Themenüberblick

Die Bedenken der Parteien

Bedingungslose Zustimmung zum geplanten Transatlantischen Handelsabkommen (TTIP) gibt es hierzulande in keinem politischen Lager. Grundsätzlich dafür sprechen sich SPÖ, ÖVP und NEOS aus. FPÖ, Grüne, REKOS und Europa anders lehnen das Handelsabkommen ab. ORF.at befragte die Spitzenkandidaten bei der EU-Wahl zu ihren Positionen. Einhellig ist die Meinung darüber, dass mehr Transparenz bei den Verhandlungen nötig ist.

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„Die Idee einer verstärkten Handelskooperation ist prinzipiell gut, aber nicht um jeden Preis“: Mit dieser Aussage des SPÖ-Spitzenkandidaten Eugen Freund lässt sich die Stimmung zum Freihandelsabkommen in beiden Regierungsparteien beschreiben. Freund verwies darauf, dass die genauen Auswirkungen noch ungewiss sind, da die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen stattfinden. Diese gehörten „endlich“ geöffnet, forderte er.

Freund: Kein Abweichen von EU-Standards

Die Knackpunkte liegen aus Sicht des ehemaligen ORF-Journalisten bei Arbeitnehmerrechten und sozialen Sicherungssystemen, der Regulierung der Finanzmärkte, bei Umwelt- und Konsumentenschutz sowie Lebensmittelstandards. Hier dürfe es zu keinen Verschlechterungen kommen, so Freund.

Beim besonders umstrittenen Thema Investitionsschutzklausel ist die SPÖ konträrer Meinung zur ÖVP: Die Sozialdemokraten sprechen sich gegen diese Klausel aus, die es Konzernen ermöglicht, Staaten zu klagen. Die weit entwickelten rechtsstaatlichen Systeme von USA und EU machten eine solche Schutzfunktion schlicht nicht nötig, außerdem seien die ursprüngliche Bedeutung und der Sinn von Investitionsschutzabkommen in der Zwischenzeit durch Großkonzerne pervertiert worden, warnte kürzlich der SPÖ-Delegationsleiter im Europaparlament, Jörg Leichtfried.

Karas: „Riesige Wachstumspotenziale“

Für eine Investitionsschutzklausel spricht sich die ÖVP aus, man habe hier aber Bedingungen, so Spitzenkandidat Othmar Karas gegenüber ORF.at. ÖVP-Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner verwies zuletzt darauf, dass ähnliche Klauseln „in fast allen 2.800 weltweiten und 62 österreichischen Investitionsschutzabkommen enthalten“ seien. Österreich sei „in den vergangenen Jahrzehnten noch nie wegen einer solchen Klausel geklagt worden“, so Mitterlehner.

Karas ortet „riesige Wachstumspotenziale“ durch das Abkommen. Ob die ÖVP dem Abkommen letzten Endes zustimmen wird, hänge vom Ausgang der Verhandlungen ab. Karas betonte, dass für ihn ein Import genveränderter Organismen, von Hormonfleisch oder Chlorhühnern völlig ausgeschlossen sei. Auch er forderte, dass die Verhandlungen aus den „Hinterzimmern“ herausgeholt werden sollten. Die Entscheidung werde jedoch keinesfalls über die „Köpfe der Bürger" hinweg gefällt, das „EU-Parlament hat die Macht, das Freihandelsabkommen zu genehmigen oder zu Fall zu bringen“, so Karas.

FPÖ fürchtet Konkurrenz für Firmen

Auch wenn die beiden FPÖ-Spitzenkandidaten Andreas Mölzer und Harald Vilimsky finden, dass die Idee „für sich nichts Schlechtes“ sei, lehnen die Freiheitlichen das TTIP ab. Man habe große Bedenken, weil vor allem Konzerne am Beratungstisch säßen und NOGs „kaum eingebunden“ seien. Mölzer und Vilimsky fürchten, dass ein verstärkter Konkurrenzdruck Arbeits- und Sozialbedingungen nach unten nivellieren könnte, damit Unternehmen dem Wettbewerbsdruck standhalten können. Bedenken äußerten die beiden auch bei den Themen Datenschutz, Lebensmittelqualität und Genforschung.

„Die transatlantischen Beziehungen hängen nicht an diesem einen Abkommen und sollten generell ausgeglichener gestaltet werden.“ Die EU sei derzeit nicht in der Lage, ihre Interessen gegenüber den USA durchzusetzen. Insbesondere außenpolitisch agiere man oft wie ein „Vasall der USA“.

Grüne: Bauern müssen mit „Megaställen“ konkurrieren

Nicht an den „Wirtschaftsturbo“ glauben die Grünen. Vielmehr drohe der Abbau bestehender Umwelt-, Verbraucher-, Datenschutz- und Sozialstandards, schloss sich die Listenerste Ulrike Lunacek der Kritik der anderen Parteien an. „Unsere klein strukturierte Landwirtschaft müsste plötzlich mit Megaställen der USA konkurrieren“, so Lunacek.

Hauptprofiteure wären aus ihrer Sicht Konzerne auf beiden Seiten des Atlantiks. Vehement stellt sich Lunacek gegen die geplante Investitionsschutzklausel. Inakzeptabel ist für sie die Tatsache, dass Verfahren, die aus dieser Klausel hervorgingen, vor Schiedsgerichten und regelmäßig unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfänden. Rechtsmittel gegen Entscheidungen wären nicht möglich. Dass die Verhandlungen zu diesem Punkt vorübergehend ausgesetzt wurden, sieht sie als „Verschleierungstaktik“, um das TTIP aus dem EU-Wahlkampf „rauszuhalten“. Bedenken hat Lunacek auch hinsichtlich Datenschutzregeln - sie warnte vor „ACTA durch die Hintertür“.

NEOS hofft auf neue Arbeitsplätze

Gänzlich anders wird das Abkommen von NEOS beurteilt. Es habe „natürlich hohe Relevanz für uns“, so Spitzenkandidatin Angelika Mlinar. Auch wenn die Auswirkungen noch schwer festzustellen seien, könnte es für in den USA tätige Österreicher potenzielle Lohnzugewinne und die Schaffung neuer Arbeitsplätze im Exportsektor geben. Man verstehe jedoch auch die Skepsis, so Mlinar. Sie selbst beklagte fehlende Transparenz und eine fehlende Bürgerbeteiligung.

Mlinar sieht aber auch Reformbedarf: Beim Investorenschutz brauche es effizientere Streitbeilegungsmechanismen. Neben der Schiedsgerichtsbarkeit soll es aus NEOS-Sicht auch die Möglichkeit geben, derartige Verfahren über die innerstaatliche Justiz zu lösen. NEOS forderte auch, dass in dem Abkommen die jeweils höchsten transatlantischen Standards übernommen werden. Bereiche, in denen eine Einigung auf hohem Niveau nicht möglich ist, sollen aus dem Vertrag ausgenommen werden.

Stadler: Bringt vor allem US-Konzernen etwas

Ablehnend äußerte sich der EU-Parlamentarier Ewald Stadler, der für die neue Gruppe Reformkonservative (REKOS) kandidiert. Aus dem Abkommen würden vor allem US-amerikanische Unternehmen Vorteile ziehen. Dass die USA ihre Umwelt- und Verbraucherstandards „unseretwegen“ verbessern würden, hält er für „unrealistisch“. Die Investitionsschutzklausel, die im Falle einer Klage ein Schlichtungsverfahren (also ein außergerichtliches Verfahren) vorsieht, ist für ihn „aus rechtsstaatlichen Gründen unhaltbar“.

Ehrenhauser: Politik „degradiert sich selbst“

Der Kandidat Martin Ehrenauser (Europa anders) nimmt die EU hart ins Visier. Aus der Sicht Ehrenhausers trägt das TTIP dazu bei, dass sich die Politik selbst zum mittleren Management degradiere, indem sie „ihre eigene Gestaltungshoheit zugunsten von transnationalen Unternehmen aufgibt“. Soziale Standards, Nachhaltigkeitsfragen und demokratische Mitsprache blieben auf der Strecke. Auch Ehrenhauser mutmaßte, dass die Konsolidierungsphase zum Investitionsschutz ein rein „taktisches Manöver“ sei, das verhindern solle, dass die kritische Berichterstattung das Abkommen zu Fall bringt.

Petra Fleck, ORF.at

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