hoch, sondern überwältigend.“ Bis zum Nachmittag hatten in dem industriell geprägten Gebiet angeblich weit mehr als 50 Prozent der Berechtigten ihre Stimme abgegeben. In der angrenzenden „Volksrepublik Lugansk“ beteiligten sich angeblich rund 80 Prozent. Internationale Beobachter waren zu der Abstimmung nicht angereist.
Führungsmitglied Denis Puschilin kündigte an, in einem nächsten Schritt wollten die Aktivisten staatliche und militärische Strukturen bilden. Der „Volksgouverneur“ von Donezk, Pawel Gubarew, sagte dem russischen Staats-TV: „Das Referendum bedeutet uns alles.“ Die Schaffung eines neuen Staatssubjekts sei aber nur der erste Schritt auf dem Weg zur Bildung eines Landes Neurussland auf dem Gebiet der Südostukraine, betonte Gubarew. Er war unlängst aus ukrainischer Haft gegen gefangene Geheimdienstler freigetauscht worden.
„Kampagne, um Verbrechen zu vertuschen“
Hingegen betonte die Zentralregierung in Kiew, in weiten Teilen der russisch geprägten Regionen mit mehr als 6,5 Millionen Menschen finde gar keine echte Abstimmung statt. Proukrainische Medien berichteten von massiven Fälschungen. „Das ist nichts anderes als eine Informationskampagne, um Verbrechen zu vertuschen“, sagte Präsidialamtschef Sergej Paschinski am Sonntag in Kiew. Das Außenministerium warf Russland vor, die Abstimmung „inspiriert, organisiert und finanziert“ zu haben. Frankreichs Präsident Francois Hollande nannte das Referendum bei einem Besuch in Aserbaidschan „null und nichtig“. Aus Russland gab es zunächst keine Reaktion.

Reuters/Marko Djurica
Bei der Abstimmung wurde improvisiert: Selbst gebastelte Urnen und Stimmzettel
Heftige Kämpfe in Slawjansk
Fraglich war bis zuletzt außerdem, ob tatsächlich in allen Orten der beiden Regionen Wahllokale für die Abstimmung geöffnet werden konnten. Zwar kontrollieren die Separatisten mehr als ein Dutzend Städte wie Donezk, Lugansk, Slawjansk und Kramatorsk. Allerdings laufen auch in mehreren Städten Militäreinsätze der regulären ukrainischen Armee gegen die prorussischen Milizen.
In der Nacht auf Samstag sei es folglich wieder zu schweren Kämpfen gekommen, etwa in Slawjansk, wie Reporter der französischen Nachrichtenagentur AFP an Ort und Stelle berichteten. Am Stadtrand sei auch Geschütz- und Maschinengewehrfeuer zu hören gewesen, hieß es. Auch im südlichen Vorort Andrijwka wurde gekämpft. Die Rebellenhochburg und Industriestadt Slawjansk wird seit Tagen quasi belagert.
Barrikaden rund um Wahllokale
Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete von Barrikaden aus „Baumstämmen, Autoreifen und rostigen Maschinen“ rund um die Wahllokale in Slawjansk. Eine Teilnehmerin sagte gegenüber Reuters nach ihrer Stimmabgabe auf die Frage, was denn nach dem Referendum passieren würde: „Es wird weiter Krieg herrschen.“

Reuters/Marko Djurica
Andrang auf ein Wahllokal in Mariupol trotz äußerst angespannter Lage
Der ukrainische Übergangspräsident Alexander Turtschinow wiederholte seine eindringliche Warnung vor den Gefahren einer Spaltung des Landes. Eine Abspaltung „wäre ein Schritt in den Abgrund“, hatte er bereits am Samstag erklärt. „Diejenigen, die für eine Selbstverwaltung eintreten, verstehen nicht, dass das eine vollständige Zerstörung der Wirtschaft, der Sozialprogramme und des Lebens im Allgemeinen für die Mehrheit der Bevölkerung in diesen Regionen (Donezk und Lugansk, Anm.) bedeuten würde.“
USA über Russland „enttäuscht“
Kurz vor Beginn der Referenden warf die US-Regierung Russland erneut vor, zu wenig zur Entspannung der Lage im Osten der Ukraine zu tun. US-Außenamtssprecherin Jen Psaki erklärte am Samstagabend, die US-Regierung sei „enttäuscht“ darüber, dass der Kreml nicht seinen Einfluss geltend gemacht habe, um die Abstimmungen zu „verhindern“.
Russlands Präsident Wladimir Putin hatte am Mittwoch an die Separatisten appelliert, die Referenden zu verschieben, um einen nationalen Dialog zu ermöglichen. Im Gegenzug müsse Kiew aber seinen Militäreinsatz gegen die prorussischen Milizen stoppen, forderte Putin. Die Separatisten weigerten sich.
Seit diesem Appell habe Moskau nichts unternommen, erklärte Psaki. Auch sei trotz Putins Ankündigung kein Abzug der russischen Truppen von der ukrainischen Grenze zu erkennen. Die USA betrachteten die Referenden als „illegal“, betonte die Sprecherin. Sie verletzten internationales Recht und die territoriale Integrität der Ukraine. Die USA würden die Ergebnisse nicht anerkennen.
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