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Mit „Vision 2020“ in die Zukunft

Nach einem durchwachsenen zweiten Geschäftsquartal startet Siemens-Chef Joe Kaeser unter dem Schlagwort „Vision 2020“ den größten Konzernumbau seit Jahren. Damit will Kaeser sein Unternehmen profitabler machen. Wie viele Stellen dem Umbau zum Opfer fallen, teilte Siemens nicht mit. Zuletzt war von Tausenden bedrohten Jobs die Rede.

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Zwischen Jänner und März konnte der Elektrokonzern den Gewinn und das operative Ergebnis zwar deutlich steigern, bekam aber Gegenwind durch Währungseinflüsse und erneute Projektbelastungen. „Das zweite Quartal hat gezeigt, dass wir in der Verbesserung der operativen Performance noch viel zu tun haben“, sagte Kaeser am Mittwoch. „Dennoch sind wir auf Kurs, um unsere Ziele für das Geschäftsjahr zu erreichen.“

Am Vorabend hatte der Siemens-Aufsichtsrat den Weg für eine tiefgreifende Neuordnung frei gemacht. Die von Kaesers Vorgänger Peter Löscher eingeführte Sektoreneinteilung wird aufgelöst und die Zahl der Divisionen von 16 auf neun reduziert. Damit sollen die Verwaltung schlanker und die Kosten bis zum Herbst 2016 um eine Milliarde Euro gedrückt werden.

Laut Gewerkschaft Tausende Jobs in Gefahr

Wie viele Stellen dem Umbau zum Opfer fallen, teilte Siemens nicht mit. Über weitere Details werde das Unternehmen nach Beratungen mit den Arbeitnehmervertretern informieren, sagte Kaeser lediglich. Nach Einschätzung der IG Metall sind allein in Bayern Tausende Jobs betroffen. „Die Neuorganisation darf auf keinen Fall als Deckmantel für ein Programm zur Kostensenkung oder zum Stellenabbau missbraucht werden“, sagte Bayerns IG-Metall-Bezirkschef Jürgen Wechsler am Mittwoch.

Siemens hatte erst im Zuge seines Sparprogramms „Siemens 2014“ rund 15.000 Stellen gestrichen. Nach dpa-Informationen könnten durch den Umbau zwischen 5.000 und 10.000 der weltweit gut 360.000 Arbeitsplätze bedroht sein. Betroffen dürften dieses Mal vor allem Stellen in der Verwaltung sein. Kaeser wollte sich dazu nicht äußern, sagte aber: „Wer Bürokratieabbau fordert, der muss wissen, dass Bürokratie auch Gesichter hat.“ Über weitere Details werde das Unternehmen nach Beratungen mit den Arbeitnehmervertretern informieren.

Kaeser will jedenfalls die Mitarbeiter deutlich stärker am Unternehmen beteiligen und so den früher legendären Zusammenhalt der „Siemensianer“ wiederbeleben. Die Zahl der Mitarbeiter-Aktionäre soll um mindestens 50 Prozent auf deutlich über 200.000 steigen, Siemens stellt dafür erfolgsabhängig bis zu 400 Millionen Euro im Jahr zur Verfügung.

Neue Köpfe in Führungsspitze

Für die Führungsspitze traf Kaeser bereits Personalentscheidungen - darunter auch überraschende. So geht der bisherige Vorstand des umsatzstärksten Sektors Energie, Michael Süß, und wird durch die bisherige Shell-Managerin Lisa Davis ersetzt. Diese soll ihre als eine der Schlüsselfunktionen bei Siemens geltenden Aufgaben aus den USA erfüllen - Davis soll offensichtlich den Siemens-Konkurrenten General Electric (GE) stärker attackieren. Überdies änderte Kaeser Zuständigkeiten im Vorstand. So wird Siegfried Russwurm neuer Arbeitsdirektor des Konzerns.

Eine Milliarde für Gasturbinenmarkt

Im Bereich Elektrifizierung habe Siemens auf vielen Märkten schon eine führende Stellung. Zu den Wachstumsfeldern gehörten Märkte für kleine Gasturbinen. Siemens kauft daher das Energiegasturbinen- und Kompressorengeschäft von Rolls-Royce für 950 Millionen Euro. Der Konzern wolle damit „seine Position in der wachsenden Öl- und Gasindustrie sowie auf dem Gebiet der dezentralen Energieerzeugung“ stärken, hieß es.

Das Geschäft mit Anlagen, Produkten und Dienstleistungen für die Eisen-, Stahl- und Aluminiumindustrie betreibt Siemens künftig zusammen mit einem Partner, Mitsubishi Heavy Industries aus Japan. Beide Unternehmen bilden ein Joint Venture für die Metallindustrie, kündigte Siemens am Mittwoch an. Der japanische Konzern werde dabei einen Mehrheitsanteil von 51 Prozent halten.

Medizintechnik mit ungewisser Zukunft

Zu der Neuordnung gehören auch die Verselbstständigung der Medizintechnik und ein Börsengang für die Hörgerätesparte, die Siemens vor Jahren erfolglos verkaufen wollte. Die Gesundheitsversorgung entwickle sich hin zur Molekulardiagnostik und anderen Biowissenschaften, sagte Kaeser. Die Medizin entferne sich von der traditionellen Gerätemedizin, wie sie Siemens ausrüstet. Abgestoßen werden soll Berichten zufolge auch die Brief- und Gepäcksortierung, eine Sparte mit etwa 3.500 Mitarbeitern, die seit langem auf der Siemens-Verkaufsliste steht.

Durchwachsene Quartalszahlen

Im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2013/14 (30. September) verdiente das Unternehmen unter dem Strich 1,15 Milliarden Euro und damit zwölf Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Im Gesamtjahr will Siemens den Gewinn weiterhin um mindestens 15 Prozent steigern. Das Ergebnis der Sektoren, mit dem das Tagesgeschäft von Siemens abgebildet wird, kletterte zwischen Jänner und März um 16 Prozent auf 1,57 Milliarden Euro.

Die Währungseinflüsse drückten dagegen auf den Auftragseingang, der um 13 Prozent auf 18,43 Milliarden Euro schrumpfte. Der Umsatz sank um zwei Prozent auf 17,45 Milliarden Euro. Zudem musste Siemens Projektbelastungen von mehr als 430 Millionen Euro schultern. Der größte Brocken waren dabei Probleme mit zwei Hochspannungsleitungen in Kanada, für die neben höheren Baukosten auch Vertragsstrafen wegen Verzögerungen anfielen.

„Ernsthaftes Interesse“ an Alstom

Im Übernahmepoker mit GE um den französischen Konkurrenten Alstom betonte Kaeser ein „ernsthaftes“ Interesse. Sonst hätte der Vorstand seine Zeit nicht für den Einstieg in das mögliche Wettbieten investiert, sagte Kaeser. Derzeit prüfe Siemens die Alstom-Bücher, danach könnte ein Angebot aus München kommen. Die französische Regierung hatte deutlich gemacht, dass sie einen Deal mit Siemens vorziehen würde, zuletzt hatte aber GE die Nase vorn, nachdem der Alstom-Aufsichtsrat den Aktionären ein bindendes Offert der Amerikaner empfohlen hatte.

Alstom teilte unterdessen mit, für das vergangene Geschäftsjahr einen herben Gewinnrückgang verbuchen zu müssen. Der Nettogewinn sank im Vergleich zum Vorjahr um 28 Prozent auf 556 Millionen Euro, wie Alstom am Mittwoch mitteilte. Der Umsatz blieb stabil bei 20,7 Milliarden Euro. Wegen der schlechten Gewinnzahlen zahlt Alstom seinen Aktionären dieses Jahr keine Dividende aus.

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