Neue Regeln für Vorratsdaten nötig
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Anfang April die umstrittene Vorratsdatenspeicherung (VDS) endgültig gekippt. Die Kritik des EuGH fiel dabei unerwartet heftig aus, praktisch in allen beanstandeten Punkten wurde die Richtlinie für EU-rechtswidrig erklärt. Demnach sei die Verpflichtung zur VDS ein Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere in die Grundrechte des Privatlebens und den Schutz personenbezogener Daten.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Für den EuGH steht fest, dass die EU mit der Vorratsdatenspeicherung „die Grenzen zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit“ überschritten hat. Da der Zugriff auf die Vorratsdaten ohne Wissen des betroffenen Bürgers erfolgt, werde bei den Bürgern ein Gefühl erzeugt, dass ihr Privatleben Gegenstand einer ständigen Überwachung sei, kritisiert das Urteil die jetzige Praxis.
„Sehr genaue Schlüsse auf Privatleben“
Auch die vorgegebene Dauer der Speicherung von bis zu zwei Jahren geht dem EuGH zu weit, da mit den Vorratsdaten „sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben“ der Bürger gezogen werde könnten. So könnten etwa Folgerungen „auf Gewohnheiten des täglichen Lebens, ständige oder vorübergehende Aufenthaltsorte, tägliche oder in anderem Rhythmus erfolgende Ortsveränderungen, ausgeübte Tätigkeiten, soziale Beziehungen und das soziale Umfeld“ gezogen werden.
Die Datenerhebung und Speicherung sei deshalb „auf das absolut Notwendige“ und auf Fälle „schwerer Kriminalität“ zu begrenzen. Auch seien die Daten nicht wirksam vor Missbrauch und unberechtigtem Zugriff geschützt. Es müsse klar geregelt werden, dass Behörden nur mit Zustimmung eines Gericht einen Zugang erhielten, so der EuGH. Ebenfalls müsse die unwiderrufliche Vernichtung der Daten nach Ablauf der Speicherfrist gesichert sein.
„Datenschutz nicht gewährleistet“
Der EuGH rügte darüber hinaus, dass die Richtlinie „keine Speicherung der Daten im Unionsgebiet vorschreibt“. Derzeit können die Vorratsdaten theoretisch auf Servern in aller Welt gespeichert werden. Damit sei die Einhaltung des EU-Datenschutzes nicht gewährleistet und auch nicht durch eine unabhängige Stelle überprüfbar, so das Gericht. Das jetzige Urteil folgt damit der Argumentation des Generalanwalts, der die Vorratsdatenspeicherung bereits Mitte Dezember als unvereinbar mit der EU-Charta der Grundrechte kritisierte.
Seit 2006 müssen die EU-Staaten zur Bekämpfung schwerer Verbrechen und des Terrorismus dafür sorgen, dass Telekomfirmen Verbindungsdaten von Privatleuten bis zu zwei Jahre aufbewahren. Österreich hatte sich nach mehrmaligen Mahnungen durch die EU für die geringstmögliche Speicherdauer von sechs Monaten entschieden. Mit 1. April 2012 trat die VDS hierzulande in Kraft.
Meiste Abfragen betrafen Diebstahlsdelikte
Die Praxis zeigt, dass schon bei minderen Straftaten auf die Daten zugegriffen wird. Aus einer parlamentarischen Anfragebeantwortung des Justizministeriums geht hervor, dass im ersten Jahr (1. April 2012 bis 31. März 2013) von den heimischen Ermittlungsbehörden 326-mal Vorratsdaten abgerufen wurden. Den größten Teil der Delikte machten dabei Diebstahlsvergehen (106 Abfragen, die in 16 Fällen zur Aufklärung beitrugen) aus, dahinter folgten Stalking, Raub und Betrug.
Ein einziges Mal wurde auf Ersuchen eines EU-Staates auch gegen eine terroristische Vereinigung ermittelt - ohne relevante Ergebnisse. Insgesamt wurde bis zum jetzigen Zeitpunkt laut Justizministerium bisher 675-mal auf die Vorratsdaten zurückgegriffen. Die Aufteilung auf die Delikte sei in etwa gleich geblieben, so das Justizministerium auf ORF.at-Anfrage.
Klagen aus Österreich und Irland
Grundlage für das EuGH-Urteil sind Klagen aus Österreich und Irland. In Österreich haben die Kärntner Landesregierung, ein Angestellter eines Telekommunikationsunternehmens sowie insgesamt über 11.000 Privatpersonen im Rahmen der Bürgerinitiative AKVorrat vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) die österreichische Regelung beanstandet. Der VfGH ersuchte in dem Rechtsstreit den EuGH um eine Vorabentscheidung.
In Irland klagten Datenschützer der Organisation Digital Rights gegen die Vorratsdatenspeicherung. Der irische High Court rief ebenfalls den EuGH an, um zu klären, ob die EU-Richtlinie mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie mit den Grundrechten auf Privatleben, Schutz personenbezogener Daten, freie Meinungsäußerung und gute Verwaltung vereinbar ist.
Links: