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Mittelstand „übermäßig belastet“

In letzter Zeit sind die Rufe nach einer Abschaffung der kalten Progression, die Lohnzuwächse regelmäßig auffrisst, lauter geworden. Es handle sich um eine „schleichende Steuererhöhung“, in Wahrheit kalkuliere die Regierung diesen „Bonus“ schon in das Budget ein, lautete die Kritik. Eine Reform braucht aber einiges an Ehrgeiz.

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Die kalte Progression, die das Phänomen erklärt, dass von Gehaltsvalorisierungen oft nichts übrig bleibt, da sich der betreffende Arbeitnehmer plötzlich in einer höheren Steuerklasse findet, treffe jedenfalls die, „die auch sonst vom Steuersystem übermäßig belastet sind, also der Mittelstand“, sagte Gottfried Haber, Wirtschaftsexperte an der Donau-Universität Krems, in einem Expertengespräch am Montag im Ö1-Morgenjournal. Denn Arbeitnehmer mit einem sehr niedrigen Gehalt seien nicht, solche mit sehr hohem Einkommen nur über einen Teil ihres Gehalts betroffen.

Die kalte Progression bringe zwei Probleme mit sich, so Haber, wobei das erste eher auf der Hand liegt. Es bleibt schlicht weniger Geld im Börsel. Das zweite sei, dass sie das Steuersystem „weniger elastisch“ mache und konjunkturbedingte Schwankungen weniger gut stabilisiert werden könnten. Das könne - relevant aus Sicht des Fiskus - sogar dazu führen, dass in Zeiten des Aufschwungs „die Steuereinnahmen sogar weniger sprudeln, obwohl es der Wirtschaft überproportional besser geht“, so der Wirtschaftsexperte - mehr dazu in oe1.ORF.at.

Bis zu 2,65 Mrd. Euro „Körberlgeld“

Offizielle Zahlen darüber, wie viel Geld die kalte Progression jedes Jahr zusätzlich in die Staatskasse spült, gibt es nicht. Laut aktuellen Berechnungen der Innsbrucker Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung (GAW) waren es im Vorjahr 2,24 Mrd. Euro, für heuer bezifferte GAW-Geschäftsführer Florian Wakolbinger die Summe kürzlich mit 2,65 Mrd. Euro.

Ein gutes Haar an dem quasi automatischen jährlichen Bonus für das Budget lassen Experten und Interessenvertretungen nicht. Der Leiter des Instituts für Höhere Studien (IHS), Christian Keuschnigg, sprach von einer „schleichenden Steuererhöhung“ und plädierte ebenso wie der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) und die Arbeiterkammer (AK) für eine Abschaffung.

Lohnzuwachs verschwindet

Die kalte Progression bezeichnet jene Erhöhung der Steuerbelastung, die zustande kommt, weil die Löhne zwar jedes Jahr steigen, die für die Lohnsteuer maßgeblichen Einkommensgrenzen aber gleich bleiben. Damit rücken von Jahr zu Jahr immer mehr Arbeitnehmer in höhere Steuerklassen vor - ein Teil ihrer Lohnsteigerungen wird somit vom Finanzamt abgeschöpft.

Für den durchschnittlichen österreichischen Arbeitnehmer bedeutet das, wie die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vergangene Woche vorrechnete, dass von einem Bruttogehaltsplus von 2,4 Prozent abzüglich Inflation (2,0 Prozent) und Steuern (0,4 Prozent) 2013 unter dem Strich faktisch nichts übrig blieb.

„Mit der kalten Progression kalkuliert“

„Im Moment ist es so, dass der Finanzminister mit der kalten Progression kalkuliert“, kritisierte Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB, vergangene Woche. Der Gewerkschaftsbund plädiert daher wie die AK seit Jahren für die jährliche Anhebung der Einkommensgrenzen für die Lohn- und Einkommensteuer, womit die kalte Progression de facto abgeschafft würde.

Wie viel eine Abschaffung den Staat kosten würden, ist ebenfalls unklar. GAW-Geschäftsführer Wakolbinger verglich in einer Berechnung, wie sich die Einnahmen aus der Lohn- und Einkommensteuer entwickelt hätten, hätte man die Einkommensgrenzen sowie die Frei- und Absetzbeträge seit der letzten, 2008 beschlossenen Steuerreform konsequent an die Inflation angepasst. Ergebnis: Im Vorjahr hätte das Finanzministerium rund 2,24 Mrd. Euro weniger eingenommen. Die Einnahmen wären also um rund acht Prozent niedriger ausgefallen. Heuer wären es (gemessen an der März-Inflation von 1,5 Prozent) 2,65 Mrd. Euro.

Nichts mehr übrig von Lohnsteuersenkung 2009

Der Effekt der Lohnsteuersenkung 2009 ist damit wieder verpufft - was auch aus den aktuellen OECD-Zahlen abgelesen werden kann. Die Abgabenbelastung eines durchschnittlichen österreichischen Arbeitnehmers sank 2009 von 49 auf 47,9 Prozent, mittlerweile (Stand 2013) liegt sie wieder bei 49,1 Prozent. Eine Reform sei, so Wirtschaftsforscher Haber, komplex und nur langfristig umsetzbar.

Trotzdem zeigte er sich gegenüber Ö1 überzeugt: „Wir brauchen eine Strukturreform bei den Steuern.“ Ähnlich hatte Keuschnigg schon letzte Woche argumentiert und in Abrede gestellt, dass eine Reform (etwa eine laufende Indexanpassung des Lohnsteuersystems) an technischen Hürden scheitern könnte. Es werde aber „natürlich unbequemer für den Finanzminister“. Keuschnigg plädierte für klare Verhältnisse: „Wenn man eine Steuererhöhung will, dann soll man sie beschließen.“

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