Hoffnung, Liebe, Kuchenbacken
Der Eurovision Song Contest 2014 ist eröffnet: Im ersten Halbfinale am Dienstag haben sich zehn von 16 Kandidaten für die große Finalshow am Samstag qualifizieren können. Mit dabei sind damit Island, Montenegro, Ungarn, Russland, Armenien, Aserbaidschan, San Marino, Schweden, die Niederlande und die Ukraine. Ausgeschieden sind hingegen Portugal, Albanien, Belgien, Lettland, Moldawien und Estland.
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Die Reihung nach Punkten wurde, wie schon in den vergangenen Jahren, nach dem Halbfinale nicht bekanntgegeben, um die Wertung im Finale nicht zu beeinflussen. Eröffnet wurde das Halbfinale traditionell mit dem Siegerbeitrag des letzten Jahres, „Only Teardrops“ von Emely de Forest - begleitet von einem riesigen Chor. Durch die Vorentscheidung auf der spektakulären Bühne führten „Borgen“-Star Nikolaj Koppel und Danmarks-Radio-Moderatorin Lise Roenne, die auch durch die beiden noch kommenden Song-Contest-Abende führen werden. Nach einer kurzen Begrüßung wurden die Beiträge nur durch ein kurzes filmisches Intro angekündigt und in rascher Abfolge präsentiert.
Den Anfang machte der große Favorit des Bewerbs. Aram MP3 aus Armenien liegt schon seit einigen Tagen hoch im Kurs. Mit seinem Beitrag „Not Alone“ schaffte der 30-Jährige - der, wie böse Zungen behaupten, wie eine junge Version von Mr. Bean aussieht - daher auch locker den Finaleinzug, obwohl er längst nicht jeden Ton getroffen hat. Trotzdem schaffte er mit seinem selbst geschriebenen Song den Spagat zwischen großer Gefühlsballade - effektvolle Geigenbegleitung inklusive - und hallenfüllendem Dubstep-Sound und dürfte damit ein recht breites Fanpublikum angesprochen haben. Für seinen effektvollen Auftritt musste sich der Sänger nicht einmal viel bewegen, Stroboskoplichter, Videoprojektionen und Feuerfontänen taten schon das ihrige.

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Aram MP3 gilt bei den Buchmachern als Favorit für den Gesamtsieg am Samstag
Unerfüllte Liebe, glückliche Liebe
Gäbe es eine Hitliste der Themen, die am öftesten beim Song-Contest besungen würden, dann es gäbe wohl einen völlig klaren Nummer-eins-Gewinner: unerfüllte Liebe. Dicht gefolgt von glücklicher Liebe. Tränen kommen (sowohl bei ersterer als auch bei letzterer) auch oft vor, Hoffnung, Freiheit und Zuversicht folgen dicht auf den Fuß. Seltener bis gar nie wird beim Song Contest über Kuchenbacken gesungen (auch wenn letztes Jahr die russischen Popgroßmütter Buranowskije Babuschki live auf der Bühne Brot gebacken haben).
Die Band Aarzemnieki aus Lettland nahm sich mit Startnummer zwei nun dieser Lücke an und präsentierte ihren Song „Cake to Bake“. Zu fröhlicher Gitarrenmusik bekannte die fröhliche Rhythmusgruppe, dass sie vom Teigmischen keine Ahnung hat („I’ve got a cake to bake – I’ve got no clue at all ... I’ve got a cake to bake – and haven’t done that before“). Beim Publikum blieb das anscheinend nicht in guter Erinnerung, möglicherweise lag das aber auch an den teilweise recht schiefen Tönen - Aarzemnieki wurden von Jury und Publikum nicht ins Finale gewählt.
Synchrontanzen ganz in Weiß
Flott ging es in der Show dann mit Startnummer drei und dem estnischen Beitrag „Amazing“ von Tanja weiter. Neben den flotten Beats der Uptempo-Nummer stand bei ihrer Performance auch die Choreografie, die sie gemeinsam mit einem Tänzer ganz in weiß gekleidet präsentierte, im Zentrum. Im Baltikum ist die Sängerin ein Superstar, hierzulande kennt sie bisher kaum jemand. Ihr Song wurde im Vorfeld so manches Mal mit dem Vorvorjahressiegerhit „Euphoria“ verglichen. Das dürfte aber eher estnisches Wunschdenken gewesen sein, in punkto Ohrwurm konnte „Amazing“ da nicht mithalten - auch Tanja verpasste den Finaleinzug.
Anders der schwedische Beitrag. Die 30-jährige Sanna Nielsen verzichtete auf Tanz oder Show und meisterte das Halbfinale mit Bravour und ganz im Stil ihres großen Vorbilds Celine Dion. Ihren Song „Undo“ präsentierte sie ohne große Bühnenperformance, dafür umso glamouröser. Mit den abwechselnd ruhig-gefühlvollen Passagen und kraftvollen Steigerungen ist die Ballade sicher nicht die originellste Nummer des Bewerbs, aber dafür eine recht eingängige, die wie erwartet ins Finale gewählt wurde.
Punk (nicht nur für Kinder) im bunten Anzug
Für die bunte Abwechslung unter den vielen Balladen sorgte heuer Pollapönk (deutsch: Punk für Kinder), die isländische Alternative-Band mit ihrem Song „No Prejudice“. Wie schon im Titel deutlich wird, richtet sich die Nummer gegen Vorurteile und Diskriminierung, ähnliche Themen also, wie sie auch Conchita Wurst im nächsten Halbfinale mit ihrem Song „Rise Like a Phoenix“ aufs Tapet bringen wird. Doch anders als die österreichische Teilnehmerin, nähern sich die vier Vorschullehrer dem Thema nicht mit Glamour und Eleganz, sondern mit bunten Anzügen und einer flotten und punkigen Nummer, wirklich ohrwurmtauglichem Refrain und viel Spaß an der Sache. Auch das Finale wird bunt - Pollapönk sind weiter.

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Islands flotter Apell gegen Vorurteile und Diskriminierung
Herciana Matmuja, genannt Hersi, aus Albanien besang anschließend auf einem Podest stehend den Zorn einer Nacht („One Night’s Anger“). Der Song erinnert an Balladen von Shakira, die statische Performance eher weniger. Auch die beigen Outfits von Sängerin und Band machten da keinen großen Unterschied mehr. Fazit: Zu farblos fürs Finale, fanden auch Jury und Publikum.
17-jährige Zwillinge für Russland
Mit gleich zwei jungen hübschen Frauen konterte Russland, wenn auch mit einer weitaus braveren Show: Die 17-jährigen Tolmatschowa-Schwestern sind trotz ihrer Jugend schon so etwas wie alte Hasen im Showgeschäft. Sie gewannen 2006 den Junior Eurovision Song Contest und präsentierten nun den Popsong „Shine“ auf der großen Bühne. Der gleiche Songtitel brachte der österreichischen Teilnehmerin Natalia Kelly im vergangenen Jahr weniger Glück, trotz durchschnittlichen Songs schafften es die Zwillinge Anastassija und Marija ins Finale.

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Anastassija und Marija sind Zwillinge, aber nicht wirklich an den Haaren zusammengewachsen
Mit großer Spannung war das Abschneiden von Dilara Kazimova aus Aserbaidschan im Halbfinale erwartet worden. Nach dem Sieg der Kaukasusrepublik vor zwei Jahren und einem zweiten Platz im Vorjahr lagen jetzt alle Hoffnungen der Song-Contest-Begeisterten Nation auf der 29-Jährigen, die ihre gefühlvolle Ballade „Start a Fire“ zur Sicherheit mit einem roten langen Kleid und einer Trapeznummer illustrieren ließ. Statt ohrwurmtauglichen Refrains setzt der Song auf atmosphärische Verführung - was zumindest im Halbfinale gelungen ist.
Ukrainischer Sexappeal, belgische Ode an die Mama
Jedes Jahr versucht der eine oder andere Teilnehmer mit Sexappeal das Publikum zu überzeugen. Mit Erfolg gelang das heuer der ukrainischen Teilnehmerin Maria Jaremtschuk, deren Girlie-Popsong „Tick-Tock“ ohne die Performance der lasziven Sängerin und ihrer Backgroundtänzer im Hamsterrad wohl weniger Chancen auf ein gutes Abschneiden gehabt hätte - schon weil Yaremtschuk bei der Liveperformance auch nicht alle Töne traf. Trotzdem darf Jaremtschuk noch einmal auf die große Bühne - sie wurde ins Finale gewählt.
Der belgische Kandidat Axel Hirsoux drückte auf die Tränendrüse: Kurz vor dem Muttertag präsentierte der 32-jährige Sänger mit dem Titel „Mother“ eine Hymne auf seine Mama, was ihm in seiner Heimat einen klaren Sieg beim Vorentscheid garantiert hatte. Der übergewichtige Belgier, der schon einiges an Castingshow-Erfahrung hinter sich hat, bewies verglichen mit der Ukrainerin wirklich viel Stimme, bewegte sich dafür aber ungleich weniger. Die Tanzeinlagen überließ er seiner schwarz gekleideten und meist nicht einmal beleuchteten Tänzerin im Hintergrund. Hirsoux darf nicht im Finale antreten, seine Mutter dürfte trotzdem stolz auf ihn sein.
Moldawien - zum Haare ausreißen
Während Hirsoux seine Stärken bei den hohen Tönen demonstrierte, zeigte die moldawische Kandidatin eine beeindruckende stimmliche Tiefe: Cristina Scarlat gab mit „Wild Soul“ eine kraftvolle Popnummer zum Besten und setzte auf das ultimative Song-Contest-Tool: die Windmaschine. Dazu noch eine Haarverlängerungs-Ausreiß-Nummer und ein recht abenteuerliches Outfit (halb Rüstung, halb Flatterkleid) - Scarlat bediente sich wirklich aller Song-Contest-Klischees. Gebracht hat es nicht viel: Die Sängerin wurde nicht ins Finale gewählt.
San Marino: Ralph Siegel und Valentina, die Dritte
Die hartnäckigste Teilnehmerin des Halbfinales, oder eigentlich des gesamten Bewerbs, ist Valentina Monetta aus San Marino. Bereits 2012 und 2013 war sie am Start, beide Male scheiterte sie schon im Halbfinale. Zum dritten Mal trat sie nun mit einem Titel aus der Feder von „Mr. Grand Prix“ Ralph Siegel an, der sie auch am Klavier begleitete (zumindest optisch: die Musik beim Song Contest kommt vom Band). Die Hoffnung stirbt zuletzt, dürfte sich die 39-Jährige gedacht haben, als sie in einem weit ausgeschnittenen Brautkleid mit „Maybe (Forse)“ an den Start ging - und tatsächlich: Dieses mal hat es geklappt und Monetta darf sich mit den 25 Finalteilnehmern messen.
Suzy ging dieses Jahr für Portugal an den Start und präsentierte mit „Quero ser tua“ einen der wenigen nicht englischsprachigen Titel. Die Nummer im Lambada-Style brachte dem Land auch zum 50-jährigen Teilnahmejubiläum kein Glück - trotz sexy Backgroundtänzer und aufreizender Hüftschwung-Performance der Sängerin im Sambakleidchen. Wieder einmal hieß es: Aus im Halbfinale. Vermutlich nur ein kleiner Trost, dass Conchita Wurst sich vor dem Halbfinale als Fan des Song geoutet hatte.
Country-Klänge aus den Niederlanden
Die Niederlande trauten sich auch weg vom typischen Song-Contest-Balladen-Popnummern-Arrangement (allerdings etwas erfolgreicher als Portugal), und schickten The Common Linnets nach Dänemark. Für ihr melodisches Duett „Calm After The Storm“ holten sich die Bandmitglieder Ilse de Lange und Waylon Inspirationen in Nashville, herausgekommen ist ein sommerlicher Wohlfühlsong mit Country-Charme, mit dem die Holländer den Sprung in die Finalshow schafften.
TV-Hinweis
ORF1 überträgt das zweite Halbfinale am 8. Mai und das Finale am 10. Mai jeweils ab 21.00 Uhr. Am 8. Mai wird zuvor um 20.15 Uhr die Dokumentation „Conchita - Ihr Weg nach Kopenhagen“ gezeigt, der am 10. Mai ebenfalls um 20.15 Uhr „Conchita - einfach persönlich“ folgt.
Aus Montenegro kam Sergej Cetkovic nach Kopenhagen, im Gepäck den Song „Moj Svijet“. Als Vertreter eines der wenigen Balkanländer, die heuer am Start sind (Serbien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina haben aus Kostengründen abgesagt), hält er die Tradition zur melancholischen Ballade aufrecht. Warum sein Auftritt von einer Rollschuhfahrerin untermalt wird, erschließt sich auch nicht, wenn man den Text (Liebe!) versteht. Wobei: Auch der aserbaidschanische Trapez-Act und das ukrainische Hamsterrad wurden nicht erklärt. Sein Finaleinzug galt als so gut wie fix, und tatsächlich hat Cetkovic seine Fans nicht enttäuscht.
Thematisch bedrückender Abschluss aus Ungarn
Für viele als Geheimfavorit gilt, nach dem Halbfinale einmal mehr der ungarische Kandidat Andras Kallay Saunders mit seinem Song „Running“. Auch sein Song ist einer der wenigen mit einer wirklichen Botschaft, noch dazu einer für den Bewerb ungewöhnlich ernsten: „Mein Lied ‚Running‘ basiert auf einer wahren Begebenheit. Eine gute Freundin von mir wurde als Kind missbraucht“, erzählt er, „ich möchte meine Stimme einsetzen, um darauf aufmerksam zu machen. Das Thema des Songs mag nicht gefällig sein, aber wir müssen der Wahrheit ins Gesicht sehen: Es spricht etwas an, was jeden Tag überall auf der Welt passiert.“
Insgesamt sind heuer 37 Teilnehmer in Kopenhagen am Start. Am Donnerstag findet das zweite Halbfinale statt, dann geht auch die Österreicherin Conchita Wurst mit der Startnummer sechs an den Start. Insgesamt 26 Kandidaten kommen ins Finale, das am Samstag über die Bühne geht.
Sophia Felbermair, ORF.at
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