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Ein Premier drängt sich vor

Die Kommunalwahlen in der Türkei am Sonntag gelten als Stimmungstest für Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan - der sich nicht einmal der Gefolgschaft seines langjährigen Weggefährten Abdullah Gül, jetzt Staatspräsident, sicher sein kann. Nicht zuletzt das Rennen in Istanbul ist spannend, wo die kemalistische CHP der regierenden AKP zunehmend dichter auf den Fersen ist.

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Istanbul ist für Erdogan wichtig, nicht nur, weil er hier einmal Bürgermeister war. Bei allen Großprojekten in der Metropole ist der Premier an vorderster Front dabei - so, als stünde er selbst zur Wahl. Das wird vor allem zum Problem des regierenden Istanbuler Bürgermeisters Kadir Topas, mittlerweile auch schon 69, der wenige symbolische Trümpfeverbuchen kann, nicht einmal die Eröffnung des im Vorjahr freigegebenen Tunnels unter dem Bosporus.

Menschenmassen bei Wahlveranstaltung

APA/EPA/Prime Minister Press Office/Kayhan Ozer

Massenmobibilisierung auf der künstlichen Insel vor Istanbul durch den Premier

Künstliche Insel für den Premier

Am Sonntag eröffnete Erdogan nun eine riesige Aufmarschfläche, die man vor dem historischen Altstadtviertel Eminönü direkt im Marmara-Meer aufgeschüttet hatte, und stimmte seine Anhänger auf die Wahlen ein. Die ebene Fläche im Ausmaß mehrerer Fußballfelder soll für verschiedene Veranstaltungen genutzt werden können. Ja, man wünscht sich sogar, zukünftige Demonstrationen mögen hier statt auf dem Taksim-Platz abgehalten werden, wo die Sicherheitskräfte einfacheren Zugriff haben (und wo sich auch zehntausend Menschen wie eine Gruppenveranstaltung ausnehmen). Im Moment hat die AKP die Fläche im Griff.

Erdogan bei einer Wahlveranstaltung

AP/Emrah Gurel

Die große Erdogan-Show am vergangenen Sonntag vor Hunderttausenden Anhängern in Istanbul

Erdogan setzt auf die nationale Karte

Und am Sonntag diente sie der großen Inszenierung Erdogans, der zunächst die nationale Einheit beschwor und den Abschuss eines syrischen Kampfjets durch eine türkische F-16 lobte. Hinter sich hatte er zu diesem Zeitpunkt die peinlichen Enthüllungen zur Verstrickung seiner Familie in Korruptionsfälle, die noch peinlichere Twitter-Sperre, die jeder Mensch mit ein bisschen technischem Hausverstand umgehen konnte und die dann noch von Staatschef Gül höchst selbst durchbrochen wurde.

Aufwind für CHP in Istanbul

Aufwind verspürt zur Zeit in der größten Stadt des Landes mit ihren 39 Bezirken und Bezirksrathäusern die kemalistische CHP, die mit Mustafa Sarigül den Bürgermeister des schicken Finanzdistrikts Sisli aufbietet. Sarigül gibt sich gottesfürchtig und verwendet das Wort „Allah“ in jeder Rede auffallend häufig. Den Demonstranten auf dem Taksim-Platz lieferte er als Unterstützung wiederum mobile Toilettenhäuschen.

Mustafa Sarigül (CHP)

picturedesk.com/Action PRess/Saribas Fatih

Mustafa Sarigül versucht auch im Lager der AKP-Wähler zu punkten. Gleichzeitig will er sein liberales Image nicht verspielen.

Sarigüls Ex-Frau Aylin Kotil mischt auch mit. Sie kandidiert in Beyoglu auf lokaler Ebene für die CHP. Derzeit ist Beyoglu in AKP-Hand unter Bürgermeister Ahmet Demircan. Kotil, die Frau mit den kurzen blonden Haaren, hat auf ihrer Liste, ihrem Bezirk gemäß, einen Proponenten der Schwulen- und-Lesbenbewegung.

Aylin Kotil (CHP)

http://www.aylinkotil.org

Liberales Gesicht bei der CHP mit deutschen Wurzeln: Aylin Kotil

Eindeutig setzt sie in dieser Wahl auf die liberalen Töne und markiert am deutlichsten eine Gegenposition zu den nationalistischen und immer autoritäreren Tönen Erdogans in dieser Kommunalwahlbewegung, die weit über den kommunalen Bereich hinaus weist.

AKP muss mobilisieren

Erdogan selbst versucht in den letzten Tagen vor der Wahl, seine Anhänger zu mobilisieren. Bei seinen Auftritten vor Hunderttausenden von Anhängern verteidigte er am Wochenende auch die Sperre von Twitter. „Mir ist egal, wer es ist. Ich höre gar nicht hin“, rief Erdogan den Anhängern seiner AK-Partei bei einer Wahlveranstaltung zu. „Dieses Teil, das Twitter heißt, dieses YouTube, dieses Facebook, sie alle haben Familien bis ins Mark verletzt.“ Er verstehe nicht, wie man mit gesundem Menschenverstand solche Websites verteidigen könne, sagte Erdogan. „Es gibt dort alle möglichen Lügen.“ Nach der Sperrung von Twitter war der Türkei im Westen und von Menschenrechtsgruppen Intoleranz vorgeworfen worden.

Präsidentenwahl im August

Am 10. August findet in der Türkei die Präsidentenwahl statt. Erstmals werden die Wähler in einer Direktwahl über den neuen Staatspräsidenten entscheiden. Es wird erwartet, dass sich Ministerpräsident Erdogan um das Amt bewerben wird.

Erdogan ließ bereits anklingen, nach einer „Pause“ wieder als Regierungschef für die Partei zur Verfügung zu stehen. Diese Pause könnte der Posten des Staatspräsidenten sein. Der amtierende Staatspräsident Gül hat bisher noch kein Wort darüber verloren, ob er auf eine Kandidatur verzichten wird. Er kritisierte die Sperre von Twitter mehr als deutlich und durchbrach die Sperre des Sozialen Netzwerks gleich selbst mit einem Tweet.

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