Wer wird Vucics bester Freund?
Eigentlich ist Aleksandar Vucic als Vizepremier nur der zweite Mann in der serbischen Regierung hinter Premier Ivica Dacic. Doch er selbst lässt keine Zweifel aufkommen, dass er der neue starke Mann in Serbien ist. Diese Rolle will er nun in einer vorgezogenen Parlamentswahl am 16. März festigen.
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Alle Umfragen deuten darauf hin, dass Vucic mit seiner Serbischen Fortschrittspartei (SNS) mit über 40 Prozent als stärkste Kraft hervorgehen wird. Dacics Sozialisten (SPS) liegen in den Umfragen bei etwa 13 Prozent. „Die Schlüsselfrage bei dieser Wahl ist, ob zu viel politische Macht bei einem Menschen konzentriert wird“, so der Serbien-Beobachter und Büroleiter der des deutschen Thinktanks Stiftung Wissenschaft & Politik in Brüssel, Dusan Reljic, gegenüber ORF.at.
Henri Bohnet, Leiter der Auslandsbüros Serbien und Montenegro der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung, geht im ORF.at-Interview aber davon aus, dass Vucic sich noch einen, wenn auch schwachen Koalitionspartner suchen wird - „für eine sichere Mehrheit und um Verantwortung und Aufgaben zu teilen“. Schon jetzt habe er sich teilweise hinter Premier und Innenminister Dacic und anderen Koalitionspartnern verstecken können. Als möglicher Partner kommt nicht nur die SPS infrage, auch der frühere Präsident und ehemalige Liebling des Westens, Boris Tadic, zeigte schon Bereitschaft, eine Rolle als Juniorpartner zu spielen, so die Serbien-Experten.
Inhaltlich kaum Unterschiede
Tadic hatte sich erst vor wenigen Wochen von seiner Demokratischen Partei (DS) nach einem misslungenen Putsch abgespaltet und hofft nun auf ein politisches Comeback. Die Selbstzerfleischung der Demokratischen Partei kommt jedenfalls den Regierungsparteien entgegen. Tadic’ Schritt sorgt für „die Zerstörung der demolierten Opposition“, analysierte etwa das serbische Magazin „Nedeljnik“. Die jahrelang von der EU hofierte DS unter Dragan Djilas, vor eineinhalb Jahren noch bei 30 Prozent der Stimmen, liegt nun bei etwa zehn Prozent.

AP/Darko Vojinovic
Ex-Präsident Boris Tadic spaltete sich nach einem gescheiterten Putschversuch von der Demokratischen Partei (DS) ab
Die Demokraten sind aber bisher die einzigen, die eine Koalition mit Vucic ausgeschlossen haben und in Opposition gehen wollen. Sonst sei der Wahlkampf mehr ein „Wettbewerb, wer der beste Freund von Vucic werden kann“, analysiert Bohnet. Denn inhaltlich gibt es kaum Unterschiede. Mit Ausnahme der klaren EU-Gegner-Partei, der nationalkonservativen Demokratischen Partei Serbiens (DSS) unter dem ehemaligen Ministerpräsidenten Vojislav Kostunica, bekennen sich alle Parteien des politischen Zentrums zu einer proeuropäischen Politik, die eine Normalisierung der Beziehungen zum Kosovo zur Voraussetzung hat.
Milosevic-Zögling geht Richtung EU
Gerade in dieser Hinsicht vollzog Vucic eine 180-Grad-Wendung: vom Zögling des früheren autokratischen Machthabers Slobodan Milosevic und des radikalen Vojislav Seselj und vom Ultranationalisten, der gegen die Unterzeichnung eines Abkommens mit der EU mit einer Klage gedroht hatte, zum schon jetzt mächtigen Vizepremier und Geheimdienstkoordinator, der die Weichen Richtung EU-Beitritt stellt und sich in der Öffentlichkeit dem Kampf gegen Korruption verschreibt.
„Vucic besetzt den öffentlichen Raum und inszeniert sich als einsamer Ritter, der gegen das Böse kämpft“, erklärt Reljic. Er ist beliebt, auch wenn ihm Inszenierung und Omnipräsenz immer wieder auch Gespött einbringen. „Kritiker werfen Vucic vor, dass dieser Kampf gegen Korruption vor allem verbal geführt werde und nur politische Gegner treffe, schwarze Schafe seiner Partei aber weitgehend vernachlässige“, sagt Reljic. Vucic könne sich allerdings als neuer „Darling des Westens“ inszenieren, der die Erwartungen der EU insbesondere in Bezug auf den Kosovo erfüllt.
„Politik nicht demokratischer geworden“
„Die serbische Innenpolitik ist aber nicht demokratischer geworden“, betont der SWP-Analyst. Die Methodologie der politischen Arbeit, die Vucic bei Milosevic und Seselj gelernt hat, werde fortgesetzt. Reljic: „Unter Milosevic waren politische Gegner Verräter, bei Vucic sind sie Verbrecher, und es wird ihnen eine Verbindung zur organisierten Kriminalität vorgeworfen.“ Vucic übe zudem eine starke Kontrolle über die Printmedien und das staatliche Fernsehen aus. Ähnlich argumentiert auch der Leiter des Belgrader Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung: „Es gibt mehr und mehr berechtigte Zweifel, dass sich die Medienfreiheit unter der neuen Regierung verbessert hat.“
„Überlebenskünstler“ Dacic
Was mit Premier Dacic nach der Wahl geschieht, ist offen. Seine angeblichen Verstrickungen mit der Drogenmafia, insbesondere mit „Kokainkönig“ Darko Saric, könnten ihn auch ins Gefängnis bringen, glaubt Reljic. Obwohl die Vorwürfe schon seit einem Jahr bekannt sind, wurde der Fall nun neuerlich aufgerollt. Sollte Dacic gehen und die SPS in die Opposition kommen, könnte das auch den Zerfall der Partei bedeuten, so der SWP-Analyst: „Die Partei wird durch die Vergabe von Posten zusammengehalten. Wenn es nichts mehr zu verteilen gibt, wird die Existenzberechtigung der Partei problematisch.“

AP/Yves Logghe
Premier Ivica Dacic
Auch wenn die SPS von vielen Seiten abgeschrieben werde, hält es Bohnet für eher unwahrscheinlich, dass der derzeitige serbische Premier sich frühzeitig von der Politbühne verabschiedet: „Dacic ist ein Überlebenskünstler, er hat es bisher in jede Koalition geschafft.“ Zudem sei die Koalitionsfähigkeit der Sozialisten groß: „Das ist der Vorteil, wenn es keine richtige Ideologie und keine Parteiprogrammatik gibt. Man kann sich spontan auf einen Regierungspartner einigen.“
Dass Dacic in der jetzigen Regierung mit der kleineren Partei überhaupt den Regierungschefsessel übernehmen konnte, lag nicht zuletzt daran, dass die Sozialisten, bis dahin in einer Koalition mit der allmächtigen DS, bei der vergangenen Wahl die Stimmen unter seiner Führung auf rund 15 Prozent fast verdoppeln konnten. Die Fortschrittspartei mit damals über 24 Prozent akzeptierte Dacic als Regierungschef, konnte sie doch dadurch selbst in die Regierung einziehen.
Kritik vom Ex-Wirtschaftsminister
Mittlerweile muss sich Dacic von seinem Vizepremier vorwerfen lassen, Reformbremser zu sein. Damit begründete Vucic vor wenigen Wochen auch offiziell seinen Wunsch, frühzeitig wählen zu lassen. „Der eigentliche Test, wie sehr Vucic tatsächlich hinter Reformen steht, kommt aber noch“, gibt sich Bohnet skeptisch. Das sei auch in seiner eigenen Partei nicht einfach: „Viele kommen noch aus dem alten System und scheuen sich vor allzu großen Veränderungen.“
Ein starker Kritiker an der Reformkompetenz der Regierung ist der von Vucic vor wenigen Monaten selbst in die Regierung geholte Wirtschaftsminister Sasa Radulovic. Für ihn sei das Hauptproblem im Kabinett von Vucic und der dortigen Machtkonzentration gelegen, kritisierte der parteilose Wirtschaftsexperte. Beide Regierungsparteien wollten nur ihre Privilegien und Pfründe retten, was jede ernst gemeinte Reform unmöglich mache. Die Kritik blieb nicht ungehört. Ende Jänner gab Radulovic seinen Rücktritt als Wirtschaftsminister bekannt.
Simone Leonhartsberger, ORF.at
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