Glawoggers aufregender ORF-Krimi
Michael Glawoggers letzter Film ist zugleich sein erster fürs Fernsehen. Er inszenierte im ORF-Landkrimi „Die Frau mit einem Schuh“ Niederösterreich als Ödland und Pulverfass gleichermaßen. Glawogger bewies in dem Film einmal mehr seine Meisterschaft, indem er sich an ein großes Publikum wandte und dennoch einen Film schuf, der der Kritik der Cineasten standhalten konnte.
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Präsentiert wurde der Film bei der Diagonale - dem Festival des österreichischen Films. Ein noch österreichischerer Film als Glawoggers ORF-Landkrimi „Die Frau mit einem Schuh“ ist kaum vorstellbar - und soll keine Kritik sein. In den Hauptrollen sind die üblichen Verdächtigen des heimischen Films zu sehen und sie machen ihre Sache überaus gut.
Die Geschichte, die in dem Krimi erzählt wird, ist nicht sonderlich aufregend. Die Landschaft, die Gegend rund um Wiener Neustadt (nicht die Bucklige Welt), ist auch nicht sonderlich aufregend. Einen Lokalkrimi mit viel bodenständigem Humor zu erzählen, ist ebenfalls keine sonderlich aufregende Idee. Umso faszinierender ist, dass man hier dennoch die simple Weisheit bestätigt sieht: Wenn ein paar Leute, die etwas von ihrer Profession verstehen, zusammenarbeiten, kommt meist etwas Gutes dabei heraus.
Gegen die Unterforderung
Glawogger, sollte man meinen, ist mit dem Format latent unterfordert. Aber er steckt seine Energie in die Details, und sie ist dort gut aufgehoben. Besonders hervorzuheben ist das Zusammenspiel von Musik, der Inszenierung des niederösterreichischen Ödlands und der Nonchalance, mit der die Schauspieler ihr Spiel treiben - im Schnittraum wurde von Andrea Wagner punktgenau zusammengeführt, was zusammengehört. Für die Musik zeichnet Norbert Wally von The Base verantwortlich. Treibende, beunruhigende Gitarrenrhythmen lassen die Luft selbst dort vor Spannung flirren, wo sonst gar keine wäre.
„Fleischer oder Supermarkt?“
Das Setting: eine kleine Polizeistation in einem Dorf. Frau Inspektor (Nina Proll) ist jung und gelangweilt, Herr Inspektor (Karl Fischer) ist alt, ein lieber Kerl, aber genervt von der Welt. Sie kann seine Sprüche schon auswendig mitsprechen - über die korrupten Banken und das Essen, das auch nicht mehr das ist, was es einmal war. Überhaupt ist die Nahrungsaufnahme das Hauptgesprächsthema der beiden. Der tägliche Thrill am Posten kulminiert in der Frage: „Fleischer oder Supermarkt?“ Oder vielleicht doch das Chinarestaurant?

Lotus Film/Petro Domenigg
Edita Malovcic und Johannes Krisch unter Verdacht
Doch plötzlich tut sich etwas. Frau Inspektor wird den Tag ihrem Liebsten (Robert Palfrader), der arbeitslos ist und sich hauptsächlich mit Kochen beschäftigt, so zusammenfassen: „Bei mir hot heit a Frau im Tigerbikini a Perückn im Schotterteich gfundn, der Michael hot sei Toschn verlorn, und da Taschner hot in die neiche Polizeistation brunzt.“ Die Perücke stellt sich jedoch als Skalp heraus. Frau Inspektor wittert Action - endlich - und beginnt zu ermitteln, auch wenn das nicht wirklich ihr Job wäre.
„Des Luada kriag i“
Ins Visier der Polizistin geraten der zwielichtige Mechaniker (Johannes Krisch) und seine Frau (Edita Malovcic), die er vor nicht viel mehr als einem Jahr angeblich im Internet kennengelernt hat. Irgendetwas, vermutet Frau Inspektor, stimmt mit der aber nicht. Die beiden verbindet eine Feindschaft auf den ersten Blick. „Des Luada kriag i“ - in konzentrischen Kreisen, ohne lockerzulassen, nähert sich die Dorfpolizistin der Lösung des Falls.
Spannender als der sind die Dialoge und die Beobachtungen en passant. Der Säufer und Wilderer, der mit der Pflege seiner bedürftigen Schwestern nicht fertig wird. Die alzheimerkranke alte Dame, die immer wieder dieselbe Beobachtung meldet, damit der Herr Inspektor sie besuchen kommt. Frau Inspektor sagt: „Der Österreicher will immer sei Rua haben.“ Darauf Herr Inspektor: „Und dann sitzt er im Altersheim und beschwert si, dass er nix erlebt hat.“ Eine Perle von Dialog, die man früher gerne ins Stammbuch geschrieben hätte, heute eignet sie sich für Facebook.
Glawoggers Fleischwolf
Proll definiert den Begriff Coolness neu, Fischer glänzt als braver Polizist, der heimlich im Puff abfeiert, Palfrader ist der spießige Hausmann par excellence, Malovcic ringt sogar der Rolle der durchtriebenen Sexbombe noch Charme und Würde ab, Krisch gibt als Mechaniker glaubwürdig den harten Knochen mit dem weichen Kern. Keine Figur ist eindimensional.
Glawogger, der neben der Regie auch für das Buch verantwortlich zeichnete, hat keine Klischees vom Landleben wiedergekäut, sondern echte Charaktere erschaffen. Das Casting von Eva Roth haucht ihnen Leben ein. Das niederösterreichische Industrieviertel ist zwar trotz allem nicht das sprichwörtliche Chicago, aber genauso spannend, wenn Glawogger es mit so einem Team durch den Fleischwolf dreht. Glawoggers Tod ist nicht nur ein Verlust für das Kino - sondern auch für das Fernsehen.
Simon Hadler, ORF.at
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