Vier Minuten „Feel good“, Millionen Mal
Der US-Sender NBC jubelt: Seit Moderator Jimmy Fallon im Februar die altehrwürdige „Tonight Show“ von Jay Leno übernommen hat, schauen jeden Abend um die 4,1 Millionen Menschen zu. Das ist aber fast Kleinkram gegen 120 Millionen YouTube-Klicks, Tweets und Facebook-Posts im ersten Monat, die das TV-Faktotum nun zum globalen Phänomen macht. Der Erfolg im Web ist alles andere als Zufall.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Fallons Übernahme des 60 Jahre alten TV-Betthupferls der amerikanischen Nation markierte einen Wendepunkt nicht nur für den Sender NBC, sondern nach Meinung von Experten auch für die gesamte TV-Unterhaltung. Die Marktforschungsfirma RelishMIX sprach gegenüber der US-Nachrichtenagentur AP von einem „Weckruf für alle Autoren, Late-Night-Produzenten, Sender-Marketing-Abteilungen und alle Serien in allen Genres, dass sie ‚das Biest füttern‘ oder sterben müssen“. Das „Biest“ ist in dem Fall das Internet.
Web umarmt statt skeptisch beäugt
Was NBC mit der „Tonight Show“ vorhatte, wurde allein durch die Kür Fallons klar. Der hatte schon davor in seiner „Late Night with Jimmy Fallon“-Show vorgemacht, wie er sich die Verschränkung von TV und Web vorstellt. Schon damals machten Clips seiner TV-Sketches mit Millionen Klicks im Netz ihre Runden. Schon damals nützte er das Internet nicht als notwendiges und skeptisch beäugtes Übel, um für eine TV-Show die Werbetrommel zu rühren, sondern ging mit eigenen Kanälen auf YouTube, Facebook & Co. in die Offensive.

AP/NBC, Chris Haston
Der König (des Spätabendprogramms) ist tot, es lebe der König: Fallon und Leno
Fallons Webpräsenz als „Late Night“-Gastgeber war aber gar nichts gegen die numehrige Internet-Eroberungsstrategie von NBC: Die neue „Tonight Show“ hat offizielle Außenposten bei YouTube, Facebook, Twitter, Instagram und allem sonst, was sich im Web 2.0 tummelt - bis hin zu animated GIFs auf Tumblr, um nur ja jeden Webtrend abzudecken und nicht zuletzt auch selbst unter Kontrolle zu haben. Es geht dabei immer weniger um die Präsentation von TV-Inhalten, als viel mehr eher um das umgekehrte Phänomen: Fernsehen wird zum Zulieferer für das Netz.

AP/NBC, Lloyd Bishop
Fallon will Quote und Klicks
Im Fernsehen nicht zu sehendes Fernsehen
Zum Unterschied von seinen direkten Mitbewerbern begreift Fallons Mannschaft das Internet nicht als Abspielmedium von Fernsehinhalten. Es gibt zu jeder Show nur im Netz zu sehende Clips - etwa die schon seit „Late Night“-Zeiten überall verbreiteten Coverversionen bekannter Hits, von Fallons Hausband „The Roots“ auf Kindergarteninstrumenten nachgespielt, von Mariah Careys „All I Want For Christmas“ bis zuletzt Idina Menzels Disney-Song „Let It Go“. Dazu kommen Spielchen, Hintergrundinfos und Publikumsbeteiligung per Web, die dann wiederum zu TV-Inhalten verarbeitet wird.
Das Echo im Web spricht für sich: Im Vergleich zu Fallons 120 Mio. Klicks weist RelishMIX für den ebenfalls im Internet äußerst präsenten Konkurrenten Jimmy Kimmel lediglich 57 Mio. Klicks aus, und für Talkshow-Urgestein David Letterman überhaupt nur 2,3 Mio. Die Zahlen sind umso beeindruckender, als der späte Abend im US-Fernsehen derzeit so umkämpft ist wie nie: Auch Jon Stewart wildert mit seiner Satireshow in dem Revier. Dazu kommen Conan O’Brien, Stephen Colbert, Comedy-Veteran Arsenio Hall und viele mehr.
Sender setzte alles auf eine Karte
NBC setzte mit der Taktik alles auf eine Karte. Zum Unterschied von den Konkurrenten ABC und CBS setzt der Sender immer mehr auf die Zielgruppe zwischen 18 und 49 Jahren und riskierte dabei gerade beim seit 1954 bestehenden Format „Tonight Show“, das Stammpublikum zu vergrätzen. Das geschah auch, wurde vom Zustrom der Jungen aber mehr als wettgemacht. NBC-Senderverantwortlicher Ted Harbert erklärte gegenüber AP, als „jemand, der das schon seit 36 Jahren macht“, habe er „sich nicht erlaubt, an dieses Maß von Erfolg zu glauben“.

AP/NBC, Lloyd Bishop
Fallons Tanz mit Will Smith wurde auf YouTube über 13 Mio. Mal angeklickt
Der Erfolg beruht allerdings nicht allein auf aggressiver Internetvermarktung: Fallon markiert endgültig den Übergang der TV-Dramaturgie auf das Internettempo: Wenn es nicht auf Cliplänge gebracht werden kann, geht es nicht auf Sendung. Erstreckte sich der traditionelle Eröffnungsmonolog der Show bei Leno noch über einen Bogen zwischen zwei Werbeblöcken, geht es nun um die Produktion von Vierminutenhäppchen - auf die Welt gebracht, um gestreamt, geteilt und gelikt zu werden.
Ein Blick auf die Beliebtheit der Clips im Netz zeigt aber, dass Fallons Publikum ohnehin keine Lust auf launige Zusammenfassungen des Tagesgeschehens oder auch das Plaudern mit Gästen hat. Viel beliebter ist sein Herumgealbere, mag es nun Hip-Hop mit Will Smith , ein kunstvoll zusammengeschnittener Rap von Nachrichtenmann Brian Williams oder ein sich selbst auf die Schaufel nehmender Promi wie Kevin Bacon sein. Alles höchst professionell und tatsächlich ziemlich komisch - und genau so harmlos.
Alles so schön sauber hier
Es ist kein Zufall, dass Letterman mit seinem Festhalten an dialogstarkem Sarkasmus in den neuen Zeiten nicht punkten kann. Der Abschied von Harald Schmidt aus der deutschsprachigen TV-Landschaft mag weiters als Beleg dafür dienen, dass der Trend zur Feel-good-Unterhaltung auch schon hier angekommen ist. Fallon zeichne sich „durch die komplette Abwesenheit von Sarkasmus, von Zynismus“ aus, sagt NBC-Chef Harbert. Die Show sei „nur dazu da, dass du dich gut fühlst, bevor du schlafen gehst“. Er meinte es als Kompliment.
Lukas Zimmer, ORF.at
Links: