Harter Test oder Zahlenspiel?
Europas Banken müssen sich so tief in die Bücher schauenlassen wie nie zuvor. Mit gewaltigem Aufwand durchforsten Experten der Europäischen Zentralbank (EZB), nationale Aufseher und unabhängige Wirtschaftsprüfer die Bilanzen nach möglichen Altlasten oder Kapitallöchern.
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Das hehre Ziel: Nie wieder soll es einen Kollaps wie nach der Lehman-Pleite 2008 geben, nie wieder sollen hasardierende Banker ganze Staaten in den Abgrund reißen, nie wieder Milliarden Steuergelder zur Rettung von Zombiebanken verbrannt werden. Europa will seine Finanzindustrie krisensicher machen. Trotz allen Aufwandes bleiben Fragezeichen, ob das Mammutprojekt tatsächlich gelingen wird.
Wie wahrscheinlich sind Ausfälle bei Immobilienkrediten? Droht mancher Schiffsfinanzierung der Untergang? Sind die Kapitalpolster der Banken dick genug? Beim laufenden Bilanzcheck schaut die EZB ganz genau hin. Mindestens 160.000 Kreditakten nehmen die künftigen Chefaufseher über die Euro-Banken in den nächsten Wochen in die Hand. Bei den 128 größten und wichtigsten Banken im Euro-Raum sollen Risikopapiere im Volumen von 3,72 Billionen Euro unter die Lupe genommen werden - eine gewaltige Stichprobe.
„Druck ist sehr groß“
„Der Druck auf die Branche ist sehr groß“, sagt Jürgen Fitschen, Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB) und Kochef der Deutschen Bank, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. „So etwas hat es noch nie gegeben.“ Und der Bilanzcheck ist nur ein Teil der Übung: Im Sommer folgt ein „Stresstest“, der härter sein soll als alle bisherigen Krisentests für die Finanzbranche in Europa. Ergebnisse soll es im Oktober geben.
Die wichtigste Frage: Hat eine Bank auch unter widrigen Umständen ausreichend Kapital, um ihr Geschäft fortzuführen? Überträgt man den „Stresstest“ auf Verbraucher, könnte er so aussehen: Reichen Einnahmen, Ersparnisse oder Versicherungsschutz auch dann, wenn Auto und Waschmaschine gleichzeitig kaputtgehen, der Arbeitgeber pleitegeht und man erst im nächsten Jahr einen neuen Job findet?
„Leichen für tot erklärt“
Der Erfolgsdruck im Falle der Banken ist immens: Beim europaweiten „Stresstest“ 2010 waren nur Institute durchgefallen, von denen man es erwartet hatte. Der Test habe „Leichen für tot erklärt“, ätzten damals Kritiker wie der Volkswirt Daniel Gros, Leiter des Centre for European Policy Studies (CEPS). Ein Jahr später sorgte der „Stresstest“ der erst kurz zuvor gegründeten Europäischen Bankenaufsicht (EBA) selbst nach Einschätzung führender Aufseher eher für Verunsicherung als für Aufklärung. Bei dem Test fiel auch die Österreichische Volksbanken AG (ÖVAG) durch. Damals fühlten sich etwa die deutschen Landesbanken benachteiligt, weil staatliches Kapital aus ihrer Sicht nicht ausreichend berücksichtigt wurde.
„Wir haben nur einen Schuss“
In diesem Jahr ist die Lage noch komplexer: Wenn Europa mit der neuen Aufsicht unter EZB-Führung ab November gemeinsam Verantwortung für seine wichtigsten Banken übernimmt, ist das auch ein entscheidender Schritt zu gemeinsamen Haftungsregeln für kriselnde Institute. Deutschlands oberste Bankenaufseherin, BaFin-Präsidentin Elke König, mahnte schon früh in der Diskussion über die Gestaltung der neuen Bankenaufsicht: „Wir haben nur einen Schuss, und der muss sitzen.“ Auch Fitschen weiß um die Sensibilität der Märkte: „Am Ende muss der Markt im Herbst zu der Erkenntnis kommen: Das war ein ernsthafter Test mit harten Kriterien. Es muss aber nicht zwangsläufig Opfer geben, um das Vertrauen wiederherzustellen.“
„Einige Banken ohne Zukunft“
Dass die EZB-Bankenaufseher keine Kompromisse machen werden, stellte allen voran die Chefin der neuen Euro-Bankenaufsicht, Daniele Nouy, klar: „Wir müssen akzeptieren, dass einige Banken keine Zukunft haben“, sagte die Französin Anfang Februar der „Financial Times“: „Einige müssen wir in geordneter Art und Weise verschwinden lassen.“
Die Härte der Aufseher ist ganz im Sinne Deutschlands. Schließlich ist die Sorge groß, dass mit deutschem Geld Banken in anderen Euro-Staaten finanziert werden, die eigentlich nicht überlebensfähig sind. Deutsche-Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hält die Bewältigung von Altlasten für eine „wesentliche Voraussetzung für das Gelingen der Bankenunion“. Bilanzprüfung und „Stresstest“ seien „ganz entscheidende Wegmarken bei der Bewältigung der Schuldenkrise“, betont Weidmann.
Die EZB-Checks seien unverzichtbar, meint auch der Bochumer Finanzprofessor Stephan Paul, „denn eine gemeinsame Bankenunion heißt ja zunehmend gemeinsame Haftung“. Doch der Wissenschaftler dämpft zugleich die Erwartungen: „Ganz egal, wie viele Daten man sammelt, es bleibt eine Momentaufnahme, ein reines Zahlenspiel.“
Jörn Bender, dpa
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